Ein hölzernes Klackern im Dreivierteltakt. Zwei Hände, die schwungvoll ein Weberschiffchen mit reinsten Leinenfäden durch die 1,85 Meter breite Gasse sorgsam gespannter Kettfäden schießen. Zwei Füße, die rhythmisch die beiden Pedale des historischen Webstuhls aus dänischer Kiefer treten. Und ein erfülltes Lächeln, wenn von Minute zu Minute vor seinen wachen Augen das Leinentuch an Länge gewinnt. Das ist das Lebens-Elixier von Manfred Grünwald aus Krefeld-Fischeln.

Der rüstige Senior, der in diesen Tagen sein 77. Lebensjahr vollendet, webt wie 1732. Bis zu fünf Stunden am Tag verbringt Manfred Grünwald konzentriert an seinem historischen Webstuhl, den befreundete Krefelder 2002 auf einem Bauernhof in Dänemark entdeckt hatten. Akribisch richtete er ihn wieder her und stellte ihn in der ehemaligen Garage seines Einfamilienhauses am Langen Donk auf. Manchmal geht das Schätzchen auch auf Reisen. Manfred Grünwald und seine Frau Renate, die sich um sämtliche Büroarbeiten kümmert und ihre Ausbildung zur Industriekauffrau bei der Weberei Pick & Schubert in Neersen gemacht hat, besuchen regelmäßig Handwerkermärkte, wie bald auch wieder den Linner Flachsmarkt.

 

Manfred Grünwald

150 Jahre altes, handgesponnenes Leinen auf einer alten Haspel

Manfred Grünwalds Tätigkeit ist keine „Spinnerei“, sondern eine Leidenschaft, die ihren Ursprung in der Familientradition hat. Zusammen mit sieben Geschwistern wurde er in eine nordböhmische Weberfamilie hineingeboren. Seine Wiege stand in einer ehemaligen Handweberei in Niederehrenberg im Kreis Rumburg in der Lausitz. Dort gab es bereits 1920 die ersten mechanischen Webstühle. Ein Jahr später wurde übrigens Bruder Heinz geboren, der im späteren Leben von Manfred Grünwald die Weichen für dessen heutige familieneigene Handweberei stellen sollte. Doch bis es soweit war, erlebte die Familie 1945 zunächst die Vertreibung aus dem Sudetenland und wurde dabei getrennt. Nur der vierjährige Manfred, einer seiner Brüder und eine Schwester verließen unter dem Schutz der Eltern ihre Heimat. Die anderen, schon älteren, Geschwister, waren auf sich allein gestellt. 1960 gelang der Familie, mit Hilfe einer bei Berlin lebenden Schwester väterlicherseits, eine spektakuläre Flucht aus dem thüringischen Gera über Berlin ins Rheinland. Sie war von den Eltern von langer Hand geplant worden und verlief deshalb glücklich für alle Beteiligten.

 

Mit 54 Jahren in die „Handweber-Lehre“ beim Bruder

Zu dieser Zeit hatte Manfred Grünwald bereits eine Ausbildung zum Kleiderstoff- und Buntweber abgeschlossen. Später, in seiner niederrheinischen Heimat, war er viele Jahre Betriebsleiter in der St. Töniser Textilfirma Jolentex. Als der Betrieb Konkurs ging, wurde Manfred Grünwald arbeitslos. Sein älterer Bruder Heinz, mittlerweile 74 Jahre alt, schlug ihm vor, in seine kleine Handweberei einzusteigen, die er sich als Rentner aufgebaut hatte – für den 54-Jährigen eine schöne Gelegenheit, nun auch die praktische Seite des Leinenwebens von der Pike auf zu erlernen. Es sei vielmehr als ein Hobby, sagt er und fügt hinzu: „Schließlich arbeite ich nicht an einem Tischwebrahmen, sondern übe ein traditionelles Handwerk aus.“

Heute kann sich Manfred Grünwald nichts Schöneres vorstellen als am eigenen Handwebstuhl kreativ zu sein, getreu dem Motto: „Willst leben, musst weben“. Der rüstige spätberufene Weber betont: „Ich freue mich schon morgens darauf. Weben hält mich körperlich und geistig fit, denn die Koordinationsfähigkeit wird ständig gefordert. Sobald man den Rhythmus verlässt, macht man sich alles kaputt. Früher konnte man am Gewebe den gesundheitlichen oder psychischen Zustand des Webers ablesen.“ Neben der Leidenschaft, eigene Ideen individuell umsetzen zu können, begeistert Manfred Grünwald die Qualität des Naturmaterials: „Leinen ist eine alte Kulturpflanze mit einer hohen Lebensdauer, besonderer Haptik und edler Optik.“ Davon kann man sich im kleinen Verkaufsraum hinter der Weberei überzeugen. In weißen Regalen liegen liebevoll dekorierte Tischdecken und -läufer, Tischsets, Geschirr- und Gläsertücher mit fein gekettelten Knopflöchern zum Aufhängen, Servietten und Kissenhüllen. Zeitlose Kollektionen, die Jahrzehnte überdauern.

 

„Das technische Wissen hatte ich. Was ich erlernen musste, war der Web-Rhythmus.“

Vorhänge und Tischwäsche für einen Bauernhof

„Unsere Kunden sind Menschen mit Interesse an schönen, langlebigen Produkten“, betont Renate Grünwald, die sich immer mal wieder über besondere Anfragen freuen darf: „Manchmal bringen Leute ihr Porzellan zu uns und bitten uns, dazu die passende Tischwäsche zu entwerfen. Einmal hat uns ein Ehepaar aus dem Augsburger Raum damit beauftragt, die gesamte Dekoration für seinen restaurierten Bauernhof zu weben. Dazu gehörten neben Tischwäsche auch Vorhänge. Sogar Bettwäsche haben wir einmal für eine Familie gefertigt. Und nach sechs Wochen kam bereits die erste Nachbestellung.“ Besonders ist auch die Zahlungspraxis, die Manfred Grünwald erläutert: „Vorkasse gibt es bei uns nicht. Die Kunden zahlen erst, wenn ihre Ware zuhause ist und sie sie angefühlt haben. Wir haben noch nie einen Euro verloren. Das ist eben eine andere Welt.“

Nach unserem Besuch wird deutlich: Die Handweberei Grünwald verlassen nur exklusive Liebhaber-Produkte. Und nur Liebhaber von feinem Leinen sind die Kunden. Ihren Lebensunterhalt können Manfred und Renate Grünwald durch die Leinenweberei nicht bestreiten. Daher ist auch eine mögliche Nachfolge offen. „Wenn wir jemanden finden würden, der das Handwerk beherrscht, die räumlichen Voraussetzungen mitbringt und genauso begeisterungsfähig ist wie wir, würden wir uns in absehbarer Zeit von unserem Webstuhl trennen“, sagt Manfred Grünwald. Allerdings mag man angesichts des Leuchtens in seinen Augen kaum den Zeitpunkt erahnen, wann er wirklich zum letzten Mal seinen geliebten Handwebstuhl in Gang setzt und seine Hände zum letzten Mal das Schiffchen durch die Kettfäden schießen.

 

Handweberei Grünwald
Langen Donk 122, 47809 Krefeld,Telefon: 02151-540861
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