Eingebettet in das ehemals vom Großbürgertum bewohnte Karré von Uerdinger Straße, Grenzstraße, Friedrich-Ebert-Straße und Roonstraße liegt eines der imposantesten und aus städtebaulicher Sicht anspruchsvollsten Gebäude Krefelder Architektur: das Gymnasium am Moltkeplatz. In diesem Monat feiert es seinen 100. Geburtstag. Bei einem Rundgang gewährten Schulleiter Dr. Udo Rademacher und der Krefelder Architekt und Städtebau-Kenner Klaus Reymann Einblicke in die bis ins kleinste Detail durchdachte und auf sichtbare Achsen ausgerichtete Architektur von Prof. August Biebricher und Ausblicke in die Zukunft des erhaltenswerten Stadtschlosses. Zwei Weltkriege hat es erlebt und gut gemeinte, aber nicht immer gut gemachte Reparaturen.

100 Jahre Gymnasium am Moltkeplatz

Imposant erhebt sich der 180 Meter lange dreiflügelige klassizistische Bau hinter der parkähnlichen Anlage, von deren Vergangenheit heute nur noch eine frisch gemähte Wiese, ein ehemaliges von 22 Steinkugeln umrandetes Hochbeet und einige Platanen zeugen. Über die breite monumentale Steintreppe schreiten wir unter das Hauptportal, das mit seinen vier ionischen Säulen und acht die Wissenschaft symbolisierenden Statuen an einen griechischen Tempel erinnert. Wie passend, schließlich ist das Moltke das traditionsreichste aller Krefelder Gymnasien.

„Jeder Stein, jede Türe und jedes Fenster sind mit Sinn und Verstand geplant und eingebaut worden.“ (Klaus Reymann)

Wieviel Tradition aus baulicher Sicht noch erhalten ist, spüren die Moltke-Schüler täglich, wenn sie durch die große Eingangshalle über die breite Steintreppe schreiten und über die endlos langen mit Sprossenfenstern gesäumten Flure ihre Klassenräume betreten. Oder wenn sie auf dem Pausenhof innerhalb denkmalgeschützter Mauern stehen und sich fragen, was sich wohl früher hinter den verwitterten Türen aus extrem haltbarem Pitch Pine-Holz verbarg. Noch sichtbar sind die liebevollen Verzierungen durch Stäbchenornamente – die Handschrift von August Biebricher, der unter anderem auch die Tribünen auf der Rennbahn und die Schule am Danziger Platz in Linn entwarf.

Draußen und drinnen wird der Gestaltungswille des Architekten deutlich. Das belegen die imposante Symmetrie bis in kleinste Details und die Verwendung hochwertiger und beständiger Materialien, die man heute bei vielen Neubauten vergeblich sucht. Unter der sachkundigen Anleitung des Krefelder Architekten und Kenners der Städtebau-Historie der Seidenstadt, Klaus Reymann, schauen wir uns einige der insgesamt rund 600 noch erhaltenen Architektenzeichnungen an – und kommen aus dem Staunen nicht heraus: Wir erfahren, dass das Gebäude bewusst in nordwestlicher Richtung geplant wurde, um Hitze aus den Klassenräumen fernzuhalten. „Das Moltke war die einzige Schule in Krefeld, in der es kein Hitzefrei gab“, weiß Schulleiter Udo Rademacher.

Ein Beispiel für die strikte Symmetrie wird beim Blick auf die Front des Moltke-Schlosses deutlich: Es besteht aus jeweils elf Fenstern rechts und links neben dem Hauptportal. Exakt davor wuchsen früher jeweils elf Platanen.
Auf der Wiese vor dem Gebäude befand sich ein sogenannter „Spiegelweiher“. Wenn die Sonne auf die Butzenscheiben der Flure schien, spiegelte sich dieses Bild im Wasser des Teichs. Am schönsten war der Blick von einer erhöhten Plattform aus, die genau gegenüber des Hauptportals im Park angelegt worden war. Leider verschwunden sind auch die sechs Meter halbrunden Steinbänke, wo damals auch Unterricht stattfand, so die Historie.

Im Treppenhaus fallen uns die hölzernen Handläufe mit halbrunden Erhöhungen auf. „Die wurden bewusst eingebaut, damit die Schüler nicht die Gelände herunterrutschten“, schmunzelt Klaus Reymann. Leider völlig durch den Krieg zerstört wurde die Aula. Mit der von Säulen gestützten begehbaren Galerie und der Rosetten-Kassettendecke zählte sie zu den schönsten neoklassizistischen Sälen Krefelds. Heute ist eine schalldämmende Decke eingelassen, und das Parkett bedürfte einer dringenden Überholung. Der Weg führt uns in das quadratische Turmzimmer in der Mitte des Hauptgebäudes. Assoziationen an das Märchen von Rapunzel kommen auf. Die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein. 12 Sprossenfenster in den kreisrund gemauerten Öffnungen geben den Blick frei auf sämtliche Krefelder Innenstadt-Kirchen, das erste Hochhaus (den „Mississippi-Dampfer“), aber auch auf unendlich viel Grün. Über eine steile Eisenstiege gelangen wir auf die Dachterrasse, die von 12 steinernen Amphoren auf einem Mäuerchen eingerahmt wird. Kein Krieg und kein Sturm konnte ihnen etwas anhaben. Eine Ausnahme.

100 Jahre Gymnasium am Moltkeplatz

Dr. Udo Radermacher ist seit einem Jahr Schulleiter und möchte nirgendwo anders mehr arbeiten: „Ich habe mich hier sehr schnell wohlgefühlt. Das Gebäude hat eine unglaubliche Atmosphäre. Die Verbindung aus der Historie und der Lebendigkeit der vielen jungen Menschen machen den Reiz aus.“

Bei den Umbau- und Reparaturarbeiten der vergangenen Jahrzehnte blieb der Anspruch an Optik und Dauerhaftigkeit für dieses städtebauliche Denkmal leider oftmals auf der Strecke. Wie im Zimmer von Direktor Udo Rademacher. Hier erinnert nur noch die drei Meter hohe Decke an die frühere Zeit. Die ehemaligen Holzfenster mit Butzenscheiben sind Metallfenstern gewichen, die Stuckdecken wurden durch Gipskarton ersetzt und das Parkett durch einen schallschluckenden Teppichboden.
Zerstörungen durch zwei Weltkriege, fehlende Finanzmittel, strenge Sicherheitsvorschriften, aber auch mangelndes Interesse an der Qualität und Würde der Architektur haben dem Gebäude von den Fenstern bis zum Dach mächtig zugesetzt.

100 Jahre Gymnasium am Moltkeplatz

Mit Fachwissen und Herzblut plädiert Architekt Klaus Reymann für die Sanierung. Denkmalgerecht hat er bereits die Museumsgebäude Haus Lange/Haus Esters und den Deuß-Tempel im Stadtwald restauriert. Auf „acht bis zehn Millionen Euro“ schätzt er den Sanierungsaufwand für das Moltke-Gebäude. Das sei wenig im Verhältnis zur bestehenden Bausubstanz, „die dann wieder 200 Jahre Bestand hätte“. Bei der Stadt setzt sich Reymann mit Nachdruck dafür ein, Städtebau-Fördermittel von Bund und Land zu beantragen. Zusätzlich könnte die Krefelder Baudenkmal-Stiftung, die Reymann vor 20 Jahren ins Leben gerufen hat, Mittel zur Verfügung stellen. Aber vorher muss die Bereitschaft der Verantwortlichen geweckt werden, dem Gestaltungswillen aus der damaligen Zeit Rechnung zu tragen.