In diesen Tagen feiert die Westdeutsche Zeitung ihren 140. Geburtstag. Mit 18.500 Abonnenten und einer Auflage von 20.000 Exemplaren täglich ist die WZ die auflagenstärkste Tageszeitung der Seidenstadt. Im KR-ONE-Gespräch wagen der stellvertretende Redaktionsleiter, Michael Passon, und Daniel Poerschke, Verlagsleiter Niederrhein, einen Blick nach vorn: ins WZ-Zeitalter 5.0.
// KR-ONE: Glauben Sie, dass Redakteure vor 140 Jahren den Hauch einer Vorstellung davon hatten, wie Journalismus im Jahr 2016 aussehen würde? Michael Passon: Auch Ende des 19. Jahrhunderts war es Ziel einer Tageszeitung, Informationen zu sammeln, zu verarbeiten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das hat sich bis heute nicht geändert. Es ist natürlich für uns heute kaum überblickbar, welche Kanäle sich in Zukunft noch auftun werden. Damit Schritt zu halten und nicht nur meinungsführend, sondern auch führend in der Nachrichtenübermittlung zu sein, ist unsere Aufgabe.
// Wie managen Sie konkret die Herausforderungen des digitalen Zeitalters im Spannungsfeld zwischen Zeitung und Internet?
Michael Passon: Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es keinen zu vernachlässigenden Informationskanal mehr gibt: Neben unserem Hauptprodukt, der Tageszeitung, mit der liebgewonnenen, gewohnten Haptik, müssen wir die sozialen Medien ebenso so ernst nehmen wie unseren Online-Auftritt. Wir legen großen Wert darauf, dass alle Kanäle ständig professionalisiert werden. Außerdem nutzen wir crossmediale Synergien, zum Beispiel mit Welle Niederrhein.
// Nehmen wir als erstes Beispiel einmal den Informationskanal „wz.de“. Welche Chancen hat das Internetportal der WZ?
Michael Passon: Wir haben eine hohe lokale Kompetenz durch eine stabile, große Redaktionsmannschaft und super vernetzte freie Mitarbeiter, die zum großen Teil hier zuhause sind, sich in Sportvereinen organisieren, sich in Kneipen treffen, über die Kinder Kontakt zu Kitas und Schulen haben. Darüber generieren wir lokale Kompetenz. Online funktioniert am besten, wenn wir etwas anbieten, das nicht jeder anbieten kann. Da ist genau das Lokale superwichtig. Deshalb ist unser Online-Auftritt eine große Chance.
// Und auch die WZ-Facebookseite? Michael Passon: Ja, denn sie hat nicht nur eine nachrichtliche Bedeutung. Es ist auch eine kommunikative Geschichte, die sich unter den Usern entwickelt. Über Facebook sind wir mit den Krefeldern ständig im Dialog. Nachbarschaften, Freundeskreise, Sportgemeinschaften stellen regelmäßig Content ins Netz. Das kann zum Beispiel der Hinweis auf eine defekte Straßenlaterne sein. Über unsere Facebook-Seite holen wir uns auch redaktionelle Anregungen.
// Neben Online-Portal und Facebook-Seite gehen Sie medial bald noch einen Schritt weiter. Wie ist der Stand der Dinge bezüglich der WZ-App? Michael Passon: Sie wird wohl noch in diesem Jahr live geschaltet. Es soll eine News-App werden, die den modernsten Anforderungen entspricht. Schließlich soll sie nicht nacherzählen, was man morgens in der Zeitung gelesen hat. Sie muss die Story weitererzählen und den tagesaktuellen Informationsbedarf der Nutzer befriedigen.
// Internet, Facebook, die künftige App – diese Kanäle müssen ständig auf dem neuesten Stand sein, nicht nur inhaltlich… Daniel Poerschke: Deshalb haben wir gerade unsere mobile Webseite überarbeitet. 40 Prozent der Zugriffe kommen nämlich von mobilen Endgeräten wie Smartphones oder Tablets. Auf ihnen muss die Webseite benutzerfreundlich angezeigt werden.
// Man darf vermuten, dass durch das Online-Angebot auch jüngere Leser hinzugekommen sind… Daniel Poerschke: Richtig, und diese Klientel möchten wir dort abholen, wo sie steht. Deshalb beschäftigen wir bewusst einige junge Kollegen um die 30. Die haben andere Kontakte, andere Themen, einen anderen Zugang zu Geschichten und Menschen aus ihrem Umfeld.
// Welche Themen bieten Sie dem jüngeren WZ-Publikum?
Daniel Poerschke: Es gibt besondere Aktionen. Beispiel „Krefeld Pinguine“. Wir haben in dieser Saison zum ersten Mal die Stadionzeitung produziert. Bei jedem Heimspiel werden in der Halle und als Zeitungsbeilage rund 25.000 Exemplare verteilt. Darin berichten wir über den Krefelder Eishockeysport. Wir schildern aber auch, welche Auswirkungen nationale oder internationale Entwicklungen im Eishockeysport konkret auf die Krefeld Pinguine haben.
„Die Krefelder in ihren Stadtteilen sehen sich als Hülser, Bockumer, Fischelner. Wir möchten ihnen aber auch vermitteln, dass es eine Heimat außerhalb ihres Stadtteils gibt. Dass sie Krefeld als Ganzes begreifen: als eine liebenswerte, multikulturelle, moderne und fortschrittliche Stadt.“
// Gibt es Themen, die im Vergleich zu früher mehr Gewicht bekommen haben? Michael Passon: Ja, im Bereich der Identitätsstiftung ganz bestimmt. Die Krefelder in ihren Stadtteilen sehen sich als Hülser, Bockumer, Fischelner. Wir möchten ihnen aber auch vermitteln, dass es eine Heimat außerhalb ihres Stadtteils gibt. Dass sie Krefeld als Ganzes begreifen: als eine liebenswerte, multikulturelle, moderne und fortschrittliche Stadt.
// Wer sind Ihre Leser heute und morgen? Daniel Poerschke: Unsere Leser leben in Krefeld, arbeiten hier, sind hier verwurzelt. Sie interessieren sich ganz stark für Themen aus ihren Stadtteilen. Daher legen wir auch den Fokus genau darauf. Jeden Tag gibt es mindestens zwei Seiten Stadtteilberichterstattung – Stichwort „WZ-Bus“. Die Bindung wird noch dadurch erhöht, dass jeder Redakteur einen Stadtteil, bestenfalls seinen eigenen, betreut. Michael Passon: Das Krefelder WZ-Team arbeitet nicht nur in Krefeld, sondern wir pflegen alle hier vielfältige – auch private – Beziehungen. Für uns ist der Leser daher nicht nur ein Geschäftskunde, sondern wir begegnen uns täglich im ganz normalen Miteinander: beim Fußball oder Eishockey, in der Kneipe oder der Eisdiele, in Kitas und Schulen. Das ist das große Pfund, das wir in Krefeld anbieten können.
// Was ist Ihr Rezept für eine künftige enge WZ-Leser-Bindung?
Michael Passon: Wir wollen eine WZ zum Anfassen sein. Wir holen die Leser ins Blatt, entweder in Form von Interviews oder über lebensnahe Geschichten. Wir sind die Kompetenz, die man fragt, wenn die Linie 76 jeden Morgen fünf Minuten zu spät kommt. Unsere Pflicht ist es dann zu recherchieren, warum das so ist und wann der Mangel abgestellt wird.
// Werden wir in 25 Jahren noch eine WZ-Print-Ausgabe beim Frühstück lesen können? Michael Passon: Wenn ich ‘ne Glaskugel hätte… Ich glaube aber, dass unser Geschäftsmodell auch in 25 Jahren noch besteht. Dessen Kern ist ja, Informationen zu sammeln, zu verarbeiten, „nachrichtenkompetent“ zu sein, und diese Nachrichten zu verkaufen. Daniel Poerschke: Wichtig ist, dass wir auch in Zukunft noch die Relevanz an unserem Standort haben. Dass sich die Leute ihre lokalen Nachrichten bei uns holen. In welchem Format, mit welchem Medium das passiert, ist zweitrangig. Michael Passon: Ob wir dann einen ausklappbaren LED-Fernseher in der Manteltasche mit uns herumtragen, wissen wir alle nicht. Wir werden die Hardware an unsere Kompetenz anpassen. Und die ist Nachrichten und Geschichten zu erzählen.

Das Büro der WZ in Krefeld
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Petra Verhasselt