Geht es um städtebauliche Veränderungen, gibt es stets verschiedene Akteure, die den Anstoß liefern können: Die Stadt, ihre Bürger oder beide gemeinsam. Ein herausragendes Beispiel für ein nachhaltig wirksames bürgerschaftliches Engagement, das durch die Stadt aufgegriffen wird, ist in Krefeld die Überdachung der Königstraße. Vor 17 Jahren wurde das insgesamt 520 Meter lange Mammutprojekt aus 70 Tonnen Glas und 68 Stützpfeilern nach 15-monatiger Bauzeit für rund 4,8 Millionen D-Mark fertiggestellt und veränderte nicht nur die Königstraße, sondern gleich die gesamte Innenstadt zum Positiven – eine Blaupause für zukünftige Bauprojekte, die aus der Bürgerschaft Krefelds erwachsen können?

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Eckhard Lüdecke, damaliger Innenstadtkoordinator und in seiner Position zuständig für die bauliche Entwicklung der Innenstadt, erinnert sich noch genau an den Moment und die Akteure, die den Stein ins Rollen brachten: „Helmut Bauer und Alois Lichtenberg, beides langjährige Geschäftsleute der Königstraße, standen eines Tages im Jahr 1999 mit einer Skizze des geplanten Glasdachs, angefertigt vom Architekten Ortwin Hillnhütter, vor meiner Tür im Planungsamt. Der Zeitpunkt war denkbar ungünstig, denn neben vielen anderen Projekten und einem bereits abgesegneten Haushalt stand mit dem Neubau des Behnischhauses ein weiteres Großprojekt an. Es stand zu befürchten, dass die Innenstadt zwei so nah beieinander liegende Großbaustellen nicht verkraften kann.“ Doch angesteckt von der Euphorie der Geschäftsleute und überzeugt von den bereits weit fortgeschrittenen Plänen samt Finanzierungskonzept bekam die Idee schnell breite politische Rückendeckung. „Ein Objekt, bei dem die Bürger selbst so viel Engagement und Geld mitbringen, wollte niemand ablehnen. Und so stellten wir uns der arbeitsintensiven Aufgabe“, erinnert er sich. Stadt und Land erklärten sich bereit, Geld zuzuschießen und die Planungen für das Glasdach samt Beleuchtungskonzept und umfassenden Tiefbaumaßnahmen begannen.

Die Königstraße befand sich damals in einer schweren Krise. Einst prunkvolle Hauptstraße der aufblühenden Seidenstadt im 17. Jahrhundert wurde die nach König Wilhelm III. benannte Straße im zweiten Weltkrieg weitestgehend zerstört. Baulücken und notdürftig ersetzte Baukörper waren die unansehnliche Folge. „Die Königstraße war auch Ende der 90er-Jahre weiterhin von Trading-Down-Effekten betroffen: Mehr und mehr Ladenlokale standen leer und die Straße verfiel zunehmend“, erinnert sich Lüdecke an den desolaten Zustand, der durch die damals neu gegründete Interessengemeinschaft aus Einzelhändlern und Eigentümern mit Bauer und Lichtenberg an der Spitze verbessert werden sollte. In eben dieser bis heute bestehenden IG Königstraße reifte dann auch schnell als erstes und wichtigstes Projekt die Idee einer Glasüberdachung für die Krefelder „Kö“. „Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass die Sterne für das Projekt besonders günstig standen“, scherzt Lüdecke und erläutert: „Es gab tatkräftige Akteure, die den Anstoß gaben und einen Zusammenschluss an Eigentümern, die sich überzeugen ließen und Geld investierten. Auch die Politik und die Verwaltungsspitze zogen an einem Strang. Außerdem gab es letztlich mit Herrn Lenné, Herrn Bauer, Herrn Lichtenberg und mir ein tatkräftiges, sich gegenseitig vertrauendes und schlagfertiges Team an Planern und Initiatoren, die die Idee in die Tat umsetzten.“ An die gute Überzeugungsarbeit seitens der Initiatoren erinnert sich auch Michael Esser vom gleichnamigen Reisebüro noch sehr gut: „Herr Bauer kam persönlich zu meinen inzwischen verstorbenen Eltern und überzeugte sie und fast alle anderen Eigentümer durch persönliche Gespräche. Da sich die Königstraße in einem sehr schlechten Zustand befand, kam die frische Idee wie gerufen.“ Die eigentümerseitigen Kosten in Höhe von etwa 1,5 Millionen Euro, die mit einem fairen Schlüssel anhand der Länge der Schaufensterfronten aufgeteilt wurden, konnten so schnell eingetrieben werden.

 

 

Eckhard Lüdecke

Eckhard Lüdecke, Innenstadtkoordinator a.D.

„Ein Objekt, bei dem die Bürger selbst so viel Engagement und Geld mitbringen, wollte niemand ablehnen. Und so stellten wir uns der arbeitsintensiven Aufgabe.“

 

 

 

 

„Die Königstraße ist seit der Überdachung zu einer Vorzeigestraße geworden, die sogar Kunden aus Nachbarstädten anzieht. Natürlich gab es in den letzten 17 Jahren Höhen und Tiefen, doch mein Fazit fällt durchweg positiv aus.“

 

Bevor das bundesweit in dieser Form einzigartige Erfolgsprojekt am 25. November 2000 feierlich eröffnet wurde, galt es jedoch, einige Hürden zu nehmen. „Insgesamt gab es erstaunlich wenige Widerstände, dennoch ist ein Bauvorhaben dieser Größenordnung natürlich nicht reibungslos zu stemmen. Viele technische Raffinessen, die unsichtbar verbaut sind, machten es möglich, die nötigen Baugenehmigungen in Rekordzeit zu bekommen und zügig mit dem Bau zu beginnen“, erklärt Lüdecke und verweist damit auf Details wie den zehn Zentimeter breiten Abstand des Glasdachs zu den Fassaden, um Einzelgenehmigungen zu vermeiden oder die außergewöhnlich konstruierten Feuerleitern. „Außerdem mussten wir einige bürokratische Hürden umgehen und in vielen Punkten nach dem Prinzip ‚Augen zu und durch‘ agieren, um den festgezurrten Zeitplan zu schaffen. Glücklicherweise hatten wir dabei die Rückendeckung und das Vertrauen der Planungsspitze.“ Ein so zentraler und großer Eingriff in eine Innenstadt erfordert jedoch auch eine intensive Marketing-Arbeit mit dem Ziel, die Bürger mitzunehmen, zu überzeugen und zu informieren. Auch in dieser Hinsicht war die Überdachung der Königstraße ein absolutes Novum, wie der Innenstadtkoordinator a.D. erklärt: „Es war der Anstoß für eine eng verzahnte Zusammenarbeit mit dem Stadtmarketing, die bis heute andauert. Wir mieteten ein Geschäft an, hielten dort Bürgerversammlungen ab, produzierten Plakate, führten Presseinterviews und rollten über dem Bauschutt sogar rote Teppiche aus, um den Stammkunden auch während der Bauzeit einen angenehmen Einkauf zu ermöglichen.“

17 JAHRE ÜBERDACHT– LICHT OHNE SCHATTEN

Die Überdachung der Königstraße ist eine Erfolgsgeschichte mit positiven Auswirkungen, die noch heute spürbar sind. „Die Baumaßnahme war in jeder Hinsicht ein voller Erfolg“, freut sich Reisebüro-Betreiber Esser und ergänzt: „Die Königstraße ist seit der Überdachung zu einer Vorzeigestraße geworden, die sogar Kunden aus Nachbarstädten anzieht. Natürlich gab es in den letzten 17 Jahren Höhen und Tiefen, doch mein Fazit fällt durchweg positiv aus.“ Das ursprüngliche Rezept geht auf: Die Eigentümer profitieren von einer nachhaltigen Wertsteigerung ihrer Immobilien, die Bürger und Geschäftsleute von einer attraktiveren Lauflage und die Stadt Krefeld von einer optischen Aufwertung der Innenstadt. Insbesondere letzterer Aspekt ist in den Augen des erfahrenen Stadtplaners Lüdecke, der seinerzeit in vielen deutschen Städten Vorträge zum Vorzeigeprojekt Königstraße hielt, von unschätzbarem Wert: „Ich habe immer die Position vertreten, dass die Innenstadt das Aushängeschild einer Stadt ist und höchste Priorität genießen sollte. Oft wird vergessen, dass Krefeld eine Großstadt ist und als solche entsprechende Markenzeichen benötigt. Eine Stadt braucht Leuchttürme.“ Fraglos: Der erste Eindruck zählt und Besucher einer Stadt multiplizieren ihren subjektiven Ersteindruck und tragen ihn hinaus in die Welt. Ausgehend von dieser Grundprämisse wundert es nicht, dass Lüdecke sich am Ende seiner Laufbahn zum Beispiel intensiv für die viel kritisierte Ostwall-Haltestelle einsetzte und auch derzeitige Großbaustellen positiv bewertet: „Krefeld ist auf einem guten Weg und es laufen gute und wichtige Großprojekte. Allerdings darf man jetzt, wo der Motor angeworfen ist, nicht den Leerlauf einschalten. Es müsste und könnte noch viel mehr passieren.

“ Um den derzeitigen Aufwind städtischer und privater Bauprojekte zu nutzen und weiter zu tragen, erscheint die Erfolgsgeschichte der Königstraße als geeignete Blaupause und Mutmacher für zukünftige bürgerschaftliche Initiativen. Natürlich handelt es sich bei dem solitären Großprojekt Königstraße um eine Ausnahmeerscheinung und millionenschwere Investitionen sind fraglos nicht überall und ohne Weiteres zu stemmen. Doch bürgerschaftliches Engagement für die Heimatstadt beginnt bereits viel früher und es muss nicht immer gleich ein gläserner Leuchtturm errichtet werden. Wenn die Bürger erkennen, dass sie durch ihr eigenes Verhalten positiven Einfluss auf die Entwicklung Krefelds nehmen können, ist bereits viel gewonnen. In der Innenstadt statt im Internet zu kaufen, oder sich für ganz kleine bauliche Verbesserungen zu engagieren, kann letztlich in Summe zu einem Quantensprung führen.