Das Jazz gar keine richtige Kunst ist, sondern eher eine „Verführung zum Primitiven“, gegen solche Vorwürfe musste die Krefelder Presse den Jazzkeller in seinem Gründungsjahr 1958 noch in Schutz nehmen. Jazzfan zu sein, das war in den konservativen Fünfzigern noch etwas Subversives. Die Stützen der Gesellschaft liebten eher Tonkreationen wie den Radetzky-Marsch oder das Liedchen über „die Beine der Dolores“, so steht es zumindest in der Chronik zum 50-jährigen Bestehen des Kellers. Und auch in den Sechzigern galten Jazz-Klänge eher als eine Musikrichtung für abgehobene Progressive und schräge Künstler, zu der Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher keinen Zugang haben. Andererseits war genau dieser Ruf ein Katalysator des Erfolgs.
Zunehmend mischten sich Literaten, Theaterfreunde und Maler unter die Musikfreunde und verhalfen dem ehemaligen „Studentenkeller“ zum besonderen Etwas und außergewöhnlicher Wandbemalung. Allerhand Prominenz vom Profisportler bis zur Modeschöpferin gaben sich an der Lohstraße ein Stelldichein. Der Jazzkeller war Kult, und das weit über die Grenzen Krefelds hinaus. Daran konnten auch die häufigen Inhaberwechsel, ein Brand im Jahre 1971 und die darauffolgende kurzzeitige Schließung durch die Baupolizei nichts ändern.
Darüber hinaus war der Jazzkeller auch immer schon ein Lokal, in dem man entspannt ein Bier trinken und mit sympathischen Leuten quatschen konnte. Randale und Kneipenschlägereien waren und sind im Jazzkeller nahezu unbekannt. Klar, wurde hier auch ordentlich Gerstensaft und Hochprozentiges konsumiert, aber genauso gab es die Möglichkeit, ungestört Schach oder Backgammon zu spielen, wie es der heutige Wirt Bernard „Berni“ Bosil Anfang der 80er Jahre als 15-Jähriger tat. „Wir sind damals gar nicht wegen des Jazz in den Keller gegangen“ erinnert er sich, „sondern weil wir uns hier als Jugendliche wohlgefühlt haben. Es war ja fast immer geöffnet, und Alkohol durften wir als Minderjährige in der Kneipe sowieso nicht trinken.“ Dass seine Stammkneipe eines Tages sein Arbeitsplatz werden würde, hatte der Krefelder Gymnasiast damals allerdings noch nicht im Sinn.
Zunächst schien es auch, als ob Bernard Bosil einen total bürgerlichen Lebensweg einschlüge. Er absolvierte Ausbildungen zum Büro-, Groß- und Außenhandelskaufmann und arbeitete als Lohnbuchhalter. Daneben entdeckte er aber bereits früh seine Liebe zur Gastronomie und jobbte über 14 Jahre nebenbei im Stadtwaldhaus. Der Traum, selbst Gastronom zu werden, blieb. Es sollte allerdings kein normales Restaurant oder eine Standardkneipe werden, sondern auf jeden Fall etwas mit Live-Musik. Als im Jazzkeller dann 2006 wieder einmal ein neuer Betreiber gesucht wurde, griff Bosil beherzt zu. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Jeanette Wolff, die vorher bereits einige Zeit im Jazzkeller gekellnert hatte, wurde „Berni“ der neue Kellerwirt. „Bei den Verhandlungen mit dem Hauseigentümer gab es überhaupt keine Probleme“, schmunzelt er und ergänzt: „Die Kombi von kaufmännischer und gastronomischer Erfahrung zusammen mit Jeanettes Insiderkenntnis überzeugten den Vermieter sofort“. Die neue Ära konnte beginnen.

Wirt Bernard „Berni“ Bosil
„Am 10. April 1958 hat der Jazzkeller eröffnet,
und es ist toll, dass der Keller nach wie vor so lebendig ist.“
Und Berni schaffte es nicht nur, den Vermieter zu überzeugen, auch alte und neue Musikfreunde gewann er schnell für das Krefelder Traditionslokal. Zuerst war allerdings Aufräumen angesagt. Es wurde entrümpelt und gereinigt, eine moderne Lüftungs- und Heizungsanlage wurde eingebaut, die Toiletten wurden saniert und eine kleine Künstlergarderobe eingerichtet. In dieser Garderobe nahmen dann bald Künstler unterschiedlichster Musikrichtungen Platz. Berni war und ist nämlich nicht ausschließlich Jazzfan, sondern vor allem Liebhaber guter Live-Musik. „Wir sind heute ein echter Live-Club, in dem unterschiedliche Musik von Funk und Rock über Blues bis zu Jazz gespielt wird“, so der Jazzkeller-Betreiber. Von unseren über 100 Live-Konzerten im Jahr sind vielleicht 40 mit Jazz. Musik aus der Konserve gibt es hier aber fast nie – höchstens mal an Tagen wie Silvester oder Karneval – aber auch da spielt zumindest am Anfang eine Karnevals-Live-Band.“
Bei der Zusammenstellung des Jazz-Programms setzt Bernard Bosil inzwischen ganz auf den Krefelder Jazzklub, der 1979 hier im Keller gegründet wurde. „Von unseren etwa 50 Konzerten, die wir im Jahr ausrichten, finden bestimmt 90 Prozent im Jazzkeller statt. Wir freuen uns, dass der Jazzkeller heute so erfolgreich ist – ein echtes Schwergewicht der Krefelder Kulturszene“, erklärt Jazzklub-Kassierer Christoph Kuntze. „Jazzattack“ und „Jazz Session“ sind zwei weit über die Seidenstadt hinaus bekannte Veranstaltungsreihen, die der Jazzclub an der Lohstraße durchführt, dazu immer wieder Konzerte mit international bekannten Jazzbands und die „Session for Beginners“, um den Nachwuchs zu fördern. Komplettiert wird das Jazzkeller-Programm durch Konzertreihen wie Martin Engeliens „Go Music“ und „Andy Pilgers Funky Friday“, die Benard Bosil selbst ins Leben gerufen hat. Dazu kommen unter dem Titel „Monkey Night“ – eine Idee von Volker Diefes – inzwischen auch Comedians zum Zuge, und alle 14 Tage montags gilt im „Quizzkeller“ das Motto: „Kluge Köpfe rauchen über schlauen Fragen!“
„Am 10. April 1958 hat der Jazzkeller eröffnet“, freut sich Bernard Bosil, und fügt hinzu: „Es ist toll, dass der Keller nach wie vor so lebendig ist. Wir haben viele Stammgäste, die schon 30 oder 40 Jahre kommen, aber auch immer wieder junge Leute von 18 oder 19. Das Publikum ist total gemischt und immer locker und gut drauf. Wir haben auch keine Probleme mit unseren Nachbarn, obwohl über uns viele Wohnungen sind. Die Konzerte gehen vielleicht gegen halb eins oder eins zu Ende, und dann schaffen es unsere Gäste, ohne allzu viel Lärm nach Hause zu gehen.“ Direkt über dem Jazzkeller finden sich mit den Räumen von Tommy Hilfiger und Tabak Janßen allerdings weniger lärmempfindliche Nutzungen, denn der Jazzkeller liegt eigentlich mehr „unter der Königstraße“ als an der Lohstraße. Unabhängig von Nachbarnutzungen, Konzertformaten oder Gastronomiekonzepten ist das Erfolgsrezept des Jazzkellers aber wohl immer noch die ganz besondere Atmosphäre dieses kleinen Kellerraums in der Krefelder Innenstadt, in dem man sich so wunderbar aus dem nüchternen Alltag ausklinken kann. Heute, wie vor 60 Jahren.
Jazzkeller Krefeld
Lohstraße 92, 47798 Krefeld
Tel.: 0162 2013145
Web: www.jazzkeller.info