Architektur gegen Zeit

Der „Lost Places“-Fotograf Sven Fennema fängt den Geist verlassener Orte ein

So wie die Zeit auf den Gesichtern alternder Menschen Falten hinterlässt, zeichnet sie auch alles Menschengemachte. Wenn etwas altert, manifestiert sich dieser Prozess in Anzeichen, die unmissverständlich auf Erlebtes und Verfall hindeuten. „Die Zeit ist selbst ein Element“, hat schon der Dichter und Naturforscher Johann Wolfgang von Goethe festgestellt. Dieser Vergleich beschreibt die Charakteristik der Zeit erstaunlich treffend. Wie Feuer, Luft oder Wasser kann auch die Zeit Dinge und Lebewesen beeinflussen, kann Zustände verändern. Zeit fasziniert uns Menschen, besonders, wenn sie bereits vergangen ist. Viele Berufsgruppen beschäftigen sich mit Vergangenem: Archäologen, Geologen, Historiker – oder Fotografen. Der in Krefeld lebende Fotograf Sven Fennema hat sich als „Lost Places“-Fotograf der Verbildlichung von Zeitprozessen an Bauwerken verschrieben. 

Lost Places Architektur Gegen zeit-Sven Fennema

Sven Fennema

Der 36-Jährige lebt mit seiner Frau und Tochter in Schicksbaum. Das gemütliche, helle Wohnzimmer der kleinen Familie zieren einige seiner Werke. Dass er einmal hauptberuflich Fotograf sein würde, hatte der einstige Informatiker ursprünglich gar nicht geplant. Doch wie es sich manchmal so fügt mit den Leidenschaften eines Menschen, rückten auch bei Sven Fennema das Hobby Fotografie und das Interesse für historische Architektur mehr und mehr in den Fokus seines Alltags, bis sie irgendwann den Hauptberuf verdrängten. Vor neun Jahren fing er an, sich der Arbeit als Architektur- und „Lost Places“-Fotograf zu widmen. Verblassende Farben, abblätternde Tapeten, Pflanzen, die sich eines Gebäudes bemächtigen: Was anderen Menschen nur wie ein guter Grund zum Abriss erscheinen mag, weckt Sven Fennemas Faszination. „Entweder sind es die Größe und die Erhabenheit, die ein Ort ausstrahlt, die mich beeindrucken. Oder mich fasziniert ein Gebäude auf erschreckender Ebene, wenn es sich zum Beispiel um eine ehemalige Psychiatrie handelt. Und dann gibt es Orte, wo die Natur sich ihren Raum zurückholt, sobald keine Menschen mehr den Ort bewohnen. Das ist absolut beeindruckend“, erzählt er begeistert.

Lost Places Architektur Gegen zeit

Die Korridore dieser ehemaligen Psychiatrie im Piemonte umlaufen die von der Außenwelt abgeschnittenen und überwachsenen Innenhöfe

Zunächst fotografierte Fennema im Ruhrgebiet, nutze die hiesige Industriekultur, um sich mit seinem neuen Hobby auszuprobieren. Seit 2009 ist er auch international unterwegs. Besonders gern und entsprechend häufig begibt er sich nach Italien. „Die dortige Architektur ist einfach wunderschön. Außerdem besteht ein großer Reichtum an alter Substanz und echter Baukunst. Und man kann sich weniger eingeschränkt bewegen als hierzulande“, erklärt er mit einem Zwinkern. Zu seinen weiteren Reisezielen gehören Frankreich, Polen, Belgien, Luxemburg und Spanien. Was sich anhört, wie eine Aneinanderreihung von Urlaubsreisen, ist tatsächlich eine sehr anspruchsvolle und zeitintensive Arbeit. Die „Lost Places“ überhaupt zu finden, ist mit ausführlicher und gründlicher Recherche verbunden. Satellitenkarten, Immobilienanzeigen und alte Postkartenarchive zählen zu Sven Fennemas Informationsquellen, wenn er neue Motive sucht. Am Ziel selbst gilt es dann, die Seele des Ortes originalgetreu festzuhalten. „Ich erzähle in meinen Fotos die Geschichten der Gebäude, möchte ihre Stimmung und ihren Charakter einfangen“, erklärt der Fotograf. Wenn man ihn beim Sprechen über seine Arbeit beobachtet, kann man sich gut vorstellen, wie er vorsichtig eine alte, verwitterte Holztür öffnet und nach dem Eintreten ehrfurchtsvoll den Blick schweifen lässt über Gemäuer, alte Treppen und Mobiliar. Er spricht fast freundschaftlich über die Gebäude, die er besucht hat – mit Begeisterung und Anerkennung.

“Entweder sind es die Größe und die Erhabenheit, die ein Ort ausstrahlt, die mich beeindrucken…  Und dann gibt es Orte, wo die Natur sich ihren Raum zurückholt, sobald keine Menschen mehr den Ort bewohnen. Das ist absolut beeindruckend.”

Sven Fennema hat innerhalb der letzten Jahre verlassene Krankenhäuser und Sanatorien besichtigt, halb verfallene Dörfer erkundet, Schlösser und Herrenhäuser besucht, deren einstige Pracht sich über die Zeit verflüchtigt hatte. „Mich interessiert das Schöne im Verfall. Sicher ist es manchmal wirklich schade, wenn man darüber nachdenkt, wie die Gebäude wohl früher einmal ausgesehen haben. Andererseits ist es der Reiz der ganzen Sache, dass von diesem „Damals“ nur noch eine Ahnung da ist“, erklärt er seine Leidenschaft und schließt: „Diese alten Gebäude haben Charakter und jedes hält seine eigene Geschichte bereit.“ Deshalb verzichtet Fennema auch auf technische Hilfsmittel wie künstliches Licht oder Reflektoren. Er nutzt die Gebäude und das Tageslicht so, wie sie sich ihm anbieten, um das Motiv möglichst naturgetreu darzustellen. Die Zeichen der Zeit beeindrucken ihn jedes Mal aufs Neue.

Mit den Funden seiner vielen Reisen hat Fennema seit 2014 bereits drei Bildbände gefüllt. In seinem ersten Buch „Tales of Yesteryear“, zu dem seine Frau die Textbeiträge verfasst hat, entführt Fennema den Betrachter auf eine Reise quer durch Europa. In seiner zweiten Veröffentlichung „Nostalgia“ geht er auf die Architektur seines Lieblings-Reiseziels Italien ein. „Neuland“, die neueste Veröffentlichung, thematisiert die Zurückeroberung verlassener Orte durch die Natur. Derzeit arbeitet der Fotograf bereits an einem neuen Bildband, der 2019 herauskommen soll. Im selben Jahr wird es im Gewölbekeller des Kamp-Lintforter Klosters Kamp auch eine Ausstellung geben. Welche Orte er als nächstes bereist, möchte Sven Fennema noch nicht verraten. Seine Faszination für die Zeichen der Zeit bleibt auch nach zehn Jahren ungebrochen, denn es warten noch viele Länder darauf, entdeckt zu werden. Das „Element“ Zeit wird dort an vielen „Lost Places“ seine Spuren hinterlassen, die Sven Fennema mit seiner Kamera einfangen kann.

 

Living Pictures,
Am Kempschen Weg 80,
47804 Krefeld

Tel.:0152 58122824,
Mail: pr@sven-fennema.de, www.sven-fennema.de