Wenn in den kleinen Tanzbars von Buenos Aires zum Tango aufgespielt wird, steht oft ein „Orquesta típica“ auf der Bühne, das standardmäßig mit Bandoneons, Violinen, Klavier und Kontrabass besetzt ist. Dabei hat das Bandoneon eine absolut tragende Rolle. Es ist die Seele der Tangomusik. So war es in der großen Zeit des Tangos in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und so ist es im Prinzip heute noch. Was aber ist das für ein Instrument, dass sich so wundervoll dazu eignet, die melancholische und zugleich lebendige Musik des Tango Argentino zu transportieren?

Was ist ein Bandoneon?

Das Bandoneon ist ein sogenanntes Handzuginstrument, das Töne durch das Bewegen eines „Blasebalges“ entstehen lässt. Es gehört zur Familie der Ziehharmonikas – ist also verwandt mit dem Akkordeon. Anders als
beim Akkordeon, wird die Musik hier allerdings über das Drücken von Knöpfen – und nicht über eine Pianotastatur – erzeugt und bietet dadurch eine viel größere musikalische Bandbreite. Und „Band“ ist hier auch genau das richtige Stichwort. Denn entwickelt wurde das Lieblingsinstrument der tangoverrückten Argentinier durch einen Krefelder – den Musikalienhändler Heinrich Band, der von 1821 bis 1860 lebte.

Musikinstrumente für das Krefelder Bürgertum

Heinrich Bandt, der Erfinder des Bandoneons

Die Familie Band gehörte zum aufstrebenden Mittelstand der damaligen Seidenstadt. Heinrich Bands Großvater war noch Tagelöhner und Analphabet, während sein Vater Peter Weber als Weber arbeitete und den Mut besaß, sich mit dem Verkauf von Musikinstrumenten selbständig zu machen. Ihre Instrumente verkauften die Bands vor allem an ihresgleichen, das neue Bürgertum, das sich Schritt für Schritt von der alten Oberschicht emanzipierte – und etwas Geld für Kultur übrig hatte. Ein besonders gut verkäufliches Produkt waren Harmonikas (oder Accordien), Handzuginstrumente, die Band von sächsischen Herstellern bezog. Die Instrumente hatten damals allerdings nur 20 Tontasten, was die erzeugbaren Melodien deutlich einschränkte. Also experimentierte Band mit einer Erweiterung der Tastatur. Sein Ziel war es, ein „kleines Orchester“ zu schaffen. Schließlich gelang es ihm in seiner Werkstatt, ein Accordion mit vier Reihen und 44 Tasten zur Erzeugung von 88 Tönen zu kreieren. Der Durchbruch zum „Bandonion“ (so die erste Schreibweise) war geschafft. Der Name lässt sich bereits ab 1855 nachweisen.

Krefeld, Sachsen und der Rest der Welt

In den folgenden Jahrzehnten wurde der Tonumfang der Bandoneons immer größer, steigerte sich auf 100, 130 und mehr Töne. Produziert wurden die von Band entwickelten Musikinstrumente im sächsischen Waldheim.
Eine Fabrik im engeren Sinne gab es in Krefeld nicht. Heinrich Band, und später sein Sohn Alfred, kümmerten sich um Konzeption, Entwurf und Vertrieb. Bands Leistung war vor allem die Idee für das revolutionäre Tastaturlayout. Das Bandoneon wurde also in Krefeld entwickelt und in Sachsen produziert. Von hier aus fand bald es seinen Weg in die gesamte Welt – bis hin nach Argentinien.
In Deutschland verbreitete sich das Bandoneon zunächst vor allem im kulturinteressierten Mittelstand, fand aber bald auch seinen Weg in die aufkommende Arbeiterschaft. Besonders in den Industrieregionen bildeten sich ab den 1870er Jahren zahlreiche Bandoneonvereine. Dort wurden allerdings weniger die reich verzierten Instrumente des Bürgertums verwendet, sondern schlichtere, kompaktere Modelle. Die Vereine pflegten
Austausch und Geselligkeit, trugen bei ihren Auftritten gerne einheitliche Kleidung und versuchten, ihre Mitglieder in den 1920er Jahren auf ein Einheits-Bandoneon einzuschwören. Obwohl in den Vereinen vorwiegend Volksmusik und populäre Lieder gespielt wurden, und „proletarisches Liedgut“ nur eine Nebenrolle spielte, waren sie den Nationalsozialisten suspekt. Daher wurde der Bundesverband der Bandoneonvereine 1935 behördlich aufgelöst. Zu diesem Zeitpunkt war der Zenit der Bandoneonbegeisterung in Deutschland aber ohnehin bereits überschritten. Die Spieler waren den Proben längst ferngeblieben.

Die Renaissance der Tangos

Gleichzeitig war das Bandoneon als das wichtigste Tango-Instrument im fernen Argentinien auf einem Höhepunkt seines Ruhms. „Ein Tango ohne Bandoneon ist hier überhaupt undenkbar“, berichtete der deutsche Bandoneonist Walter Pörschmann 1925. Die dreißiger bis fünfziger Jahre gelten als die große Zeit des argentinischen Tangos, doch fand er auch in anderen Teilen der Welt zunehmend Anhänger. Die zweite große Welle der weltweiten Tangobegeisterung begann mit dem Militärputsch und der anschließenden Diktatur in den 1980er Jahren, weil viele Argentinier aus ihrem Land flohen und Tango und Bandoneon mit in die Welt brachten.

Das Krefelder Bandoneon Festival

Die Renaissance des Tangos führte in Krefeld auch zu einer Wiederentdeckung des Bandoneons, das hier seit dem zweiten Weltkrieg weitgehend in Vergessenheit geraten war. So fand 1985 erstmalig ein BandoneonFestival, das seit 1996 alle zwei Jahre wiederholt wird, statt. Hier bekommen Badoneonisten aus Deutschland, Europa und natürlich auch Argentinien die Möglichkeit, das Krefelder Publikum mit ihrer Kunst zu verzaubern.
Auch für das Jahr 2020 ist wieder ein Bandoneon-Festival geplant. Wegen der Corona-Pandemie steht aber leider noch nicht fest, ob es wie geplant stattfinden kann. Unabhängig davon kann ein in Bronze gegossener Bandoneonspieler zu jeder Tages- und Nachtzeit vor dem Eingang zum „HansaZentrum“ an der Neusser Straße bewundert werden.

Janine Krüger schaut dem Bandoneon-Restaurator Tis Marang über die Schulter

Prächtiger Bildband erschienen

Wer mehr über Heinrich Band und die Geschichte seines Instruments erfahren möchte, kann jetzt ein opulentes Werk über dieses Thema studieren. Auf Initiative des ehemaligen Kulturbüro-Leiters Jürgen Sauerland-Freer
brachte der Förderverein für das Kulturbüro der Stadt Krefeld das Buch „Heinrich Band. Bandoneon“ auf den Weg, das kürzlich im Klartext Verlag erschienen ist. Autorin des Buches ist die Musikwissenschaftlerin und Musiklehrerin Dr. Janine Krüger, die 2012 zusammen mit Kulturbüromitarbeiter Klaus Schmidt-Hertzler die Ausstellung „Krefeld. Band. Bandoneon“ im Museum Burg Linn kuratiert hatte. Auf über 360 Seiten finden sich eine Vielzahl Informationen, Quellen und Fotos – nicht nur für Musikexperten. Damit das Werk über das wichtigste Musikinstrument des Tangos auch in dessen Heimat gelesen werden kann, ist eine spanische Übersetzung geplant, die allerdings noch Förderer benötigt. Auf diese Weise könnte das Bandoneon zum zweiten Mal von Krefeld in die Welt reisen.

 

Das Buch „Heinrich Band. Bandoneon“ von Janine Krüger kann für 29,95 € beim Essener Klartext Verlag
www.klartext-verlag.de oder im lokalen Krefelder Buchhandel erworben werden. (ISBN 978-3-8375-1970-9)