Das Ordenshaus der Krefelder Franziskus-Schwestern ist eines von 234 katholischen Klöstern bundesweit, die Gastaufenthalte anbieten, außenstehenden Menschen also die Möglichkeit geben, im Kloster mit zu leben. KR-ONE Redakteurin Almut Steinecke hat den Selbstversuch gewagt und festgestellt: die Auszeit mit Gott verschlägt einem die Sprache.

Schwester Alfonsa, 77 Jahre alt, ist die Generaloberin der Franziskus-Schwestern. Die katholische Gemeinschaft hat noch eine Niederlassung in Bocholt, für die Schwester Alfonsa ebenfalls zuständig ist
Ich stehe im Krefelder Jungfernweg vor dem Haus mit der Nummer 1. Mein Zeigefinger schwebt über dem Klingelschild an der Eingangspforte. Ich zögere. Ich weiß nicht, was mich in dem Haus erwartet. Es ist das Ordenshaus der katholischen „Franziskus-Schwestern“: ein echtes Kloster. Die Ordensschwestern haben mich eingeladen zu sogenannten „Oasen-Tagen“, einem ungewöhnlichen Auszeit-Angebot für Menschen, die ihrem Alltag entfliehen wollen, indem sie ein paar Tage im Kloster mit leben. Für solch einen Gastaufenthalt muss man nicht katholisch sein oder mit Kirche ‘was am Hut haben. Aber bereit sein, sich auf eine unbekannte, völlig neue Welt einzulassen. Hm. Ich drücke die Klingel.
Es ist ein Donnerstagabend im Mai, kurz vor 19 Uhr. Das Ordenshaus der Schwestern sieht nicht aus wie ein Kloster, eher wie eine Schule oder wie ein Kinderheim. Es gibt keine dicken Mauern, keinen Turm mit Kirchenglocke, kein schmiedeeisernes Tor, das sich langsam knarrend öffnet. Dafür geht eine Tür für mich auf. Vor mir steht eine hochgewachsene Dame, schwarzer langer Rock, weiße Haube, freundliche Augen hinter Brillengläsern. Schwester Alfonsa, 77 Jahre alt, ist die Generaloberin der Franziskus-Schwestern. Die katholische Gemeinschaft hat noch eine Niederlassung in Bocholt, für die Schwester Alfonsa ebenfalls zuständig ist. Gegründet wurde die katholische Gemeinschaft in Krefeld 1919 von Georg Müßig, Ordensname Pater Markus, seit 1927 hat sie ihr „Mutterhaus“ im Jungfernweg. Im Krefelder Kloster wohnen neben Schwester Alfonsa noch fünf weitere Mitschwestern und ebenso viele Mitglieder des von den Franziskus-Schwestern gegründeten „TAU-Apostolat“ für Laien, eine Art Freundeskreis des Klosters mit Menschen, die sich ehrenamtlich für den Orden engagieren. „Willkommen bei den Franziskus-Schwestern“, herzlich schüttelt Schwester Alfonsa mir die Hand. Für Besucher „von draußen“ gibt es 18 Gästezimmer. Eine Übernachtung in einem Einzelzimmer mit Dusche und WC kostet 35 Euro, mit Frühstück drei Euro mehr. Eine „Oasen“-Auszeit geht über drei Tage, für insgesamt 170 Euro für ein Einzelzimmer mit Dusche und WC, inklusive aller Mahlzeiten. „Oasen-Tage“, erzählt Schwester Alfonsa, „veranstalten wir mindestens viermal im Jahr für jeweils fünf bis zehn Gäste.“ Diesmal bin ich der einzige „Oasen“-Gast.
Um 19.15 Uhr ist der erste „Programmpunkt“ meiner Auszeit, ein „Eucharistischer Gebetsabend“ in der hauseigenen Kapelle, da will ich natürlich dabei sein. Aber vorher noch mein Zimmer für die Übernachtung entern. Ich fahre mit dem Aufzug in den dritten Stock des Ordenshauses. Auch hier sieht es nicht nach Kloster aus. Blank geschrubbtes Linoleum auf dem Flur, Glastüren, die ins Treppenhaus führen; dass man in einem Kloster ist, merkt man an Kleinigkeiten. Zum Beispiel an einem Wegweiser, der am Ende des Flurs zur „Klara-Kapelle“ lotst. Oder an meinem Zimmer. Acht Quadratmeter, über dem Bett hängt ein Heiligenbild, an der Wand gegenüber ein Jesus-Kreuz. Dusche und WC sind in einem Raum auf dem Gang. Auf einem kleinen Tisch liegt eine dünne Ledermappe, in der steht: Das Leitbild der „Franziskus-Schwestern“ orientiert sich am „Leben nach den evangelischen Räten“ – Leben „in Ehelosigkeit“, Leben „in Armut“, Leben „in Gehorsam“. Ich schlucke.
„Man fühlt sich hier wie unter einer schützenden Glasglocke, man macht echt mal Pause, weil man von der Außenwelt nichts mehr mitkriegt.“
Der Gebetsabend beginnt. Ich düse mit dem Aufzug runter ins Erdgeschoss, wo sich die Hauskapelle befindet. Betrete den für eine Kirche so typisch nach kaltem Stein riechenden Raum, der mit bunten Butzenscheiben verglast ist und nehme in einer der Holzbänke Platz. Außer mir sitzen noch 13 weitere Personen in der Kapelle, alles Frauen mittleren Alters, darunter Ordensschwestern, Mitglieder des „Tau-Apostolats“ und Frauen aus der Nachbarschaft, die „einfach so“ immer donnerstags zum Gebetsabend kommen, das hat Schwester Alfonsa erzählt. Natürlich ist sie selbst auch da. Die Oberin beginnt mit leiser, hoher Stimme zu singen, „Hosanna in Excelsis“ singt sie, die anderen fallen ein, und als das Lied zu Ende ist, wird es ganz still in der Kapelle.
So geht das jetzt im Wechsel: Lied. Stille. Lied. Stille. Und es sind nicht die Lieder, die mich irritieren. Es ist die immer wieder eintretende Stille, die mich fordert. Diese Stille macht mich kribbelig, sie macht mich… irgendwann ruhiger. Ruhig. Müde. Nach einer halben Stunde ist der „Gebetsabend“ zu Ende. Jetzt ist „Stillschweigen“ angesagt. Man wünscht sich flüsternd „Gute Nacht“, dann geht jeder seiner Wege. Ich flüstere auch und gehe meiner Wege. Am nächsten Morgen: 7.30 Uhr „Morgenlob“, 7.45 Uhr „Heilige Messe“ in der Hauskapelle, an der Messe kann man teilnehmen oder nicht. Susy Signer-Fischer, Schweizerin, von Beruf Psychologin, zum Beispiel sitzt gerade nicht in der Kapelle. Ich treffe die 63-Jährige im Frühstücksraum „St. Franziskus“ im Erdgeschoss: die Psychologin gibt Weiterbildungskurse in Krefeld, seit zehn Jahren kommt sie schon zu den Krefelder „Franziskaner“-Schwestern. „Ich übernachte sehr gerne hier,“ sagt sie und trinkt einen Schluck Orangensaft. „Die Ordensschwestern strahlen so eine Ruhe, Herzlichkeit und Frieden aus; es ist nicht so hektisch wie anderswo.“ Natürlich finde sie es „schön, dass Andachten abgehalten werden; für mich passt es nicht so zu mir“.
Deshalb nutzt sie den Aufenthalt im Kloster auch tatsächlich „nur“ für Übernachtung und Frühstück. Was absolut erlaubt ist in der Gemeinschaft des Ordenshauses, die so geschlossen in sich scheint – und gleichzeitig für jeden offen ist. Auch Alexandra Mathes, die ich am Vormittag kennen lerne, empfindet das so. Die 47-jährige kaufmännische Angestellte aus Willich ist spontan dazu gestoßen, denn an den Klostertagen kann man für 28 Euro auch tageweise teilnehmen. Ab 9.30 Uhr steht eine „Hausführung“ an. Und es sind „Kontaktgespräche“ möglich mit Menschen wie der 63-jährigen Marie-Christine Hartlieb vom „Tau-Apostolat“, die Besucher durch ihren Klostertag begleiten. Einfühlsam, geduldig und gerne bereit, über Gott und die Welt zu sprechen. Aber keine Sekunde missionierend. Alles kann, nichts muss: diese Botschaft ist unausgesprochen allgegenwärtig.
Gerade sitzen wir im „Marianum“, einem Gebetsraum im zweiten Stock. Ein Rosenkranz aus Bernsteinen hängt über einer steinernen Heiligenfigur auf einem Tisch in einer Ecke. In einer anderen Ecke steht eine Glasschale mit Weihwasser. Es ist still, niemand spricht. Schon wieder Stille. Aber ob man nun christlich ist oder nicht: Die Stille, gerade in dieser eigenen Atmosphäre – sie macht etwas mit einem. Sie wirft den unbedarften Gast von außen völlig auf sich selbst zurück. Bewirkt, dass die Gedanken anfangs hoch kochen. Aber dann, wie aus einem Selbstschutz heraus, wieder herunter kochen. Sich setzen. Nach und nach abzufließen scheinen. Bis es übersichtlicher wird im Kopf. Wie schön.
„Man ist hier in einer völlig anderen Welt“, wird Besucherin Mathes später nickend bestätigen. Zwar sei sie „auch keine regelmäßige Kirchgängerin“. Aber der „Oasen-Tag“ ist eine willkommene Abwechslung für sie, „Kind, Familie, Job, Freizeitstress – man hat ja immer viel um die Ohren“. Umso spannender findet sie das Kloster als Möglichkeit zum Runterkommen. „Man fühlt sich hier wie unter einer schützenden Glasglocke, man macht echt mal Pause, weil man von der Außenwelt nichts mehr mitkriegt. Und ich fühle mich als Zuschauerin einer Ruhe, die mir im Alltag völlig abgeht. Aber wahrscheinlich ist das einfach Übungssache?“
Ist es. Und es werden sich an diesem Wochenende noch viele Gelegenheiten zum Üben anbieten. Beim Beten des „Rosenkranzes“ in der Kapelle zum Beispiel, der durch seine zwanzigminütige Länge und mehrfachen Wortwiederholungen nicht-religiöse Menschen wie mich mit großen Augen lauschen lässt. Aber vielleicht gerade, weil man glaubt, dass man nicht glaubt, tritt irgendwann der Effekt ein, den Schwester Alfonsa beschreibt: „Zeit zum Denken bringt Gedanken zum Danken.“ Und mich dazu, abzuschalten.
Die nächsten Klostertage stehen noch nicht fest und werden auf der
Internetseite bekannt gegeben: http://www.franziskus-krefeld.de/