Karriere, Besitz, Fitness, Attraktivität – die materielle Blaupause für ein erfülltes Leben in unserer Leistungsgesellschaft ist wohlbekannt. Versagen, Scheitern und Verfehlungen hingegen gelten gemeinhin als Makel und werden sorgfältig verborgen. Der Krefelder Ben Teeuwsen machte das Scheitern zum Event, als er vor zwei Jahren die erste deutsche Fuck-Up-Night in Düsseldorf veranstaltete. Ein Format, dessen Genese nicht zuletzt auch mit seiner eigenen turbulenten Biografie zusammenhängt.
Ein verregneter Montagmorgen in einem kleinen Café in Düsseldorf Bilk. Während sich die meisten Arbeitnehmer bereits seit einigen Stunden in der sicheren Komfortzone ihres Arbeitsplatzes befinden, trifft sich hier die digitale Bohème der Stadt auf einen Kaffee. Es sind Menschen wie der Krefelder Ben Teeuwsen, die in ihrem Leben mit innovativen Ideen und Risikobereitschaft viel erreicht haben, jedoch auch immer wieder Rückschläge erleben mussten. „Jeder kann scheitern. Es gibt schicksalhafte Abstürze und das überschaubare, alltägliche Scheitern. Egal wie man nun scheitert, solange es weitergeht, ist es immer auch eine wertvolle Erfahrung“, sagt Ben Teeuwsen und nimmt einen Schluck von seinem Espresso. Teeuwsen ist einer dieser Menschen, die zunächst unscheinbar und zurückhaltend wirken, aber auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen können und viel zu berichten wissen. Wenn er spricht, merkt man ihm auch seine Erfahrung als Marketing-Planer an. Seine Worte sind mit Bedacht gewählt und wecken die Neugier des Zuhörers. Zu der Erkenntnis, dass gerade im Versagen auch ein großes konstruktives Potenzial liegt, kam der junge Krefelder, nachdem er selbst mehrfach Herzens-Projekte verwerfen und von vorne beginnen musste.
Nach dem Abitur in Krefeld und einem erfolgreichen BWL-Bachelorabschluss in Heidenheim zog es ihn zunächst für diverse Praktika ins Ausland: „Schon damals hatte ich das starke Bedürfnis, Neues auszuprobieren und den gesellschaftlich vorgezeichneten Karrierepfad zu verlassen. Daher arbeitete ich an diversen Projekten in Kanada und Rumänien und konnte Land und Leute kennen lernen.“ Mit den gesammelten Eindrücken im Gepäck war seine nächste Station ein Masterstudium im strategischen Marketing in Australien. Dort, an der University of Wollongong, machte Teeuwsen dann die Erfahrung, dass sich ein Scheitern auch im Erfolg verbergen kann. „Während meiner Studienzeit standen die Präsidentschaftswahlen der Studentenvertretung an. Als Marketing-Student dachte ich: Wenn du eines kannst, dann ist das, einen geilen Wahlkampf aufzuziehen“, berichtet er, lacht und ergänzt: „Alles hat prächtig funktioniert. Gemeinsam mit einigen Wahlhelfern habe ich T-Shirts gedruckt, mehrsprachige Flyer verteilt und Vorträge in Vorlesungen gehalten. Es fehlten nur die Luftballons.“ Nach der Freude über den gelungenen Wahlkampf folgte alsbald der Schock: Teuuwsen gewann die Wahl und wurde Präsident der Studentenvertretung. „Es ging mir damals primär um den Wahlkampf. Ich hatte keine Ahnung, was mit dem Amt auf mich zukommen würde. Plötzlich war ich verantwortlich für drei feste Angestellte, Vorsitzender eines parlamentarischen Gremiums mit 14 Mitgliedern und verfügte über ein Budget von 250.000 australischen Dollar – all das im politischen Spannungsfeld zwischen der linksorientierten Studentenorganisation und der konservativen Regierung“, berichtet Teeuwsen. Er hatte sich übernommen und trat von seinem Amt zurück. Die Lektion: „Es muss nicht immer gleich die Präsidentschaft sein.“

Ben Teuuwsen machte das Scheitern zum Event und holte die Fuck-Up-Night nach Deutschland
Teeuwsen absolvierte sein Masterstudium, doch eine feste Anstellung und ein sicheres Einkommen waren nach wie vor nicht das Ziel des abenteuerlustigen Krefelders. Stattdessen begab er sich erneut auf eine Entdeckungsreise ins Ausland. Er verbrachte ein halbes Jahr in Mexiko und entwickelte dabei eine Geschäftsidee: „Tequila ist das Nationalgetränk Mexikos. Hier in Deutschland kennen wir nur das Supermarktprodukt mit dem roten Hut, doch in Mexiko gibt es Tequila in unglaublich vielen verschiedenen geschmacklichen Facetten und Qualitäten. Vergleicht man die deutsche Massenware mit dem Original, ist es, als würde man Spiritus mit einem französischen Rotwein vergleichen.“ Zurück in Deutschland begann Teeuwsen neben einem Job als Projektmanager mit der Arbeit an seinem Blog „Tequiladealer.de“, dem ersten deutschen Infoportal zum Nischenthema Tequila – ein Projekt, das bis heute läuft. Eine Phase des Erfolgs, doch es dauerte nicht lange bis es den Krefelder abermals für neue Projekte ins Ausland zog. Seine nächste Station: San Sebastián an der Küste Nordspaniens.
„Im Rahmen eines Praktikums zog es mich damals in die malerische Küstenstadt. Am Tag der Rückreise brach dann dieser isländische Vulkan mit dem unaussprechlichen Namen aus und legte den europäischen Luftraum lahm. Die Wartezeit nutzte ich gemeinsam mit einem Freund, um eine Idee umzusetzen, die wir schon länger in der Schublade liegen hatten“, berichtet Teeuwsen. Gemeinsam gründeten sie das lokale Webradio und Onlineportal „kaixo.fm“, eine Plattform für die Musikszene der Stadt. Eine echte Marktlücke, denn bereits wenige Tage später waren diverse kulturelle Persönlichkeiten der Küstenstadt auf das Portal aufmerksam geworden. Teeuwsen stornierte seinen Rückflug nach Deutschland und konzentrierte sich in den folgenden zehn Monaten auf das neue Projekt. „Um die Marke nach vorne zu bringen, haben wir damals alle Register gezogen: Online-Marketing, Streetart, Aufkleber, Poster und Veranstaltungen“ schwärmt Teeuwsen und ergänzt: „Wir haben einen echten Hype ausgelöst, doch dabei leider eines vernachlässigt: Wirtschaftlichkeit.“ Teeuwsen gab das Projekt, das bis heute ehrenamtlich von lokalen DJs weitergeführt wird, auf und kehrte zurück nach Deutschland. Ein weiteres Scheitern, eine weitere Lektion.
Von dem erneuten Misserfolg ließ sich Teeuwsen nicht entmutigen und widmete sich wieder seinem Tequila-Blog. „Ich flog für eine Recherche-Reise erneut nach Mexiko, um neue Inhalte für den Blog zu sammeln. Da muss man wirklich aufpassen, dass man nicht mittags um drei schon total voll ist“, amüsiert sich der Blogger. Doch neben vielen Informationen über Tequila erfuhr er auch von den sogenannten „Fuck-Up-Nights“, die zur gleichen Zeit in Mexiko-City entstanden. „Damals wusste ich nur: Es gibt Leute, die sich treffen und öffentlich von ihren Misserfolgen berichten, um davon zu profitieren“. Ähnlich zufällig wie seine Entdeckung verlief wohl auch die Ideenfindung für das Format. Fünf junge Unternehmer aus Mexiko-City erzählten sich bei einem Kneipenabend gegenseitig von ihren gescheiterten Projekten. Schnell realisierten sie, dass es eines der wertvollsten Gespräche überhaupt war. Die weltweit erste Fuck-Up-Night war geboren, ein Format, welches heute, gerade einmal vier Jahre später, in bereits 150 Städten in über 50 Ländern stattfindet, darunter, dank Ben Teeuwsen, auch in Düsseldorf. „Obwohl ich nicht viel über das Format wusste, war ich von der Idee begeistert, erschien sie mir doch naheliegend und innovativ zugleich. Gemeinsam mit einigen Bekannten organisierten wir im April 2014 die erste deutsche Fuck-Up-Night. Über das Internet standen wir in Kontakt mit den Gründern in Mexiko, brachten das Düsseldorfer Event unter die gemeinsame Corporate Identity, unterzeichneten ein lockeres Agreement über die Ausgestaltung und veranstalteten das Format in der Garage Bilk in Düsseldorf“, erzählt Teuuwsen. Beim ersten Event kamen 60 Besucher, die sich hauptsächlich aus dem persönlichen Netzwerk der Veranstalter rekrutierten und natürlich referierte Teuuwsen dort selbst als erster Redner über seine eigenen Misserfolge. Nach dem dritten Event mit 150 Teilnehmern wurde die deutsche Medienlandschaft aufmerksam auf das Format. „Das war der Beginn des deutschen Hypes. Heute gibt es Fuck-Up-Nights in zwölf deutschen Städten“, sagt der Krefelder stolz.
„Jeder kann scheitern. Es gibt schicksalhafte Abstürze
und das überschaubare, alltägliche Scheitern. Egal wie man nun scheitert, solange es weitergeht, ist es immer auch eine wertvolle Erfahrung.“
Der Ablauf des Events ist vorgegeben, die Inhalte jedoch offen und abhängig von den Vortragenden. Nach einem entspannten Begrüßungsdrink folgt die Anmoderation und vier zehnminütige Kurzvorträge mit anschließender Fragerunde. „Nach der Abmoderation beginnt dann die eigentliche Magie. Die Leute sind sehr inspiriert und man sieht, wie sie ins Gespräch kommen und sich vernetzen. Mit anzusehen, wie kreative Unternehmer mit einer eher konservativen Business-Riege in Kontakt kommen, ist einfach schön“, schwärmt Teeuwsen und man sieht ihm seinen ungebrochenen Enthusiasmus an. „Man muss eine Fuck-Up-Night erleben“, sagt er. „In dieser spezifischen Atmosphäre, die wir dort schaffen, teilen die Redner dem Publikum ihre ganz persönlichen Geschichten mit. Es ist ein sehr besonderer Moment.“ Mittlerweile wurden auch große Unternehmen auf das Format aufmerksam und buchen das Team rund um Teeuwsen für konzerninterne Fuck-Up-Nights und Campus-Events. Doch das Team will sich auch die Ursprünglichkeit bewahren und weiterhin kleine Szene-Events ausrichten. Teeuwsen selbst arbeitet heute hauptberuflich als strategischer Planer und ist, trotz und gerade wegen seiner turbulenten Vergangenheit, froh, einem geregelten Job nachzugehen. „Irgendwann ist es zu anstrengend immer wieder von vorne anzufangen. Deshalb werde ich jetzt sesshaft“, sagt er und lacht wieder. Ob ihm das ohne Scheitern gelingt, wird die Zukunft zeigen.
Weitere Information: www.fuckupnight-duesseldorf.de