Malen im Dunkeln mit der Künstlerin Violetta Zerni
Mein Herz klopft beim Blick auf das leere braune Packpapier vor mir auf der Staffelei. Neben mir habe ich ein Holzbrett mit drei großen Klecksen bunter Acrylfarben in Rot, Gelb und Orange platziert. Ich trage Latexhandschuhe und habe nur einen Gedanken im Kopf: Wie soll ich in den nächsten fünf Minuten das Thema „Freude“ aufs Papier bringen? In einem völlig verdunkelten Atelier? Dann wird mir schwarz vor Augen. Genauso geht es den fünf anderen Malschülern, die sich im Atelier von Violetta Zerni dem Experiment „Malen im Dunkeln“ stellen.
Ein Thema, zwei Hände, drei Farben – so lässt sich diese ganz besondere Malstunde rein sachlich auf den Punkt bringen. Was aber im Verlauf des Abends emotional mit den Teilnehmern und mir passiert und welchen „Werdegang“ unsere Bilder nehmen, ist der viel spannendere Teil einer Erfahrung, die man nicht alle Tage macht. Wir, das sind die Malschüler Regine Krebs, Harald Höstge, Michael Sitsen und Michael Riesner, die das Experiment zum wiederholten Mal erleben, und die „Novizen“, Peter Schütz und ich.

Die Rohmotive werden mit Kreide und Wandfarbe in eine Form gebracht
Zunächst wird das Thema besprochen. Violetta Zerni schlägt verschiedene Gefühlszustände vor: Aggression, Liebe, Leichtigkeit, Trauer, Angst, Hoffnung, Vertrauen. Von Peter kommt „Freude“, und alle stimmen sofort zu. Dann geht es – noch sehenden Auges – an die Farbauswahl. Aus sechs Farbtuben mit roter, gelber oranger, grüner, blauer und lila Acrylfarbe lässt jeder seine Lieblingstöne zum Thema „Freude“ in dicken Klecksen auf ein Holzbrettchen laufen. Wer noch keine Latexhandschuhe übergezogen hat, wird das spätestens jetzt tun, denn gemalt wird mit den Händen. Auffallend ist, dass alle die Farbe Orange mit Freude assoziieren – bis auf Regine. Sie hat sich für Grün, Gelb und Blau entschieden, denn sie hat schon ein Bild im Kopf. Die Malschülerin, die bei einem Outdoorkurs mit Violetta Zerni im Stadtwald auch schon einmal die Uferbereiche des Weihers gemalt hat, ist Naturliebhaberin und möchte deshalb heute das Thema Freude mit Natur verbinden. Meine Assoziationen sind dagegen ein Feuerwerk der Lebensfreude, Konfetti oder prickelnde Momente. Mal sehen, was am Ende rauskommt. Mit dem Sehen ist allerdings schon in der nächsten Sekunde Schluss. Nachdem sich jeder vor seiner Staffelei positioniert und den Blick ein letztes Mal auf die Palette mit den Farben gerichtet hat, geht das Licht aus. „Ihr habt fünf Minuten Zeit“, sagt Violetta und startet die Stoppuhr.
- Farbauswahl zum Thema „Freude“
- Auch dieser Frauenakt entstand beim „Malen im Dunkeln“
Wenn aus „Freude“ Ernst wird
Ich bin aufgeregt, spüre mein Herz höherschlagen. Jetzt zählt nur das Gefühl und nicht der Verstand. Ich atme tief durch und greife mit beiden Händen in Richtung Farbpalette. Im Dunkeln treffe ich sogar die Farbkleckse und beginne, mit allen zehn gespreizten Fingern in Augenhöhe kleine Tupfer aufs Papier zu bringen. Danach greife ich erneut zur Palette und wische die Farbe mit beiden Händen schwungvoll vom unteren Rand nach oben. Dieselbe Bewegung wiederhole ich am oberen Bildrand – also zumindest dort, wo ich im Dunkeln das Oben vermute… „Noch drei Minuten“, flüstert Violetta, aber ich habe das Gefühl, fertig zu sein. Ähnlich geht es auch meinem Nachbarn. Von den Aktivitäten der anderen sind in den kommenden Minuten beherzte Handbewegungen auf dem Papier zu hören, und ich denke: Vielleicht war ich nicht mutig genug. Dann geht das Licht an, und ich weiß: Ja, ich hätte mutiger sein können. Außerdem vermisse ich die Farbe Gelb. Scheinbar habe ich nur Rot und Orange benutzt oder Rot und Gelb haben sich auf dem Papier zu Orange vermischt.

Im Finish entsteht eine Hand, die nach der Freude greift
Archaisches Malen befreit Kopf und Seele
Während wir gegenseitig unsere Ergebnisse betrachten und die Rohbilder trockenföhnen, ist noch einmal Kreativität gefragt, denn nun gilt es, jedes Rohmotiv mit Hilfe von weißer Kreide und weißer Wandfarbe in eine Form zu bringen. Regine findet ihr Bild zwar „viel zu leer“, man erkennt aber auf den ersten Blick eine grüne Wiese, eine Sonne und eine Wolke. Aus ihrer Landschaft wird in der Interpretationsphase dann aber eine Vase mit einer blauen und einer gelben Blume. Harald zeichnet eine Hand, die nach seiner „Freude“ in Orange und Gelb greift, Michael S. verpackt sein Motiv in eine Trommel, Peter malt einen Ballon voll Freude, und Michael R. nutzt ein Küchenbrett als Hilfsmittel, um sein Motiv zu abstrahieren. Während ich vor meinem „Feuerwerk der Freude“ grüble, ob die Freude aus einem Flaschenhals sprühen oder in einem Luftballon aufsteigen soll, sehe ich auf Violettas Utensilien-Tisch zwischen Weinglas, Kartoffelreibe, Einmachglas, Karaffe und Sektkühler eine Pfeffermühle. Das ist es: „Pfeffer im Leben“ ist auch Freude.
Mit weißer Lasur übertrage ich die Umrisse einer riesigen Pfeffermühle auf mein Bild. Und bin zufrieden. Aber auch dankbar für eine neue Erfahrung, die Harald Höstge so beschreibt: „Das Fingermalen im Dunkeln versetzt mich jedes Mal zurück in meine Kindheit, in der ich frei und unbefangen sein durfte. Es löst Blockaden in mir, und es hat auch meinen Blick verändert, mit dem ich Bilder betrachte. Einen van Gogh sehe ich heute anders als vorher. Ich bewundere seinen flotten, wuchtigen Strich, den ich mir mittlerweile auch angeeignet habe. Vorher habe ich mich nur getraut, mit zarten Pinseln zu malen. Das ist jetzt vorbei.“ Zufrieden rollt Harald sein Werk zusammen und verlässt mit den anderen Malschülern das Atelier. Violetta Zerni schaltet das Licht aus, und ich bedanke mich für ein erfahrungsreiches „Blind Date“ mit mir.
Violetta Zerni. Atelier WiedSalon
Wiedstraße 21, 47799 Krefeld
Telefon: 0177-3129095
info@kunst-zerni.de
www.kunst-zerni.de
Die Künstlerin
Nach ihrer Ausbildung zur Theatermalerin am Rheinischen Landestheater Neuss studierte die gebürtige Düsseldorferin Violetta Zerni zunächst Ostasienwissenschaften in Göttingen, entschied sich dann aber für ein Diplomstudium im Bereich Grafik-Design mit Schwerpunkt Illustration an der Hochschule Niederrhein. Seit 1996 arbeitet sie als freischaffende Künstlerin in Krefeld. Sie malt abstrakte Bilder wie Goldfelder und die vier Elemente der Erde. In den vergangenen Jahren hat die Malerin zudem ein besonderes Faible für Himmelsbilder, intuitive Portraits und das Malen mit den Händen entwickelt. Sie hat bereits auf der Düsseldorfer Kunstmesse und der Art Cologne ausgestellt. In ihren Malkursen unterrichtet Violetta Zerni alle Spielarten der Malerei: Portrait- und Landschaftsmalerei, aber auch abstrakte Malerei in den Techniken Aquarell, Kohle, Öl und Acryl. Ein bis zweimal im Jahr lädt sie zu Ausstellungen in ihr Atelier an der Wiedstraße ein.