Die Kinder auf dem Spielplatz wundern sich nicht mehr, wenn sie Christpher Blumenthal alias Dead Stock mit fünf Paar Sneaker auf dem Geländer gleich neben der Rutsche stehen sehen. Eine Traube sandverschmierter Rotznasen bildet sich um den 31-Jährigen, sie wollen wissen, warum er schon wieder Fotos macht. Christopher bleibt gelassen, obwohl er hier gerade arbeitet. Als Sneaker-Blogger möchte er die neuesten vom ihm getesteten Modelle bestmöglich für seine Internetseite und den angeschlossenen Facebook-Blog in Szene setzen. „ Aber das ist halt deren Hood hier“, lacht Christopher und drückt auf den Fernauslöser seiner Kamera, in der Hoffnung, dass kein eisschleckendes Kindergesicht zwischen ihn und die Linse gerät. Trendsetter zu sein, ist halt nicht leicht.

Christopher Blumenthal, waschechter Krefelder, geboren in Uerdingen und aufgewachsen in Bockum, ist mit seinem Internet-Alter Ego, Dead Stock, zur meinungsbildenden Speerspitze einer Branche avanciert, deren Existenz vor zehn Jahren nicht einmal abzusehen war. Sneaker, wie die Lifestyle-Variante der klassischen Turnschuhe zur Leibesertüchtigung genannt werden, haben Uhren, Autos und Handys als Statusobjekte abgelöst. Ihre Träger symbolisieren damit nicht nur ihren individuellen Geschmack, sondern auch die Zugehörigkeit zu einer subkulturell urbanen Style-Elite; ein Schuh als soziales Statement. Zwar beschränkt sich der ultimative „Sneaker Hype“ auf die letzten drei bis vier Jahre, ihren Ursprung fand die Bewegung allerdings bereits in den 1870er Jahren, als Goodyear die ersten gummibesohlten Schuhe erfand. Daher auch der Name Sneaker, denn mit den Gummisohlen konnte man sich lautlos anschleichen (Engl.: to sneak – schleichen).

„Mich hat schon immer der Lifestyle der Szene interessiert. Hosen, Schuhe, Caps, eben alles, was dazu gehört.“

In der Geschichte der Sportschuhe gab es immer wieder Modelle, die eine regelrechte Massenhysterie auslösten, wie bei der Veröffentlichung des ersten „Air Jordan“ im Jahre 1984, bei der es vor den Geschäften sogar zu Todesfällen kam. Heute ist es vor allem der „Yeezy“, ein Schuh, der vom Rapper Kanye West zunächst in Kooperation mit Nike, später mit Adidas, designt wurde, der die Sneaker-Jünger in Extase versetzt. Über 90.000 Dollar zahlte laut New York Times ein Amerikaner für ein Paar des Kollaborationsprudukts im Jahr 2012. Der geschickte Schachzug der Marken, die eigenen Flaggschiffe in extrem verknappter Stückzahl auf den Markt zu bringen, hat den Wiederverkauf zu einem lukrativen Geschäft gemacht; und Sneakerliebhaber zu Campern, die tagelang vor den hippsten Stores auf ein Paar der begehrten Modelle warten. Irrsinn nennen das die einen, eine natürliche Entwicklung nennt es Christopher Blumenthal, der als Blogger wie ein menschlicher Kompass in Stylefragen dient. Seine Leser dürsten angesichts des Wusts von Modellen, Farben und Formen nach seiner stilsicheren Expertise. Inzwischen ist der Mann mit der sportlichen Figur, dem gewinnenden Lächeln, der starken Rhetorik und der markanten Brille aber nicht nur einer der bekanntesten Lotsen im Dickicht des Sneakerwaldes geworden, sondern auch ein wertvoller Ratgeber für die Marken selbst, die ihm seinen Input gar versilbern.

„Inzwischen ist es so, dass so ziemlich alle großen Marken auf mich zukommen und mir ihren neuen Produkte vorstellen. Ich darf mir dann aus den neuen Serien die Modelle aussuchen, die mir gefallen und über die ich Lust habe zu schreiben.“

„Ich bin in der Skater-Szene groß geworden“, beginnt Christopher auf den Stufen vor dem Haupteingang der neben dem Spielplatz gelegenen Liebfrauen-Kirche zu erzählen, „mich hat schon immer der Lifestyle der Szene interessiert. Hosen, Schuhe, Caps, eben alles, was dazu gehört.“ Ambitionen, daraus einmal einen Beruf zu machen, hatte er seinerzeit noch nicht. „Nein, ich habe erst Abitur gemacht, dann eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete anschließend elf Jahre lang als Handelsvertreter für Küchen-Artikel, ein 0815-Job“, erinnert er sich. Die Leidenschaft in Sachen trendige Accessoires für den Fuß entwickelte sich über Jahre im Privaten, etliche Euro steckte er in die pure Lust am Schuh. Stück für Stück schlüpfte er so immer tiefer in den Fuchsbau des Metiers. Ein kostspieliges, aber heißgeliebtes Hobby, das ihm anfangs keinen Gegenwert versprach, von einer schon damals üppigen Sneaker-Sammlung einmal abgesehen. „Dann kamen ein Freund und ich auf die Idee, eine eigene Marke für Caps und T-Shirts ins Leben zu rufen“, führt er fort, „deswegen fing ich an, einen Blog bei Facebook aufzubauen.“ In der Folge zerschlug sich der Plan des eigenen Brands aus mehreren Gründen, der zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits gut angenommene Blog wuchs und wuchs. „Mein Blog hatte erst ein paar Tausend Likes, als Stance, eine Marke, die vornehmlich für Socken bekannt ist, auf mich aufmerksam wurde. Die hatten gesehen, dass ich bei meinen Produktvorstellungen ihre Socken trug und sprachen mich auf eine Zusammenarbeit an. In diesem Moment habe ich das Potenzial des Bloggens richtig realisiert“, erzählt der Szene-Guru rückblickend und ergänzt: „Das Erfolgsrezept ist so simpel wie unkopierbar, denn hinter jedem Blog steckt ein Mensch, den müssen die Leute da draußen mögen, sonst funktioniert das Ganze nicht. Authentizität ist dabei das Wichtigste. Die Menschen haben ein feines Gespür dafür, ob man eine Sache ehrlich meint. Dazu braucht jedes Produkt die richtige Geschichte. Diese drei Aspekte sind die wohl die tragenden Säulen eines guten Blogs.“

Blog-Star
 - Christopher Blumenthal aka Dead Stock

Der sagenumwobene „Yeezy“ von Rapper Kanye West ist gleich mehrmals in Christophers Besitz

Zwei Jahre vergingen, in denen er parallel zu seinem Hauptberuf den Sneaker-Blog pflegte und größer werden ließ, dann versetzte ihm das Schicksal einen Schubs. „Ich wurde gekündigt“, sagt Christopher und lacht. „Anders als bei anderen war ich darüber aber überhaupt nicht unglücklich, weil ich zuvor merkte, wie viel unausgeschöpftes Potenzial ich zwangsläufig liegen lassen musste. Für mich war das in diesem Moment genau die Entscheidungshilfe, die ich brauchte. Ich fing also an, meinen Blog zu professionalisieren, und ließ eine eigene Internetseite entwickeln, die ich mit der Facebookpräsenz verband.“ Ein Schachzug, der ihn auch für die Marken immer attraktiver werden ließ, die in ihm die personifizierte Weiterführung der Marken-Werte sehen und dessen Aussprache für ein Produkt in der Szene wie die eines Leumunds wirkt. Dazu hat Christopher mit fast 100.000 Likes auf seinem Dead Stock-Facebook-Account und rund 250.000 erreichten Personen pro Beitrag eine Reichweite generiert, die Begehrlichkeiten weckt. „Für die Marken sind Leute wie ich lohnende Multiplikatoren“, erklärt er das Geschäft dahinter.

Heute, sagt Christoph selbst, lebe er ein spannendes und sehr erfülltes Leben. „Inzwischen ist es so, dass so ziemlich alle großen Marken auf mich zukommen und mir ihren neuen Produkte vorstellen. Ich darf mir dann aus den neuen Serien die Modelle aussuchen, die mir gefallen und über die ich Lust habe zu schreiben. Ich bleibe also völlig unabhängig und authentisch; das ist mir ganz wichtig“, führt er fort. Leben kann er von der Bloggerei nun ganz gut, trotzdem geht er noch halbtags arbeiten. „Das mache ich aber nur für zwei bis drei Stunden am Tag, um einen geregelten Tagesablauf zu haben“, schmunzelt der Mann, der aus der niederrheinischen Sneaker-Diaspora heraus den zweitgrößten Szene-Blog Deutschlands aufgebaut hat. Viel mehr Zeit könnte er aber auch gar nicht entbehren, da sein neuer Hauptberuf tatsächlich auch ein Fulltime-Job geworden ist. Ständig steht der Postbote mit neuen Paketen von den Brands vor der Tür, deren Inhalt geprüft, fotografiert und anschließend bewertet werden will. „Ein bisschen ist es so, als hätte ich jeden Tag Weihnachten. Ich darf immer wieder Pakete öffnen und mich freuen“, sagt Christopher, ahnend, wie viele seiner „Fans“ wohl gerne in dieser Situation wären. 300 Paar Schuhe können sich inzwischen als Hauptmieter seiner Wohnung bezeichnen, alle fein säuberlich sortiert und mit Karton, das ist ganz wichtig. Doch es sind nicht nur die Marken, die Christophers Dienste in Anspruch nehmen, oft tritt er nun auch als Berater in Erscheinung. „ Es hat sich eben rumgesprochen, dass man mit Sneakern Geld verdienen kann. Oftmals fehlt es denjenigen, die sich neu in diesem Gebiet versuchen, aber an Fachwissen. Dafür arbeiten sie dann mit mir zusammen“, veranschaulicht er eine weitere Säule seines „neuen“ Lebens.

„Ich werde bald einen zweiten Blog beginnen, der sich mit meinem kompletten Lifestyle beschäftigen wird. Eigentlich spanne ich den Bogen damit nur ein bisschen weiter und bin nicht nur auf ein Produkt beschränkt.“

Christopher wäre nicht zu dieser Größe in einer Szene geworden, die für Menschen jenseits der 40 wie ein Buch mit sieben Siegeln erscheint, hätte er nicht ein ausgeprägtes Gespür für gesellschaftliche Massenbegeisterung entwickelt. Dieses Gespür verrät ihm, dass der Trend mittelfristig endet. „Nicht heute, nicht morgen und wahrscheinlich auch nicht im nächsten Jahr, aber er wird enden“, ist er sich sicher. Deswegen plant er schon für die Zukunft: „Ich werde bald einen zweiten Blog beginnen, der sich mit meinem kompletten Lifestyle beschäftigen wird. Eigentlich spanne ich den Bogen damit nur ein bisschen weiter und bin nicht nur auf ein Produkt beschränkt.“ Seinem aus heutiger Sicht innovativen Berufsbild bleibt er also treu. Für die Kinder vom Spielplatz, die Christopher dieser Tage beim Fotografieren so neugierig beäugen, ist das in 20 Jahren dann zwar ein alter Hut, heute ist er damit allerdings der fleischgewordene Beleg, welche Möglichkeiten die neuen Medien eröffnet haben. Trendsetter von der heimischen Couch; mitten in Krefeld.