Wenn sie darüber nachdenken soll, welche Art von Aufträgen sie am liebsten mag, muss Antje Schendel keine fünf Sekunden nachdenken. „Suizide. Die gehen am schnellsten“, platzt es förmlich aus der Frau heraus. Die 42-jährige ist Deutschlands erste Tatortreinigerin, sie hat diesen bizarren Berufsstand hierzulande vor 13 Jahren etabliert, dessen Hauptaufgabe es ist, die Todesspuren von Menschen zu beseitigen.

Wenn die 1,72 Meter große Frau mit den langen blonden Haaren über Suizide spricht, tut sie das in dem Tonfall einer Beamtin, die gerade einen Reisepass verlängert hat. Das hat allerdings weniger mit Gleichgültigkeit gegenüber den Toten zu tun, sondern spricht vielmehr für die langjährige Routine der Tatortreinigerin. Dazu passt ihre Aussage, wonach sie sich zutraut, fünf bis sechs solcher Suizid-Szenarien zu beseitigen – pro Tag. Denn das vermeintliche Chaos eines solchen Tatorts ist für sie in vielen Fällen spielend einfach zu bewältigen. „Die meisten, wenn sie sich zum Beispiel eine Pulsader aufschneiden, hinterlassen dabei zwar eine riesige Blutlache. Aber die ist relativ schnell zu reinigen und es riecht auch nicht“, beschreibt Schendel.

Blut wegwischen im Akkord - Tatortpeinigerin Antje Schendel

Tatortreinigerin Antje Schendel

Doch dann gibt es noch den geringen Prozentsatz von denjenigen, die beim Selbstmord ein riesiges Chaos hinterlassen: „Wenn sich etwa Jäger umzubringen versuchen“, erzählt Schendel, „gehen die auf Nummer sicher: Großes Kaliber, maximale Treffgenauigkeit“, berichtet die Tatortreinigerin. Sie muss dann hinterher Blut und Gedärme aus jeder Ecke des Raumes verschwinden lassen. Ihr grausamster Fund? „Das war mit einer Guillotine. Solche krassen Fälle kommen oft im IT-Bereich vor oder, wenn Leute den Computerspielen verfallen sind. Die leben oft in ihrer eigenen Welt“, erzählt Antje Schendel und spricht von den Grenzen zwischen Realität und Fiktion, die offenbar in vielen Fällen erodiert sind.

Beauftragt wird die Tatortreinigerin oft von Privatleuten wie etwa Wohnungseigentümern. Die Kunden haben mitunter außergewöhnliche Wünsche, wie die Todesspuren beseitigt werden sollen. Etwa bei dem Todesfall in einer Sporthalle, die mit Kunstrasen ausgelegt war. „Da haben wir gesagt: Die Stelle muss raus, weil da sehr viel Blut geflossen ist und sich das in und unter dem Teppich festgesetzt hat. Das war einfach ungewöhnlich. Aber die Halle gehörte einem Verein, und der hatte einfach nicht das Geld, um den kompletten Rasen auszutauschen. Also mussten wir kreativ werden“, erinnert sie sich. Da kam dann eine Absaugmaschine zum Einsatz, die aber normalerweise immer nur oberflächlich das Blut erfassen kann. Also haben Schendel und ihr Team Wassereimer auf den Rasen gekippt, sodass das Blut für Sekundenbruchteile an die Oberfläche schoss – und konnten es dann absaugen. Es ist eben auch Kreativität gefragt.

Was aber muss geschehen sein, damit eine Frau wie Antje Schendel freiwillig einen Beruf ausübt, der sie tagtäglich mit den Abgründen der Menschheit konfrontiert? Ausschlaggebend für die heute 42-Jährige war bei ihrem Einstieg, dass sie selbst mit dem Tod in Berührung kam. Der Vater eines ihrer drei Kinder arbeitete als Hausmeister und stieß seinerzeit auf eine Leiche. „Ob es ein Suizid oder Mord war, kann ich gar nicht mehr genau sagen. Aber wir wussten erst mal nicht, wie wir die Wohnung wieder sauber kriegen. Von da an hat mich das Thema beschäftigt“, erklärt sie. Aber auch schon vorher ist Antje Schendel sehr direkt mit dem Tod konfrontiert worden. Bereits im zarten Alter von sieben oder acht Jahren, so genau weiß sie das nicht mehr, hat sie eine Leiche im Haus ihrer Eltern gesehen; die eines Mieters, der, als er gefunden wurde, schon seit mehreren Tagen tot war. Die Leiche ihrer Urgroßmutter hat sie ebenso gesehen wie ihren dahinsiechenden Vater, der in Folge einer schweren Krankheit ums Leben gekommen ist.

Blut wegwischen im Akkord - Tatortpeinigerin Antje Schendel

Hemmungen vor dem Umgang mit Toten hatte die Tatortreinigerin dennoch nie. „Kein Mensch hat Angst vor Spinnen. Die bringen ihm andere Menschen bei, und so ist es im Umgang mit den Toten auch“, vergleicht Antje Schendel. Gegen den Geruch verwesender Leichen ist die 42-Jährige immun. Schlecht wird es ihr nur, wenn sie Fäkalien riecht. „Etwa die Notdurft alter Leute, die alleine in ihrer Wohnung gestorben sind. Da setze ich mir dann schon eine Maske auf“, bekennt Antje Schendel. Bevor sie als Tatortreinigerin anfing, experimentierte sie mit Schweineblut im heimischen Keller. Die Voraussetzungen waren ungleich schlechter, als sie es heute sind, denn sämtliche Reinigungsutensilien, die Schendel heute benutzt, gab es vor 13 Jahren schlichtweg noch nicht. „Die Industrie war darauf überhaupt nicht vorbereitet. Ich habe dann angefangen, selbst entsprechende Mittelchen in Auftrag zu geben“, erklärt Schendel. Die Geschäftsidee war geboren. Und die Erfahrung im Geschäft mit dem Tod hat sich für Antje Schendel ausgezahlt. Sie wird mittlerweile aus allen Teilen der Republik angefragt und beschäftigt bis zu acht Mitarbeiter. Ihr Job als Tatortreinigerin. Das ist die dominierende Seite von Antje Schendel. Aber sie hat auch noch eine andere Seite, auf das sie am liebsten gar nicht mehr angesprochen würde: ihre Karriere als Model. Sie begann im Teenageralter, als Antje Schendel zunächst als Haarmodel gefragt war. Was folgte, waren erste Fotoshootings der gebürtigen Berlinerin in DDR-Modeheften, bevor sie ihren eigenen Agenten beauftragt hat und des Berufs wegen extra nach London zog. „Mit 27 habe ich dann aber eingesehen, dass der ganz große Durchbruch ausbleibt und ich aufhören sollte. Außerdem habe ich diesen Beruf auch nicht geliebt“, erzählt Antje Schendel.

18 Stunden-Tage, Schmerzen in der Wirbelsäule, Schlafentzug und eine gnadenlos reduzierte Ernährung – all das wurde ihr zu viel. Nach dem Schlussstrich unter ihre Modelkarriere ist Antje Schendel nach Krefeld gezogen. Ein Schritt, den sie nie bereut hat. Hier hat sie ihr zweites Leben als Tatortreinigerin begonnen, und hier fühlt sie sich heimisch. „Ich wohne mittlerweile zwar mit meinem Mann in einem Dorf bei Münster und habe auch meine Firma dorthin verlagert. Aber richtig angekommen fühle ich mich dort nicht. Das war in Krefeld anders“, erzählt Schendel. Und lässt durchblicken, dass die Seidenstadt in Zukunft wieder um eine Einwohnerin reicher werden könnte: Deutschlands erste Tatortreinigerin.

Informationen über und Kontakt zu der Tatortreinigerin: www.tatortreinigung.de