Zart und doch energisch entspringt sie im Taufbecken vor der großen Türe. Fast vorsichtig fließt sie zwischen den Urnengräbern entlang, sucht sich ihren Weg durch einen Holzblock vor dem Altar, um letztendlich ihr Ziel im großen Jesukreuz am Raumende zu finden. Mit der „Lebenslinie“, einer eingelassenen Messingspur auf dem Boden der Grabeskirche, hat der Architekt Willi Thelen in St. Elisabeth von Thüringen an der Hülser Straße ein eindeutiges Sinnbild geschaffen: Das Leben und der Tod sind nicht nur miteinander verbunden, sondern sie sind sich auch sehr nah. Heute wohl noch mehr als früher: Denn der Anspruch an die letzten Schritte auf der Lebenslinie, auf dem Weg zu Gott, habe sich verändert, sagt Pfarrer Klaus Stephan Gerndt: „Die Wünsche an die eigene Bestattung oder die Bestattung eines Angehörigen sind individueller geworden. Das ist die Konsequenz aus einer schnelllebigen Zeit, die uns etliche Möglichkeiten bietet.“

 

„Wir müssen Menschen einen Grund geben, in die Kirche zu kommen.“ – Wegweisend
hat sich Pfarrer Gerndt für die Entstehung der Krefelder Grabeskirche eingesetzt

Im vergangenen Sommer ist die Grabeskirche St. Elisabeth von Thüringen nach vier Jahren der Planung und des Umbaues eröffnet worden. Dort, wo bis Ostern 2016 nur noch wenige Gemeindemitglieder miteinander Gottesdienst gefeiert hatten, findet jetzt die Asche von verstorbenen Krefeldern in wunderschönen, schlichten Urnengräbern ihre letzte Ruhestätte. „Das heißt aber nicht, dass hier keine Messen mehr stattfinden “, sagt Pfarrer Gerndt energisch. „Im Gegenteil: Dort, wo Raum für Trauer ist, ist auch gleichzeitig Raum für Leben.“ Ein Konzept, das viele Menschen anspricht: 717 Einzelgrabstätten und 298 Doppelgrabstätten sind in St. Elisabeth von Thüringen geschaffen worden. Bereits vor der Eröffnung im Juli waren mehr als 300 davon bereits reserviert worden. Grabeskirchen erleben in Deutschland einen Boom: Inzwischen gibt es mehr Urnenbestattungen als klassische Begräbnisse. Pfarrer Gerndt, den der Tod im Rahmen seiner Tätigkeit als Seelsorger seit vielen Jahren begleitet, wundert das nicht. „Die Welt ist groß geworden, und das führt dazu, dass Menschen oft alleine sterben“, erklärt er und ergänzt: „Wir haben weniger Nachwuchs, und die Kinder, die es gibt, ziehen oft für den Beruf in andere Städte oder sogar andere Länder. Es ist niemand mehr da, der sich um ein Grab kümmern kann.“

Eine Gesellschaft wächst heran, die anonymer wird. Früher haben es sich Geschwistergruppen zur Aufgabe gemacht, das Grab der Eltern zu pflegen. Es war eine Tradition, die Verbundenheit und Nähe schafft. Heute ist es oft eine lästige Pflicht oder ein schneller Griff zum Telefonhörer, um Grabpflege beim Friedhofsgärtner zu beauftragen.
„Für die Menschen, die sich bei mir und meinen Kollegen über ein Urnengrab informieren, ist es ein schönes Gefühl, zu wissen, dass hier Leben stattfindet. Dass wir an die Verstorbenen denken“, erzählt der Pfarrer. So war es zum Beispiel am 30. Dezember. Zu einem besonderen Gottesdienst hatte Klaus Stephan Gerndt eingeladen: Gemeinsam mit den Kirchgängern besuchte er jedes schon belegte Urnengrab, um hier eine Segnung für das anstehende Jahr auszusprechen. Begegnungsräume wie eine offene Teeküche und individuelle Aktivitätsangebote bieten anschließend die Möglichkeit, in Gemeinsamkeit zu trauern oder seinen eigenen Gedanken Freiraum zu gönnen. „Wir schaffen Möglichkeiten. In einer Welt, die vor Impulsen strotzt, müssen wir Menschen einen Grund dafür geben, in die Kirche zu kommen“, sagt der Pfarrer.

Bereits vor der Eröffnung im Juli waren mehr als 300 Grabstätten reserviert worden. Grabeskirchen erleben in Deutschland einen Boom.

Eine interaktive Gedenktafel gibt Platz, Gedanken in Worte zu fassen

Und Gründe gibt es in St. Elisabeth von Thüringen viele: Im Kreuzgang ist in Zusammenarbeit mit Glaskünstler Jochem Poensgen ein Weg entstanden, der mit farblich unterschiedlich gestaltenden Fenstern und aufgesetzten Steintafeln einlädt, sich Schritt für Schritt zu ordnen, Gedanken loszulassen oder neue aufzunehmen. „Ich gehe hier jeden Tag lang, berühre die Steintafeln und denke an jeder Tafel an einen anderen verstorbenen Menschen“, erklärt der Pfarrer.

Auch an der interaktiven Gedenkttafel, die am Eingang des Kreuzganges an der Wand angebracht ist, fließen Leben, in Form von Aktivität, und Tod, in Form von Gedenken, ineinander. Über und über ist die Tafel mit kleinen, gelben Zettelchen versehen, auf denen Angehörige und Besucher ihren Worten freien Lauf gelassen haben. „Lieber Gott, hilf mir, mit meiner Trauer fertig zu werden“, schreibt Norbert. „Gerne stelle ich mir vor, dass du jetzt da oben sitzt und auf uns herabschaust und immer an allem Teil nimmst, was wir machen“, hat eine ältere Dame aufgeschrieben. „Lass sie zusammen Schach spielen!“ ist in großen Buchstaben zu lesen und „Danke, dass du hier Schutz findest“, schreibt Elisabeth.

 

Schutz zu finden, über den Tod hinaus, das ist ein großes Thema in der Grabeskirche. Wer sich einige Stunden in den offen zugänglichen Kirchraum setzt und den vorbeiziehenden Gesprächen folgt, wird die zwischen Hilflosigkeit und Hoffnung schwankenden Ausführungen über die eigene Vorstellung im Grab immer wieder in unterschiedlichen Worten zu Gehör bekommen.

In der Grabeskirche wird wie in jeder Kirche weiterhin
Gottesdienst gefeiert

„Das Bild davon, dass der eigene, tote Körper in einem Sarg unter der Erde etlichen Umwelteinflüssen ausgesetzt ist und von Würmern angefressen wird, fürchtet die Menschen“, erklärt der Pfarrer. „In der Grabeskirche haben sie es über den Tod hinaus warm, sie sind geborgen und werden nicht vergessen.“ Dass sich Ängste verändern, erlebt der Seelsorger jeden Tag. Früher, so erzählt er, hätten sich deswegen nur wenige für eine Feuerbestattung entschieden. „Da waren die Erinnerungen an die Bomben im Krieg zu nah. Die Vorstellung war zu sehr mit Angst verknüpft“, sagt Gerndt. Heute rufe der dunkle Boden eben Ängste hervor.

Pfarrer Gerndt nimmt die Veränderungen von Ansprüchen, von Bedürfnissen, von Sorgen und Ängsten mit in seine kirchliche Arbeit auf. Richtungweisend hatte er sich von Anfang an für die Umgestaltung der alten Kirche St. Elisabeth in eine Grabeskirche eingesetzt. Glauben und Kirche modern zu gestalten, das sei seine Aufgabe als Vertreter der katholischen Kirche. „Denn wenn wir nicht darauf reagieren“, ist er sich sicher, „wird sich Kirche in Zukunft erübrigen.“

 


Die Grabeskirche ist täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Es stehen zu jeder Zeit Ansprechpartner im Kirchenraum zur Verfügung. Weitere Informationen zu Gottesdiensten und Angeboten finden Sie im Internet: www.grabeskirche-krefeld.de
Grabeskirche St. Elisabeth von Thüringen
Hülser Straße 574, 47803 Krefeld