Am 13. August dieses Jahres ereignete sich ein historischer Moment in der Gaming-Szene. Das Dota-Team „Evil Genius“ aus den USA gewann das mit 18,2 Millionen US-Dollar dotierte „Defense of the Ancients“-Turnier in Seattle und strich selbst satte 6,6 Millionen US-Dollar ein. Der jüngste Spieler der Siegermannschaft ist zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 16 Jahre alt. Im E-Sports, wie der Kampf auf virtuellen Schlachtfeldern genannt wird, war dies das höchste jemals ausgelobte Preisgeld. Sphären, die sonst nur bei ATP-Turnieren im Tennis oder Golf erreicht werden.
Weitestgehend unbeachtet von den Mainstream-Medien hat sich in der vergangenen Dekade eine Industrie entwickelt, die weltweit Abermillionen Menschen in ihren Bann zieht. Ebenfalls weitestgehend unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung hat der Krefelder Dennis Gehlen mit „Take TV“ in demselben Zeitraum in der Seidenstadt ein Einfallstor in diese Welt geschaffen. Der vorläufige Höhepunkt: Ein nach seinen Vorstellungen geschaffener Komplex aus TV-Studios, Gastronomie, Gaming- und Chillout-Areas auf der Alten Linner Straße. Ein absolutes Novum. Weltweit.
Die Strapazen der zurückliegenden Monate sind dem 29-Jährigen bei der Eröffnung im Sommer nicht anzusehen. Glücklich läuft der Pionier durch seine mehrere Hundert Quadratmeter große Oase für Computerspieler. Er begrüßt die Gäste mit Handschlag, sieht hier und da nach dem Rechten. Während sich im vorderen Bereich des Erdgeschosses zahlreiche Besucher an Kickertischen und Konsolen messen, findet im hinteren, durch Plexiglaswände abgetrennt, ein Turnier im Spiel „Counter Strike“ statt. Über mehrere Wochen mussten sich die Profis aus aller Welt zuvor für die Endrunde in Krefeld qualifizieren. Die besten machen nun ihre Aufwartung und spielen dabei um mehrere Tausend Euro Preisgeld. Immer mit dabei sind unzählige Kameras, die das Spektakel erst in die Regie und von dort aus über Streaming-Plattformen wie „Twitch TV“ in die weite Welt senden. Millionen Gaming-Fans aus aller Welt richten an diesem Wochenende ihren Blick auf die Stadt am Rhein. Und damit ist ausnahmsweise einmal nicht Köln gemeint. Tatsächlich steht Krefeld dank Gehlens Engagement schon seit Jahren im Blickpunkt der Szene. Gehlen selbst ist in dieser Zeit vom „Pro-Gamer“ zum Computerspiele liebenden Unternehmer geworden. Vorbilder für einen derartigen Lebensweg hatte er nicht.
„Die Spieler liebten dieses Turnier. Es hatte eine familiäre, fast intime Atmosphäre, dennoch ging es um einen Haufen Geld. Diese Mixtur kam gut an.“
„Mich hat der Wettkampf schon immer fasziniert“, beginnt der smarte Macher mit dem Dreitagebart zu erzählen. „Als Kind war ich eigentlich nur draußen und habe Fußball gespielt. Dann hat mich ein Freund einmal mit ins Internetcafé CEC auf der Evertsstraße mitgenommen. Dort hat meine Leidenschaft für Echtzeit-Strategie-Spiele wie ‚Starcarft‘ und später ‚Warcraft 3‘ dann richtig Fahrt aufgenommen. Mich hat die Auseinandersetzung mit anderen Spielern einfach gereizt.“ Schnell wurde in jenen Tagen noch vor der Jahrtausendwende aus dem begabten Hobbyspieler ein virtuoser Profi an Maus und Tastatur. „Innerhalb von nur zwei Monaten war ich so gut, dass sich Zuschauer hinter mir versammelten und ich für umsonst spielen durfte“, sagt er mit Blick in seine Anfangszeit. Stetig kletterte er in diesen Tagen in den Ranglisten nach oben. „Diese rasanten Verbesserungen haben mich nur weiter motiviert. Irgendwann, ich war nicht einmal volljährig, qualifizierte ich mich dann für große Turniere, reiste durch Europa und gewann Preisgelder. In diesem Zeitraum ist auch meinen Eltern und Freunden klar geworden, dass hinter dieser Gaming-Geschichte keine brotlose Kunst steckt, dabei war das damals alles noch im Aufbau begriffen. Spätestens mit dem Gewinn eines Autos, das ich später für 20.000 Euro verkaufte, war allen klar, dass es hier um echte Werte geht“, so Gehlen weiter.
Bei Echtzeit-Strategie-Spiele, die auch heute die Kernkompetenz von Take TV bilden, geht es um den Aufbau von Gebäuden und Armeen, mit denen im Spielverlauf der Gegner überwältigt und dessen Basis zerstört werden muss. Vorausplanendes strategisches Denken im Kombination mit einer herausragenden Kontrolle von Maus und Tastatur sind hier die Mittel zum Erfolg. Ein Stück weit hat Gehlen diese Attribute auch beim Aufbau seines Lebens abseits des tatsächlichen Spiels an den Tag gelegt. „Nach dem Abitur war mir klar, dass ich jetzt nicht einfach die ganze Zeit weiter spielen konnte, ich wollte etwas in der Tasche haben, mich aber dennoch nicht vollständig von diesem Metier verabschieden. Die Ausbildung zum Redakteur und Moderator bei GIGA, einem Sender, der damals schon Gaming als Internet-Fernsehen präsentierte, erschien mir folgerichtig. Viele Jahre habe ich dort als Host durch Events geführt, Spiele kommentiert und moderiert. Das war eine sehr schöne Zeit, in der ich sehr viel gelernt habe und weitere Kontakte knüpfen konnte“, erzählt der etwa 1,75 Meter große Mann mit dem dunklen Haar. Doch die vielen Ideen, die er hat, die Visionen, die er umsetzen möchte, machen eine dauerhafte Beschäftigung als Angestellter unmöglich. „Ich hatte irgendwann einfach das Gefühl, dass Aufwand und Ertrag in einem ungleichen Verhältnis standen. Ich habe in dieser Zeit selbstständig Events geplant, Sponsoren akquiriert und Ligen entwickelt. Auf mein Drängen hin wurde ich freier Mitarbeiter und konnte so sowohl im Auftrag von GIGA und später der ESL arbeiten, als auch meine eigenen Pläne verwirklichen“, beschreibt Gehlen den Verlauf. Mit spärlichstem Equipment richtete sich der junge Selbstständige damals auf der Petersstraße, gegenüber der Königsburg, das erste Studio ein und sendete seine selbst produzierten Formate über den Online-Äter.
Sogenannte Streaming-Plattformen funktionieren dabei immer nach demselben Prinzip. Menschen können darauf ein Sendesignal anbieten. Mit steigenden Zuschauerzahlen erhöhen sich dabei die Einnahmen durch Werbung. Zudem können Fans den Kanal kostenpflichtig abonnieren oder direkt spenden. „Das war unglaublich“, sagt Gehlen und schüttelt den Kopf, „so viele Fans haben mir auf diesem Wege Geld für neue Kameras und Computer gespendet. Sie wollten mir einfach helfen, mein Ding aufzubauen. Dafür bin ich auch heute noch sehr dankbar. 50.000 Euro nahm er in der Folge für den nächsten Meilenstein in die Hand. Er zog zur Wiedenhofstraße über das Limericks, kaufte weiteres Equipment und formte den „Homestory Cup“, ein Starcraft 2-Turnier, das alljährlich die besten Spieler der Zunft in die allmählich immer beengter werdende Wohnung der Krefelder Innenstadt zog. „Die Spieler liebten dieses Turnier. Es hatte eine familiäre, fast intime Atmosphäre, dennoch ging es um einen Haufen Geld. Diese Mixtur kam gut an“, berichtet der Initiator stolz. 2013, als alles Kapazitäten des alten Standortes aus- beziehungsweise überreizt gewesen waren, setzte Gehlen zum großen Wurf an. „Ich wusste, was ich wollte und ging auf die Suche nach geeigneten Immobilien. Natürlich habe ich mit dem Gedanken gespielt, mit ,Take TV‘ in eine Metropole wie Köln oder Hamburg zu ziehen, aber letztlich habe ich mich für Krefeld, meine Heimatstadt, entschieden. Zum einen aus Verbundenheit, zum anderen wegen des Mietspiegels“, erklärt er.
Ort des neuen Take TV der Superlative ist der alte Sportpalast. In vielen Monaten harter Arbeit haben Gehlen und sein Team aus der fast baufälligen Ruine ein Produktions-Imperium über mehrere Etagen geschaffen. Täglich werden hier zahlreiche Sendungen produziert, Turniere ausgetragen und Matches kommentiert. „Natürlich war es nicht einfach, das hier zu verwirklichen, aber dank vieler Unterstützer, Partner und Sponsoren haben wir es geschafft. Insgesamt 500.000 Euro sind in den Umbau geflossen“, sagt Gehlen über sein Meisterwerk. Der Clou: Take TV hat jeden Tag für alle Interessierten geöffnet, ohne Eintritt. Es gibt eine Bar, Tischtennis, Konsolen, Air-Hockey und sogar ein Kino, in dem die Live-Events verfolgt werden können. „So etwas gab es noch nie. Deswegen ist es nicht einfach gewesen, meine Vision zu vermitteln. Aber wenn ich etwas will, dann bekomme ich es auch“, sagt Gehlen mit breiter Brust und ergänzt: „Wie das Ganze hier genutzt wird, ist noch nicht in Stein gemeißelt. Vieles ist denkbar. Gerne können hier Menschen auch ihren Geburtstag feiern oder Vereine ihre Weihnachtsfeier. Wir stehen allem aufgeschlossen gegenüber.“ Inzwischen ist Take TV auch keine reine Gaming-Produktionsfirma mehr. „Wir haben die Technik und das Know-how, um sämtliche Produktionen aller Art übernehmen zu können. Diesem Engagement wollen wir in Zukunft noch mehr Gewicht geben“, sagt er, den Blick schon wieder nach vorne gerichtet. Wenn für die Menschen aus Deutschland und der gesamten Welt Krefeld auch in Zukunft nur eine mittelgroße Stadt in der Nähe von Düsseldorf bleiben mag, ist sie für die Gaming-Szene dank Gehlen ein leuchtend eingefärbter Punkt auf der Landkarte. Die Basis des Erfolgs ist dabei der unbedingte Glaube an die eigene Idee. Ein Beispiel, das Schule machen sollte. Weltweit.
Dennis Gehlen, TaKeTV gaming&more, Alte Linner Straße 93-97
47799 Krefeld, www.live.taketv.net