Ein Seminar mit Karate-Legende André Bertel

Ein verregneter Samstagmorgen im Oktober. Bis auf einen kleinen Wegweiser mit der  unscheinbaren Aufschrift „Karate“ deutet nicht viel auf das außergewöhnliche Event hin, das gerade in der Sporthalle der Kurt-Tocholsky Gesamtschule stattfindet. Auf dem Weg zur Halle dann ein erstes Anzeichen für die Relevanz der Veranstaltung: Autos mit Kennzeichen aus ganz Europa stehen auf dem Schulparkplatz. Der Grund: Karate-Meister André Bertel gibt eines seiner seltenen Seminare. In diesem Jahr ist es das einzige außerhalb Japans. Grund genug für hunderte zum Teil hochdekorierte Schwarzgurte aus ganz Europa den mitunter langen Weg nach Krefeld auf sich zu nehmen. Eingeladen wurde Bertel vom Krefelder Verein Karate Dojo Nakayama Krefeld e.V..

Frank Köhler, André Bertel und Morooka Takafumi -DER RUF DES SENSAI

Einen Tag zuvor treffen wir Karateka Frank Köhler in seinem Wohnhaus in Krefeld Verberg. Köhler ist langjähriges Mitglied des Vereins und Träger des 4. Dans, dem Grad des anerkannten Wegschülers. „Im Karate beginnt der lange Weg hin zur geistigen, charakterlichen und körperlichen Perfektion eigentlich erst mit dem Erhalt des schwarzen Gurtes, dem 1. Dan“, erläutert Köhler und bittet uns in sein privates Dojo. In einem Anbau seines Wohnhauses hat sich der passionierte Karateka hier einen persönlichen Traum erfüllt. Trainingsmatten auf dem Boden, Spiegel an allen Wänden, eine Shoji-Schiebetür als Eingangspforte, Schuhverbot – mitten in Krefeld Verberg wähnt man sich plötzlich in Japan. Frank Köhler ist aufgeregt, denn André Bertel und sein Freund und Schüler Morooka Takafumi sind während des Seminars zu Gast bei ihm. „Es ist in etwa so als wäre man Opern-Fan und Luciano Pavarotti würde zu Besuch sein“, schwärmt Köhler. Dann betreten Bertel und sein Schüler das kleine Privat-Dojo für ihre morgendliche Trainingsroutine.

In typisch freundlicher japanischer Art verneigen sich die beiden Gäste zur Begrüßung. Würde man dem in Karate-Kreisen international hoch angesehenen gebürtigen Neuseeländer Bertel, seines Zeichens Träger des 6. Dans, auf der Straße begegnen, traute man ihm wohl nicht zu, dass er ohne weiteres im Stande sei, einen Widersacher mit nur einem gezielten Schlag umzubringen. Mit einer kleinen Demonstration werden wir schnell eines Besseren belehrt: Der Karateka bittet darum, ihm die Hand entgegenzustrecken und schlägt aus dem Stand mit einer Wucht zu, die mich durch den halben Raum stolpern lässt. Dann bittet Bertel darum, sich kurz auf die Zehenspitzen zu stellen und wiederholt den Schlag. Ich stehe felsenfest und nichts geschieht – beeindruckend! Bertel lehrt und lernt eine besonders traditionelle Art des Shotokan-Karate, den sogenannten Asai-Stil, der von seinem 2006 verstorbenen japanischen Großmeister Tetsuhiko Asai entwickelt wurde. Die hollywoodreife Biografie Bertels ist dabei mindestens genauso beeindruckend wie seine perfektionierte Kampfkunst.

DER RUF DES SENSAI-KARATE-LEGENDE ANDRÉ BERTEL

„Mit fünf Jahren brachten mich meine Adoptiveltern in Neuseeland dazu, Karate zu lernen. Mein Vater war ein hochdekoriertes Mitglied der US-Navy und kämpfte in zahlreichen Kriegen. Beide wollten, dass ich eine starke Person werde“, erinnert sich Bertel während er sich mit besonderen Dehnübungen auf sein tägliches Training vorbereitet. „Zunächst mochte ich es überhaupt nicht, aber mit der Zeit machte es mir immer mehr Spaß. 1993 reiste ich dann das erste Mal nach Japan, um dort für drei Monate Karate in Tokyo zu studieren.“ Es war der erste von vielen Japan-Besuchen des jungen Neuseeländers und zugleich auch der schicksalhafteste. Denn mit nur 17 Jahren traf Bertel im Hauptquartier der Japan Karate Association auf den damaligen Cheftrainer Tetsuhiko Asai, dem posthum als einer von wenigen Menschen auf der Welt der 10. und damit höchste Dan verliehen wurde. Der Sensai erkannte das Talent Bertels und erkor ihn zu seinem persönlichen Schüler aus – eine maximale Ehre, insbesondere für einen Nicht-Japaner. „Seitdem ist Shotokan-Karate mein Leben. Ich gab weltweit Seminare zusammen mit meinem Meister, gewann 148 Wettbewerbe, darunter 17 Mal die Neuseeländische Meisterschaft. Mit 30 zog ich mich dann aus dem Wettkampfgeschehen zurück, keinesfalls aber aus dem Karate. Denn ich bin noch lange nicht am Ziel“, gibt sich Bertel, der mit seiner Familie inzwischen im japanischen Oita City wohnt, bescheiden. Ohnehin sind es nicht Dan-Grade oder Meisterschaftstitel, die den sympathischen Karateka antreiben, sondern ein hartes Training bis zur Perfektion.

„Ich wollte nie besser sein als irgendjemand, sondern immer nur der Beste, der ich sein kann“, fasst Bertel seinen persönliche Philosophie zusammen und führt den Gedanken aus: „Heute ist es mein Anliegen, die Kampfkunst meines Sensais Asai weiterzugeben. Dabei handelt es sich um eine wahre Form des Karate, die es letztlich zum Ziel hat, einen Feind so schnell wie möglich auszuschalten. Natürlich ist Karate grundsätzlich defensiv angelegt. Aber nur wenn man das Ziel des schnellen Tötens fest vor Augen hat, kann man effektive Techniken erlernen. Schöne Bewegungen werden dich in einem echten Kampf nämlich nicht beschützen.“ In Karate-Kreisen ist Bertel bekannt für seinen harten und kompromisslosen Martial-Arts-Ansatz, der sich radikal gegen Karate als sportliche Disziplin stellt. Während es bei Wettbewerben nämlich oft nur um möglichst perfekte Bewegungsmuster geht, setzt Bertel, der jahrelang immer wieder als Personenschützer und in Zeugenschutzprogrammen arbeitete, in seinen Seminaren auf harten und echten Körperkontakt.

Was das bedeutet, zeigt sich am nächsten Morgen beim ersten Seminartag in der Kurt-Tocholsky Gesamtschule. Bertel und sein Partner Takafumi führen abwechselnd im Frontalunterricht Schlag- und Tritt-Techniken vor und auf Befehl wiederholen die weit über einhundert in Reih und Glied aufgestellten Karateka sie dann immer wieder. Zwischenzeitlich ruft Bertel die Anwesenden aber auch zu einem Kreis zusammen und demonstriert bestimmte Techniken an einem Freiwilligen – schmerzverzerrte Gesichter und blaue Flecken inklusive. Doch genau dafür sind die Karateka von weit her angereist: Für ein ehrliches und hartes Training, bei einem wahren Sensai und einer der prägenden Figuren des heutigen Shotokan-Karate.

 

Karate Dojo Nakayama Krefeld e.V.,
Mevissenstr. 62b,
47803 Krefeld,
Mail: kontakt@karate-krefeld.de,
Web: www.karate-krefeld.de

Der Verein bietet im November an drei Terminen Schnupperkurse unter der Leitung von Frank Köhler an. An drei Samstagen lernen Sie aktiv die japanische Kultur, Elemente japanischer Sprache, gymnastischen Übungen, Jogabewegungen, Zazen-Meditation und natürlich auch Karate-Techniken bis hin zur Einführung in die Selbstverteidigung kennen. 11., 18., und 25.11.2017 von 10 bis 12 Uhr.