Meine Mutter hatte bis in die achtziger Jahre hinein ein Bügelzimmer, dessen Einrichtung dem Til Schweiger-Film „Manta Manta“ alle Ehre gemacht hätte. An der orange-braun-grün tapezierten Wand hingen ein lebensgroßer Elvis-Starschnitt aus der Zeitschrift „Bravo“ und ein knallrotes Portrait des kubanischen Freiheitshelden Che Guevara, während auf einem Regal an der gegenüberliegenden Seite selbstgebaute Plastikmodelle amerikanischer Flugzeugträger vor sich hin dümpelten. Auf einem Sideboard darunter vergilbte klassische Jugendliteratur wie Winnetou I–III, Spiderman und Asterix der Gallier neben einem Sammelalbum für Fußballbilder der WM von 1974. In diesem weißen Schleiflackschränkchen verbargen sich ein Dual-Plattenspieler und etliche LPs der Eagles, von Pink Floyd und anderen Rocklegenden der siebziger Jahre. Nein, ein Rock-Groupie ist meine Mama nie gewesen, und der Wunsch, ein Flugzeugträgerkapitän oder zähnefletschender Revolutionsführer zu sein, war dieser friedliebenden Frau genauso fremd wie der Fuchsschwanz an meiner Autoantenne.
Wenn erwachsene Kinder sich auf den eigenen Weg machen, lassen sie zumeist einiges von ihrem persönlichen Kram und oft auch das verzweifelte „Du kannst jederzeit wieder in Dein altes Zimmer!“-Angebot ihrer Eltern zurück. Deshalb plättete meine Mutter ihren wöchentlichen Bügelberg tapfer im unveränderten Allerheiligsten meiner rebellischen Jugendzeit, obwohl ihr das Bouquet meiner pubertären Schweißfüße noch Monate nach meinem Weggang das Hirn vernebelt haben muss. Wenn eine Familie ein halbes Leben lang jeden Winkel ihrer Wohnung nutzen musste, lässt sich dauernder Leerstand nicht gut aushalten. Von daher reden sich viele Eltern ein, man könnte das ehedem so liebevoll eingerichtete Kinderparadies nun endlich in das heißersehnte Bügel-, Gäste- oder Studierzimmer umfunktionieren. Aus sentimentaler Rücksichtnahme bleibt zunächst alles beim Alten. Erst, wenn deine Mutter freudig verkündet, sie hätte deine Pornohefte-Sammlung gefunden und fürsorglich zum Mitnehmen auf die Anrichte gelegt, spürst du, dass es wohl nie mehr so sein wird wie früher.
Danach wird es malerisch. Dein altes Bett ziert plötzlich Oma Klawuttkes Erbtagesdecke, und von dort, wo früher dein legendäres „Deep Purple in Rock“-Poster an der Wand prangte, bedroht dich nun Tante Agathes düstere Kopie von Albrecht Dürers „Der Mann mit dem Goldhelm“. Nach dem ersten Schock atmest du auf. Wenn du nämlich siehst, dass dein selbstgeschraubtes Billy-Regal mit einem „Gruß aus Venedig“-Murano-Glas und einer Sammlung mittelalterlich anmutender Zinnkrüge vollgepfropft ist, weißt du, dass deine Eltern sich nun endlich von dir abgenabelt haben. Bei ihrem Selbstverwirklichungsbefreiungsschlag ist ihnen der ideelle oder faktische Wert jugendlicher Hinterlassenschaft bei aller Liebe nicht immer bewusst. So landete eine philosophische Enzyklopädie meiner Frau in einer brasilianischen Klosterbibliothek, und meine Sammlung historischer Kriegsschiffe musste auf Geheiß meiner erzkatholischen Großmutter einem „Souvenir aus Lourdes“-Hausaltar mit integriertem Weihwasserschälchen weichen. Heute würde ich nur allzu gerne meinen alten Che Guevara oder den Elvis-Starschnitt in das bald freiwerdende Kinderzimmer meines Sohnes hängen, aber leider sind auch diese Symbole meiner Jugend verschwunden. Deshalb mein Rat an die jetzt flügge werdende Generation: „Passt gut auf eure Shawn Mendes- oder Zac Efron-Poster und die alte X-Box auf. Nicht heute oder morgen, aber irgendwann, braucht ihr sie vielleicht für euer Bügelzimmer.“
Ihr Wolfgang Jachtmann