In Amerika berühmt, in der Seidenstadt zuhause
Mehr als 3.000 Jahre alt sind die bunten Decken, die in einem Museum in Kairo ausgestellt werden. Dass Menschen schon lange vor unserer Zeitrechnung den Patchwork-Quilt für sich entdeckten, beweisen die Ausstellungswerke eindrucksvoll. Aber die Leidenschaft, die über den Orient nach China und zuletzt in die Vereinigten Staaten schwappte, hat es nur minimal nach Deutschland geschafft, in Krefeld allerdings ihr Kompetenzzentrum gefunden. Mit Claudia Pfeil lebt eine weltweit bekannte Quilterin in der Seidenstadt. Versteckt hinter zwei massiven Holztüren und großen Fenstern an der Ritterstraße 166, ist sie mit ihrem Geschäft „Quilt & Co.“ in der Szene so bekannt, dass Amerikaner über den großen Teich fliegen, um sie hier zu besuchen und von ihr zu lernen. In Amerika wird sie auf der Straße sogar nach Autogrammen gefragt, in Krefeld bleibt die 58-Jährige aber fast unsichtbar, denn das Stoffhandwerk findet nur wenig Beachtung auf europäischem Boden.

Der Laden an der Ritterstraße dient gleichzeitig als Showroom für Longarm-Quiltingmaschinen
„In Amerika besitzt im Durchschnitt jeder Haushalt anderthalb Quilts“, erklärt die Designerin. „Wenn ich in Deutschland erzähle, dass ich quilte, dann muss ich erst einmal erklären, dass das nichts mit Schottenröcken zu tun hat, sondern eine Nähtechnik ist.“ Und dabei habe jeder schon einmal einen Quilt gesehen: Traditionell ist ein Quilt eine aus kleinen, verschiedenfarbigen, zugeschnittenen Stoffstücken zusammengesetzte gesteppte Decke. Vor allem in den eiskalten Wintern in den Staaten haben Frauen aus alten Kleidungsstücken die Decken hergestellt und sich ganze Familien in den Wintermonaten unter den Überwürfen gewärmt. Später dann entwickelte sich der Quilt zur beliebten Zierdecke, die sogar als Wandteppich genutzt wird. „Gleichzeitig hat das
Quilten einen sozialen Stellenwert, denn die Decken werden traditionell zum Beispiel mit Nachbarn oder Freundinnen genäht“, erklärt die Fachfrau. Bei den Siedlerfrauen habe das soziale Ereignis sogar einen eigenen Namen, „quilting bee“, bekommen.

Aus der ganzen Welt kommen Nähbegeisterte nach Krefeld, um Claudia Pfeil als Expertin für das Quilten zu besuchen
Auch Claudia Pfeil ist in einer für sie besonderen Zeit auf das Quilten gestoßen: Aus dem Saarland nach einer Ausbildung als Schaufenstergestalterin für ein Studium an der Hochschule Niederrhein nach Krefeld gezogen, bekommt sie 1992 ihr erstes Kind. „Julian war pflegeleicht, und ich hatte Langeweile“, erinnert sie sich. „Aus dem Studium fand ich Stoffe, die ich selbst gewebt hatte und machte daraus eine Patchworkdecke.“ Es ist der zweite Quilt, den die Designerin herstellt. „Ab dem Zeitpunkt bin ich nicht mehr von der Nadel losgekommen“, erinnert sich die zweifache Mutter und lacht: „Ich war infiziert.“ Schnell beginnt sie, Patchworkkurse in einem Krefelder Geschäft für Nähgarn zu geben. Die Nähtechniken bringt sie sich als Autodidaktin selbst bei, gibt es auf deutschem Boden bisher auch keinen Experten, der sie unterrichten könnte. Es dauert nicht lange, bis sich aus dem Hobby ein entsprechendes Geschäftsmodell entwickelt: Zuerst kauft Pfeil nur für sich selbst Stoffe ein; durch ihr Kursangebot wird die Nachfrage nach Patchworkmaterialien aber immer größer, so dass sie 1997 ihr erstes Ladenlokal am Westfall eröffnet.
„Ich habe früh begonnen, Stoffe aus Amerika zu importieren, denn dort ist das Angebot deutlich größer als in Europa“, erklärt sie. „Das hat meinen Bekanntheitsgrad erhöht.“ Fünf Jahre später sogar so sehr, dass sie umzieht um sich im Ladenlokal an der Ritterstraße, dort, wo sie auch heute noch wirkt, zu vergrößern. Zwei Jahre später wird eine amerikanische Firma auf sie aufmerksam: APQS produziert Longarm-Quiltingmaschinen. Wurden bisher die großen Decken aufwendig unter der kleinen Nähmaschine zum Nähen hin und her bewegt, bewegt sich bei der Longarm-Maschine die Nadel mithilfe eines Schlittens über den Stoff – eine für das Quilten revolutionäre Technik, die schwierige Prozesse vereinfacht und feinere, komplizierte Muster möglich macht.
„Statt in ein neues Auto zu investieren, entschloss ich mich, mir eine Longarm-Maschine zu kaufen, und war damit die Vorreiterin in der europäischen Szene“, erzählt sie. „Für mich bedeutete mein neues Werkzeug gestalterische Freiheit, für meinen Laden aber, dass mich auf einmal Menschen aus der ganzen Welt besuchten, um die Maschine zu sehen.“ Als Geschäftsfrau riecht Pfeil auch hier eine Chance und vereinbart mit APQS, den Laden an der Rheinstraße zum Showroom werden zu lassen. Drei weitere Quiltingmaschinen ziehen nach Krefeld.
Fast gleichzeitig beginnt die junge Kreative, sich nicht nur durch hervorragende Technik auf dem internationalen Markt beweisen zu wollen, sondern auch mit ihren charakteristischen Fähigkeiten für Gestaltung und Kreativität auf sich aufmerksam zu machen. 2006 nimmt sie zum ersten Mal an einer Quilting-Show, einem typischen amerikanischen Wettbewerb für Patchworkdecken, teil. „In der Regel gibt es unterschiedliche Kategorien, zum Beispiel Kunstquilts, traditionelle Decken oder auch die Kategorie für modernes Nähen“, erklärt die Kunsthandwerkerin. In den Staaten sind die Quiltshows Publikumsmagneten: Wer sich als Quilter bezeichnet,
wird hoch angesehen und landesweit geschätzt, die Siege oder Platzierungen sind innerhalb der Wettbewerbe außerdem mit hohen Preisgeldern dotiert. Vor allem im Bereich der Kunstquilts räumt „Claudia from Germany“, wie die Amerikaner sie nennen, ab –und gewinnt für die wunderschönen Kunstdecken diverse Preise.
Im Showroom an der Ritterstraße zeigt sie ihr Handwerk. Der Quilt „Water Bay“ malt auf Stoff beispielsweise eine traumhafte Unterwasserlandschaft. Aus einem französischen Schal hat Claudia Pfeil Schildkröten erschaffen, und mit aufwendigen Bestickungen eine Korallenlandschaft zum Leben erweckt. Der benachbarte „Time to catch a dream“-Quilt lässt den Betrachter in eine Indianerwelt wandern: Unglaubliche Detailarbeiten erinnern an Tipis in Erdtönen, Abende am Lagerfeuer oder fast verblasste Träume. „Mich inspiriert eigentlich alles“, erklärt die Krefelderin und lacht, „ob es Scuba Diving in Australien ist, ein Schal, den ich auf einer Reise in Frankreich entdecke, oder ein Ohrring, der mir gefällt. Ein Quilt ist immer ein Entstehungsprozess.“ Ein Jahr braucht Pfeil in der Regel, um ihre Ideen auf der Decke umzusetzen. Honoriert wird die Arbeit nur, wenn sie einen Preis gewinnt. „Ansonsten fertige ich Auftragsarbeiten an und gebe auch weiterhin Kurse“, erklärt die 58-Jährige. „Nur so kann ich am Ende das Quilten auch auf deutschem Boden bekannt machen.“
In Verbindung mit einem Besuch im Ladenlokal „Quilt & Co.“ ist es auch immer mal wieder nach Absprache möglich, die Gallery von Claudia Pfeil zu besichtigen oder einen freien Platz für einen Kurs zu ergattern.
Quilt & Co
Ritterstraße 166, 47805 Krefeld,
Telefon: 02151-77385
Web: www.quilt-und-co.de