Zauberhafte Geschichten setzen sich aus Buchstaben zusammen und lassen wunderschöne Bilder vor unseren Augen entstehen. Große Wissenschaftler nutzen sie schon immer, um ihre Erkenntnisse zu bündeln und an die nächste Generation weiterzugeben. Und versteckte Botschaften großer Romantiker machen uns zu Zeitzeugen einzigartiger Liebesgeschichten. Auch heute noch haben Bücher für Liebhaber einen großen Wert. Ähnlich wertvoll, aber auf eine ganz andere Art und Weise, sind diese für Kerstin Knauth. Schon als Kind faszinieren sie weniger die Geschichten, die sich zwischen den Seiten verbergen, als der Geruch der alten Schätze, die Haptik und die Beschaffenheit der Einbände. „Eine Leseratte war ich als Kind nicht, das bedeutet aber nicht, dass mir Bücher nicht wichtig waren“, erzählt die 52-Jährige. Heute beschäftigen sie Bücher in einem großen Teil ihres Lebens, sie sind ihr täglich Brot. Denn die Düsseldorferin ist eine der wenigen Buchbinderinnen, die es in der Seidenstadt noch gibt.

Wie in einer Zeitwerkstatt fühlt sich der Besucher im Atelier der Buchbinderin. Alle Maschinen stammen noch aus der Nachkriegszeit.
„Schon als ich meine Ausbildung begann, waren wir in der Berufsschulklasse in Essen nur fünf Azubis mit dem Schwerpunkt Einzel- und Sonderanfertigungen“, erinnert sich Knauth. „Fast dreimal so viele Industriebuchbinder saßen bei uns in der Klasse. Heute ist mein Berufsbild quasi ausgestorben.“ Auch Knauth entscheidet sich auf dem zweiten Bildungsweg dafür, das besondere Handwerk zu erlernen. Schließt sie als Floristin sogar die Meisterschule ab, zwingt eine plötzlich eintretende Pollenallergie die junge Frau zum Berufswechsel. „Ich habe dann entdeckt, dass in der Bibliothek der Heinrich-Heine-Universität ausgebildet wird, und nach einem Probetag war klar, dass ich Buchbinderin werden möchte“, erklärt die Düsseldorferin. Im Erdgeschoss der Universitäts- und Landesbibliothek lernt Knauth Schritt für Schritt das Handwerk. „Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Tag, ich baute mit Hilfe eines Gesellen eine Werkzeugkiste nach und dachte, ich sei schon Vollprofi“, erklärt sie und lacht. „Das hat sich dann ziemlich schnell geändert.“ In der Unibibliothek werden meistens Fachbücher aufgearbeitet. Der Fundus ist so groß, dass viele Werke zur Reparatur die Werkstatt verlassen. Aber vor allem an den alten Büchern übt die junge Frau die Grundhandgriffe. „Die Ausbildung in der Buchbinderei und Restaurierungswerkstat der Uni Düsseldorf war sehr umfangreich“, erinnert sich Knauth. „Es ist nicht selbstverständlich, dass man in der Ausbildung als Buchbinderin auch einen Einblick in die Restaurierung von Büchern bekommt.“
- Mit mehr als 40 unterschiedliche Schriften aus unterschiedlichen Zeitaltern kann Knauth Bucheinbände prägen
- Der fast 150 Jahre alte Schrank mit Fileten und Stempeln aus Messing hat eine lange Reise hinter sich. Über Schweden kam er nach Deutschland
Mit Abschluss ihrer Ausbildung wird Knauth in einer alten Buchbinderei in Krefeld übernommen. In unmittelbarer Nähe zur Sankt-Anton-Straße wurde die Werkstatt in der Nachkriegszeit gegründet und hat heute ihren Platz in der Winkelstraße auf einem kleinen Hinterhof. Wie üblich wohnt der damalige Inhaber mit seiner Familie im selben Haus. Aber auch nach dem ersten Inhaberwechsel verändert sich der Werkraum nicht. Als der Zweitbesitzer 2006 in Rente geht, wird Kerstin Knauth ihre eigene Chefin. „Mit der Übernahme der Buchbinderei habe ich auch einen wahren Schatz an Gerätschaften übernommen“, schwärmt sie. „Die Maschinen, die wir hier sehen, werden heute nicht mehr in dieser Art und Weise hergestellt. Für mich stellen sie das Kernstück meiner Arbeitsutensilien dar.“

Buchbinderin Kerstin Knauth
Dazu gehört zum Beispiel die schwarze, gusseisernen Schneidemaschine der Firma Herold. Hier lassen sich ganze Bücher oder Kataloge beschneiden. Wird zuerst durch ein großes Rad der Druck auf die zu schneidenden Papiere bestimmt, drückt die Handwerkerin anschließend zwei fast antik anmutende Knöpfe und mit einem lauten Quietschen setzt sich das Messer der Maschine in Bewegung. „Das macht schon jedes Mal aufs Neue wieder Spaß“, sagt Knauth und lacht erneut.
Ähnlich wichtig im Portfolio der Handwerkerin ist der Prägnant, mit dem die Titel und der Autor auf die Buchdecke geprägt werden. Mehr als 40 Schriften aus jedem Zeitalter hat die Handwerkerin von ihrem Vorgänger übernommen. Vorsichtig und in Spiegelschrift setzt sie die Buchstaben in den Schriftkasten ein. Mit Hilfe von Druck und Hitze werden die Buchstaben dann auf eine Prägefolie und somit auf den Buchrücken aufgebracht. „Bilder – Atlas zur Zoologie der Säugetiere“ erscheint auf dem schwarzen Einband einer aktuellen Arbeit der Buchbinderin.
Mit einem kleinen Schränkchen voller Filete und Stempel aus Messing macht ihr vor einigen Jahren der Nachbar eines Kunden eine besondere Freude. „Ich arbeite im Alltag nicht mit den Fileten, aber als Vorstufe der Prägnanten haben sie einen besonderen, ideellen Wert“, beschriebt die 52-Jährige. Im 19. Jahrhundert werden diese Prägewerkzeuge auf dem Ofen erwärmt und anschließend in die Buchrücken gedrückt. Selbst dem Unbeteiligten wird warm ums Herz, wenn er sich überlegt, durch welche zauberhaften Werkstätten die alten Stempel schon gewandert und wie viele Handwerker mit ihnen gearbeitet haben müssen. Der kleine Filetenschatz der Buchbinderin hat seinen Ursprung in Schweden. Dass er heute in Krefeld an der Winkelstraße steht, zeigt, wie rar das Handwerk der Buchbinderin geworden ist.
Das hängt vor allem mit dem sich verändernden Kundenstamm zusammen: Während das Hauptgeschäft der Handwerkerin heute die Bindung von Fachliteratur und Geschäftsberichten von Berufsgruppen wie Steuerberatern, Rechtsanwälten und Ärzten ausmacht, sind Kreativaufträge seltener geworden. „Ich habe einen Kunden, der schreibt seit über 50 Jahren Tagebuch und kommt alle zehn Jahre zu mir, um sich einen Vorrat binden zu lassen“, schwärmt Knauth. „Jemanden auf diesem langen Weg zu begleiten, ist ein Geschenk.“ Auch ein älterer Herr, der bereits über 90 Jahre alt ist, besucht sie jedes Jahr in ihrer Werkstatt, um einen selbstgeschriebenen Gedichtband in Buchform bringen zu lassen. „Er tippt natürlich noch auf der Schreibmaschine“, beschreibt die Buchbinderin und grinst. Auch Familienchroniken, Abschiedsbücher, Fotoalben oder persönliche Erinnerungen gelangen zum Binden in die Hände der Selbstständigen. Für einen Mitarbeiter der Oper fasst sie zum Beispiel Notenblätter zusammen. „Lose Papiere in Buchform zu bringen, verleiht ihnen einen besonderen Wert“, sagt Knauth andächtig. „Wenn ich dann die Freude meiner Kunden sehe, wenn ich ihnen ihr Buch überreiche, weiß ich, wie wichtig meine Arbeit auch noch heute ist.“
Buchbinderin Kerstin Knauth, Buch & Format, Winkelstraße 25 in 47798 Krefeld. Telefon 02151 69424, www.buch-format.de