Das Leben schreibt die besten Geschichten, heißt es. Im Tatort „Meta“, der im Februar 2018 ausgestrahlt wurde, ist es eher umgekehrt: Die beiden Kriminalbeamten Karow und Rubin werden während ihrer Ermittlungen in einem Mordfall mit der Möglichkeit konfrontiert, nur Figuren in einem Film zu sein. „Meta“ steht exemplarisch für eine neue Richtung des fast 50 Jahre alten TV-Formats: weg vom angestaubten Krimi, hin zu mutigeren, experimentelleren, filmischeren Formen. Einer der kreativen Köpfe hinter der Frischzellenkur ist ein Krefelder: Drehbuchautor Erol Yesilkaya. Für „Meta“ wurde er Anfang des Jahres mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Auch sein Leben wird wesentlich von Geschichten bestimmt.
„Ich habe schon als Kind in Filmen gedacht“, beschreibt Yesilkaya seine Erfahrungen. „Wenn ich damals ein Buch gelesen habe, habe ich mir überlegt, wie ich es als Film umsetzen würde. Film bestimmt mein Leben, er hat meinen Blick auf die Welt und meine Sprache wesentlich geprägt. Wenn ich auf der Straße oder in einem Film etwas sehe, das mir gefällt, überlege ich automatisch, ob und wie ich das für mich verwenden kann. Und das muss auch so sein, um den Beruf überhaupt ausüben zu können“, erklärt er und leitet zu den besonderen Herausforderungen über: „Der Weg zum Drehbuchautor ist hart und entbehrungsreich, und man muss immer die Option im Hinterkopf behalten, dass es am Ende nicht klappt. Ohne Leidenschaft für die Sache nimmt man das nicht auf sich.“ Heute gelten Yesilkaya und Regisseur Sebastian Marka, die auch eine enge Freundschaft verbindet, als Dream-Team des modernen Tatorts: Die beiden haben sich mit ihren sechs gemeinsamen Filmen einen Namen und viele Freiheiten erarbeitet. „Yesilkaya & Marka“ ist eine Marke, die bei den Redaktionen etwas gilt, aber auch vom Publikum angenommen wird. Eine luxuriöse Position: „Ich kann nichts schreiben, woran ich nicht selbst glaube“, gesteht Yesilkaya. Und das muss er auch nicht mehr.
„DER WEG ZUM DREHBUCHAUTOR IST HART UND ENTBEHRUNGSREICH, UND MAN MUSS IMMER DIE OPTION IM HINTERKOPF BEHALTEN, DASS ES AM ENDE NICHT KLAPPT. OHNE LEIDENSCHAFT FÜR DIE SACHE NIMMT MAN DAS NICHT AUF SICH.“
Doch dem Erfolg geht eine lange Reihe von Glücks- und Zufällen, Durststrecken und Rückschlägen voraus, die selbst einen spannenden Film abgäbe. Während seines Studiums sammelt Yesilkaya erste Film-Erfahrungen, dreht zwei Kurzfilme und absolviert ein Praktikum bei der Produktionsfirma Action Concept, die „Alarm für Cobra 11“ und „Der Clown“ für RTL entwickelt. Beides lehrt ihn, dass die Arbeit am Set nicht das ist, was ihn reizt. Die Idee einer akademischen Laufbahn verwirft er aufgrund der mäßigen Zukunftsperspektive; in Hamburg versucht er sich kurz als Unternehmer. „Wer mich kennt, weiß, wie verzweifelt ich dafür gewesen sein muss“, lacht er. Verzweiflung ist auch die Motivation hinter der Mystery-Soap „Sinister Bay“, die er mit einem Krefelder Freund, Ben Bernschneider, produziert. Gemeinsam schreiben sie die Drehbücher, führen Regie, bedienen die Kamera, machen den Schnitt, spielen die Hauptrollen und stellen die fertigen Episoden ins Netz. „Wir mussten irgendetwas tun, um nicht wahnsinnig zu werden. Die Hoffnung, dass daraus etwas werden könnte, war da, aber sie war winzig klein.“ Doch weil das Format neu ist – YouTube steckt noch in den Kinderschuhen – bekommt „Sinister Bay“ einige Aufmerksamkeit, unter anderem von Pro7. „Wir sind vom Sender nach München eingeladen worden und haben dort über eine mögliche Zusammenarbeit gesprochen“, erinnert sich Yesilkaya. Dass zwei absolute No-Names ohne jede Filmhochschulausbildung von einem TV-Sender angesprochen werden, stellt eine krasse Ausnahme von der Regel dar. „Am Ende erhielten wir die Einladung, eine Horrorserie zu entwickeln. Es war ein Traum, wir konnten unser Glück kaum fassen“, erinnert sich Yesilkaya an den denkwürdigen Tag. Aus der Serie wurden schließlich die TV-Geisterfilme „Gonger“ und „Gonger 2“: „Wir hatten absolut keine Ahnung vom Drehbuchschreiben, doch das durften wir natürlich niemandem zeigen“, zwinkert der Wahlberliner. Doch als die Filme im Fernsehen liefen, stellte sich Ernüchterung ein: „Sie hatten nur noch wenig mit dem zu tun, was wir uns vorgestellt hatten. Es war bitter, aber letztlich egal: Wir hatten das Gefühl, endlich etwas erreicht zu haben.“

Der zweifache Vater vertraut ganz auf die Urteilskraft seiner strengen Lektoren
Wie jede gute Geschichte verläuft auch die von Erol Yesilkaya mit Höhen und Tiefen. Dem High der ersten beiden Drehbücher und dem Umzug nach Berlin folgt nämlich: nichts. Vier lange Jahre einfach nichts. Eine bittere Erfahrung: „Ich hatte zwei 90-Minüter im Gepäck und dachte, ich sei drin im Geschäft, stattdessen musste ich noch einmal komplett von vorn anfangen“, schildert er den Rückschlag. Er lernt heute etablierte Autoren wie Michael Proehl und den mittlerweile verstorbenen Matthias Tuchmann kennen, die damals schon mit einem Bein in der Tatort-Welt stehen und ihn mitnehmen. „Ich hatte mit Tatort und deutschem Film allgemein bis dahin nichts am Hut, meine Liebe galt dem Horror- und dem asiatischen Actionfilm“, gesteht er. Aber als geborener Erzähler, der das Happy End für die eigene Geschichte schon klar vor Augen hat, ergreift er den Strohhalm und arbeitet sich ein in die neue, fremde Welt. „Man muss als erstes verstehen, dass die Mechanismen, die wir aus amerikanischen Filmen kennen, nicht auf deutsche Produktionen übertragbar sind“, geht er ins Detail. „Im US-Film kann man dem Helden einfach eine Waffe in die Hand drücken, weil sie zu jedem Haushalt gehört. In Deutschland muss man erklären, woher er sie hat, sonst wirkt es unglaubwürdig.“ Eine weitere wichtige Tatort-Regel, die er lernt: „Fang immer mit den Ermittlern an“, sagt er. „Es reicht nicht, sich einen coolen Fall auszudenken und die Ermittler einzu- bauen, weil sie dann zwangsläufig nur Statisten in ihrem eigenen Film sind. Es muss eine direkte Verbindung zwischen ihnen und dem Fall geben.“ Und natürlich muss er die Ermittlerteams kennen, wissen, wie sie ticken und was zu ihnen passt.
„ES REICHT NICHT, SICH EINEN COOLEN FALL AUSZUDENKEN UND DIE ERMITTLER EINZUBAUEN, WEIL SIE DANN ZWANGSLÄUFIG NUR STATISTEN IN IHREM EIGENEN FILM SIND. ES MUSS EINE DIREKTE VERBINDUNG ZWISCHEN IHNEN UND DEM FALL GEBEN.“
Bei seinem ersten nach eigener Idee verfassten Tatort-Drehbuch, dem Script zu Joachim Kròls Abschiedsfilm „Das Haus am Ende der Straße“, hat Yesilkaya zum ersten Mal auch das Gefühl, in seinem Beruf angekommen zu sein. „Der fertige Film war so gut, dass ich völlig vergaß, das Buch dazu geschrieben zu haben“, beschreibt er die Erfahrung. Die enge Zusammenarbeit mit Sebastian Marka, den er selbst für die Regie vorgeschlagen hatte, ist der Schlüssel zum Erfolg: „Bei ,Haus’ habe ich gelernt, wie wichtig die gute Kommunikation von Regisseur und Autor sowie aller beteiligten Gewerke ist.“ Beim Hessischen Rundfunk finden Yesilkaya und Marka auch eine Redaktion vor, die junge Talente fördert und Wagnisse eingeht. Das Risiko zahlt sich aus, „Das Haus am Ende der Straße“ bekommt hervorragende Kritiken und Zuschauerresonanzen. Nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrung bilden die beiden Kreativen seitdem ein festes Gespann. Keineswegs gängige Praxis und durchaus mit Risiko für die Redaktionen verbunden: „Sie können auf ein verschworenes Team viel weniger Einfluss nehmen als auf zwei Einzelpersonen“, erläutert der Autor. Das zeigt sich auch an „Haus“: „Wir drehten den Film bewusst und gegen die ungeschriebene Tatort-Regel im Scope-Format, das man auf dem Fernseher an den schwarzen Balken oben und unten erkennt, weil wir wollten, dass er wie ein Kinofilm aussieht. Das hat einigen Ärger gegeben“, schmunzelt er. Der Tatort ist eine Institution, die für viele Deutsche zum Sonntag gehört wie der Kaffee zum Frühstück. Und wenn liebgewonnene Traditionen angerührt werden, gibt es mitunter Kritik. Aber nach 50 Jahren muss sich das Format auch weiterentwickeln, sonst stirbt es. Das sieht auch der Autor so: „Ich hoffe, dass wir den Rahmen dessen, was im Tatort möglich ist, erweitert haben. Sicher spielt auch der Generationswechsel eine Rolle. Wir sind junge Filmfans und Nerds, die mit Videotheken aufgewachsen sind. Das war früher eher die Ausnahme.“

In Yesilkayas Tatort “Meta” spielen Kinos eine wichtige Rolle
Der preisgekrönte Tatort „Meta“ markiert den bisherigen Höhepunkt der Zusammenarbeit von Yesilkaya und Marka: Yesilkayas Drehbuch verwebt drei Erzählebenen zu einer hochkomplexen Auseinandersetzung mit außer- und innerfilmischer Realität. „Sebastian und ich waren wahrscheinlich die Einzigen, die kurz vor dem Dreh noch den kompletten Überblick über die Story hatten“, gesteht er. „Und obwohl ich wusste, dass wir da an etwas sehr Vielversprechendem dran waren, hatte ich größten Respekt vor dem Film, weil das Script so unglaublich dicht war. Auch der betriebene Aufwand bei den Dreharbeiten war immens; wir brauchten zum Teil mehrere voll besetzte Kinos für die Umsetzung sekundenkurzer Einstellungen. Es war der Horror. Aber das erste Screening vor Publikum fiel überwältigend aus. Und für die Mühe mit dem Preis belohnt zu werden, war einfach geil“, lacht er. Spätestens mit dem Grimme-Preis (Yesilkaya war zuvor bereits für den Tatort „Die Wahrheit“ nominiert worden) ist er endgültig etabliert. Die Zeiten, in denen er auf eine Chance hoffen musste, sind vorbei.
Das könnte es eigentlich sein, das Happy End. Aber mit Anfang 40 hat Yesilkaya, verheiratet und Vater zweier Söhne, durchaus noch Pläne. Zwar bietet ihm der Tatort viele Möglichkeiten, aber schon budgettechnisch sind ihm dort Grenzen gesetzt. Ein Kinoprojekt wäre ein Traum, den er aber nicht um jeden Preis verwirklichen muss: „Deutschland ist schon lange keine Kino-Nation mehr. Heute sind es vor allem Streamingdienste, die ein neues attraktives Feld bilden und händeringend nach Autoren suchen. Wer Drehbuchautor werden will: Jetzt ist die Zeit dafür“, wirbt er für seinen Beruf – und gibt möglicherweise einen Ausblick auf kommende Projekte. Wer weiß, vielleicht führt das Leben ihn oder eine seiner Figuren ja noch einmal nach Krefeld. Im Film ist bekanntlich alles möglich. Schwarzblende. Fortsetzung folgt.