Wer sie einmal auf der großen Bühne des Krefelder Stadttheaters hat spielen sehen, wird sie in Erinnerung behalten. Denn sie verfügt über dieses gewisse „Etwas“, das manche Schauspieler unverkennbar macht – und das, obwohl sie so oft ihre Rollen wechselt wie andere Menschen die Bettwäsche. Verfolgt man die jährliche Verleihung des Krefelder Theater-Oscars, ist Esther Keil so etwas wie eine Meryl Streep der Bühne: Schon siebenmal gewann sie den Preis als beste Schauspielerin des Jahres. Die Wahlkrefelderin steht nun bereits seit knapp 20 Jahren auf den Bühnen des Theaters Krefeld und Mönchengladbach. An einem strahlenden Mittwochnachmittag treffen wir die Schauspielerin an ihrem Arbeitsplatz, um uns über ihr neues Stück zu unterhalten.

 

Keil empfängt uns im Foyer des Theaters. „Hallo, ach du bist auch eine Esther“, sagt sie freundlich und selbstbewusst, als wir uns die Hände schütteln. Die zierliche kleine Frau trägt dezente dunkle Kleidung und kontrastierenden roten Lippenstift. Sie versprüht eine Mischung aus Herzlichkeit und Professionalität – ein Mensch, der es gewohnt ist, Aufgaben schnell und effizient umzusetzen. Zum Schauspielerberuf gehört das wohl dazu. So beginnen wir, was ungewöhnlich ist, direkt mit dem Foto für unser Magazincover. Eine Aufwärmphase braucht Esther Keil dafür nicht. Ruhig folgt sie unserem Fotografen in das Seitenfoyer der Balkonebene, um sich dort seiner Kameralinse zu stellen. Ihre großen dunklen Augen blicken ruhig in das schwarze Objektiv. Anders als viele unserer Gesprächspartner wird sie in dieser Situation nicht merklich angespannt oder hibbelig – ein Vollprofi eben.

Ursprünglich hatte Esther Keil den Schauspielberuf gar nicht im Sinn. Sie absolvierte zunächst eine Ausbildung zur Schneiderin. „Ich wollte nach dem Abi Modedesign studieren und bin dann ganz schnell draufgekommen, dass das Quatsch ist“, erzählt sie und rollt mit den Augen. „Und dann war ich zum ersten Mal in der Oper. Daraufhin wollte ich Kostümbildnerin werden. Aber es war eigentlich relativ schnell klar, dass ich nicht zur Schneiderin geboren bin.“ Kurz darauf keimte der Entschluss in ihr, es mit dem Schauspiel zu versuchen. In einem Interview mit Torsten Knippertz anlässlich der Borussia-Revue im vergangenen Jahr gab Esther Keil auf die Frage nach den Schwierigkeiten des Berufseinstiegs eine ungemein beeindruckende Antwort: „Als ich das erste Mal abgelehnt wurde, wusste ich: Ich will weitermachen.“ Diese Aussage unterschreibt sie noch immer. „Die Aufnahmeprüfung war einfach so eine neue Welt. Man bekommt ganz viele verschiedene Aufgaben von unterschiedlichen Professoren. Und da war mir klar, dass ich das unbedingt machen will. Es war nicht demotivierend. Die Ablehnung war natürlich demotivierend, aber die Erfahrung war so toll, dass klar war, dass ich hierhin will“, erzählt sie rückblickend. Obwohl ihr sogar geraten wurde, sich lieber wieder ihrer Schneiderlehre zuzuwenden, ließ sich die junge Frau nicht von ihrem Weg abbringen. „Es gibt ja wirklich Leute, die machen zwanzig, dreißig Aufnahmeprüfungen. Gottseidank war es bei mir nicht so“, sagt sie. Wenn die gebürtige Niederbayerin im Sprechen Fahrt aufnimmt, blitzt durch ihre Sätze hier und da eine kleine Dialektfärbung, die sie sich übrigens im Schauspielstudium zugunsten perfekten Bühnenhochdeutschs abtrainieren musste.

Nach dem Studium wurde Keil zunächst am Schauspiel Göttingen engagiert, wo sie drei Jahre lang festes Ensemblemitglied war. Seit ihrem Wechsel an den Niederrhein in der Spielzeit 1999/2000 hat sie bereits unzählige Rollen auf der Krefelder Theaterbühne zum Leben erweckt. Besonders gern erinnert sie sich an ihre Auftritte als Sally Bowles in „Cabaret“, Nawal in „Verbrennungen“ oder Winnie in „Glückliche Tage“. All diese Rollen zeigen sehr komplexe Frauenfiguren: Kämpferinnen, Gebeutelte, Suchende. Mit Cookie in „Everything Beautiful“ ist in der neuen Spielzeit eine weitere Lieblingsrolle dazugekommen. Das Stück, dessen Protagonistin Esther Keil auf der Bühne verkörpert, lief bereits in Mönchengladbach und kommt diesen Monat auch auf die Krefelder Bühne. Cookie ist eine Kosmetikverkäuferin, die mit ihrem Köfferchen von Tür zu Tür zieht und unermüdlich versucht, den Menschen Schönheit zu verkaufen. Diesen Charakter schuf Autor Noah Haidle nach dem Vorbild seiner eigenen Tante Fay, die denselben Beruf ausübte und dabei jedem Hindernis mit unermüdlichem Engagement und einem Lächeln begegnete. Diese Eigenschaften werden im Stück bewusst überzeichnet. „Cookie ist eine, die nie aufgibt. Sie hat einen unheimlichen Willen, eine unheimliche Disziplin. Sie will funktionieren in diesem System und ist deshalb mitunter brutal zu sich selbst und zu anderen. Sie vereint viele gesellschaftskritische Themen in einer Figur“, charakterisiert sie Esther Keil.

„Text lernen muss, wenn man Mutter ist, auch mnchmal nachts passieren.“

„Ich habe das Stück vor Kurzem gelesen und dachte: Da musst du irgendwann mal mitspielen! Da wusste ich noch nicht, dass es auf unserem Spielplan stehen würde. Dass ich jetzt Cookie interpretieren darf, ist ein Riesengeschenk“, freut sich die Schauspielerin, die sichtlich fasziniert ist von der Frau, die sie Abend für Abend rund zwei Stunden lang verkörpert. Nicht zuletzt, weil die im Stück besprochenen Themen eine Relevanz haben. „Cookie ist einerseits total eigenständig, emanzipiert. Andererseits funktioniert sie die ganze Zeit nach Vorgaben, die nicht ihre eigenen sind und merkt es nicht einmal. Sie glaubt bis zum Schluss daran, dass sie alles richtig macht. Die Diskrepanz von Schein und Sein finde ich total interessant“, schildert Esther Keil diese Rolle, die ihre eigene Lebenseinstellung kontrastiert. Die Einstellung ihrer Figur sieht sie sehr kritisch. Obschon sie selbst stets diszipliniert zu Werke geht, hält sie die amerikanische Bilderbuchschule für gefährlich. „Wie viele Menschen haben sich eine goldene Nase damit verdient, Workshops zu geben, in denen es heißt: ‚Think positive‘, ‚Du kannst alles schaffen, was du dir vornimmst‘. All diese Kalendersprüche kommen im Grunde auch in dem Stück vor.“ Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass nicht nur der eigene Fleiß und ein nimmermüder Optimismus das Leben bestimmen, sondern auch das soziale Umfeld. Nicht nur im Ensemble, auch im Privatleben der 49-Jährigen, spielt Teamarbeit eine wichtige Rolle. Neben ihrem anspruchsvollen Job als Schauspielerin ist Esther Keil auch Mutter – beiden Vollzeitjobs ohne Hilfe gerecht zu werden, wäre allein aufgrund der Probenzeiten ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. „An dieser Stelle muss ich ein riesengroßes Danke an meine tollen Kindersitter aussprechen“, lacht sie, und fügt ernster hinzu: „Wirklich. Ohne sie wäre es nicht möglich gewesen, meinen Job mit kleinem Sohn weiterzumachen. Dafür bin ich sehr dankbar.“ Neben ihren abendlichen Auftritten bereitet sich Keil derzeit auf ihre nächste Rolle in „Leonce und Lena“ vor. „Text lernen muss, wenn man Mutter ist, auch manchmal nachts passieren. Wenn ich tagsüber Zeit habe, möchte ich die mit meinem Sohn verbringen“, erzählt sie lächelnd.

Dass dieser Spagat erstaunlich gut funktioniert, beweist Esther Keil spätestens auf der Bühne. Nachdem sie das Publikum bereits mit so vielen verschiedenen Facetten begeisterte, wird es nun spannend sein, mit Cookie eine weitere kennenzulernen, die so ganz anders ist als die Frau, von der sie verkörpert wird: Laut, überschwänglich, im bonbonpinken Kostümchen. Die wievielte Rolle Cookie genau ist, weiß Keil nicht genau zu sagen. „Da müsste ich mal meine Programmhefte durchzählen“, sagt sie. Die kleinen Erinnerungen an all jene Charaktere, in die sie chamäleongleich hineingeschlüpft ist, bewahrt die Schauspielerin auf.

 

Theater Krefeld, Theaterplatz 3, 47798 Krefeld, Telefon: 02151 805125.

„Everything Beautiful“ feiert am 22. März um 19:30 Uhr Krefeld-Premiere. Weitere Vorstellungen am 7.4., 17.4., 27.4., 11.5., 24.5. und 31.5.