Wohl kaum ein Gebäudetyp bindet so viele Emotionen und Erinnerungen wie eine Gaststätte. Freund- und Liebschaften finden hier ihren Ursprung oder ihr Ende, wichtige Lebensereignisse werden zelebriert und brillante wie schnapsgeschwängerte Ideen werden geboren. Als ein solch bedeutender Ort ist das „Et Bröckske“ an der Ecke Wiedenhof- und Marktstraße gleich mehreren Generationen von Krefeldern gut bekannt. Doch im Laufe seiner Geschichte beherbergte das markante Gebäude weit mehr als einen Ausschank und auch die nahe Zukunft sieht nach jahrelangem Verfall abermals eine neue Nutzung vor.

Beim vielleicht letzten Besuch des Bierlokals in seiner derzeitigen Form gerät man ins Staunen: Unter einer dicken Schicht an Staub, Dreck und Vogelkot und zwischen den Hinterlassenschaften von Kabeldieben und Obdachlosen scheint die Zeit in dem Moment stillzustehen, als im Jahr 2009 das letzte Bier im „Et Bröckske“ über die Theke ging. Durch die nur noch teilweise intakten und vernagelten Fenster dringt fahles Licht in die bizarre Szenerie: Umgekippte Gläser mit verkrusteten Bierresten stehen auf der Theke, die Schürze eines ehemaligen Kellners ist über einen der Barhocker geworfen und selbst die obligatorischen Salz- und Pfefferstreuer stehen noch auf den Tischen im Gastraum. „Es wirkt fast so, als hätte man das Bröckske damals fluchtartig verlassen“, sagt Frank Tichelkamp, Marketingleiter der Königshof Brauerei, und fügt an: „So ähnlich wird es sich auch zugetragen haben, denn die Familie Wirichs wollte damals mit dem Kapitel möglichst schnell abschließen und die persönliche Niederlage ohne großes Aufsehen hinter sich lassen.“

 

Der Name Wirichs ist eng verbunden mit der langen Geschichte des heutigen Et Bröckske, das vor allem als Stammhaus der ehemaligen Rhenania Brauerei, dem Vorgänger der heutigen Königshof Brauerei, bekannt wurde. Ende des 19. Jahrhunderts boomte die Krefelder Braukultur und es gab zu Spitzenzeiten 73 Brauereibetriebe im Stadtgebiet, darunter vor allem kleine Hausbrauereien in Hinterhöfen, die die benachbarten Arbeiterfamilien mit Kleinstmengen an Bier versorgten. Zu diesen Hausbrauereien zählte auch das Et Bröckske, das 1838 vom findigen Kapitalisten Hermann Josef Wirichs gekauft und mit einer weiteren Kleinstbrauerei fusioniert wurde. „Die Rhenania Brauerei war geboren und schwang sich später zum lokalen Branchenprimus auf. Auch der Betrieb als Bierlokal fand hier seinen Ursprung. 1888 zog die Brauerei dann aufgrund des blühenden Geschäfts und der steigenden Beliebtheit von Flaschenbier aus Platzgründen an die Obergath. Das Bierlokal blieb jedoch bestehen“, erläutert Frank Tichelkamp. Doch nicht nur brau- sondern auch baukulturell  ist das Gebäude hochinteressant.

 

Von der ursprünglichen Form als rundliches und turmförmiges Gebäude mit spitz zulaufendem Dach zeugt heute nur noch ein meterlanges Wandbild im ehemaligen Festsaal in der ersten Etage

„Das Et Bröckske steht an einem historisch bedeutenden Punkt in der Innenstadt: Der Platz an der alten Kirche ist der älteste kirchliche Standort in Krefeld und der Platz vor dem heutigen Schwanenmarkt war der erste der Stadt. Auch das ehemalige Weberhaus an der gegenüberliegenden Straßenseite hat historischen Wert“, weiß Architekt Rainer Lucas, der sich intensiv mit der städtebaulichen Geschichte Krefelds auseinandergesetzt hat und ergänzt: „Der Name ist wohl auf den Wassergraben zurückzuführen, an dessen Brücke das Et Bröckske einst stand.“ Von der ursprünglichen Form als rundliches und turmförmiges Gebäude mit spitz zulaufendem Dach zeugt heute noch ein meterlanges Wandbild im ehemaligen Festsaal in der ersten Etage mit der Aufschrift „Et Bröckske um 1840“.

Denn: Im zweiten Weltkrieg wurde die historische Bausubstanz durch eine Brandbombe vollständig zerstört und erst in den 1950er-Jahren in seiner heutigen Form wieder aufgebaut und weiterhin als beliebtes Gasthaus genutzt.

„Das Et Bröckske steht an einem historisch bedeutenden Punkt in der Innenstadt: Der Platz an der alten Kirche ist der älteste kirchliche Standort in Krefeld und der Platz vor dem heutigen Schwanenmarkt war der erste der Stadt. Auch das ehemalige Weberhaus an der gegenüberliegenden Straßenseite hat historischen Wert“

Im Zuge der Wiederbelebung des Et Bröckske wird das geschichtsträchtige Gebäude komplett entkernt, lediglich die Fassade wird nach Abschluss der Arbeiten erhalten bleiben

„Auch nach dem Wiederaufbau war das Bröckske die gute Stube der Stadt. Durch die offene untere Etage sah man stets, wer am Tresen sitzt und bereits um zehn Uhr morgens war es rappelvoll. So etwas ist heute natürlich unvorstellbar“, erinnert sich Tichelkamp, der wie viele Krefelder zahlreiche persönliche Geschichten mit dem Lokal verbindet. Doch bei aller Beliebtheit – ewig sollte der Erfolg der Rhenania Brauerei und ihrem Stammhaus nicht andauern. „Mit dem Konsumverzicht der Krefelder Bürger kam der Untergang einer regionalen Marke. 2001 schloss die Rhenania-Brauerei an der Obergath und 2005 zog sich die Familie Wirichs dann auch aus dem Bröckske zurück, das fortan von verschiedenen Pächtern bis zur endgültigen Schließung im Jahr 2009 mit abnehmendem Erfolg fortgeführt wurde“, erinnert sich Tichelkamp. „Erst als wir die Königshof Brauerei 2003 als Nachfolger gründeten, haben die Leute allmählich verstanden, dass eine lokale Brauerei und ein zentral gelegenes innerstädtisches Brauhaus fehlen.“

Ein Aufschrei ging durch Krefeld und das leerstehende Et Bröckske wurde zu einem Symbol des oft beschworenen innerstädtischen Verfalls. Die Empörung und das Unverständnis der Bürger sowie das Gerangel zahlreicher Akteure aus Politik und Wirtschaft um eine Lösung endete erst mit dem Kauf des Gebäudes samt Nachbarbebauung durch einen Kölner Investor im Jahr 2014 und den vorherigen Eintrag in die Denkmalliste. „Damit waren die zwischenzeitlich kursierenden Abrisspläne vom Tisch“, erinnert sich Rainer Lucas, der seit dem Kauf federführend mit der sensiblen Aufgabe betraut war, ein Zukunftskonzept für das nun denkmalgeschützte Gebäude zu erarbeiten. „Die Dreiecks-Gespräche zwischen der unteren Denkmalschutzbehörde, dem LVR und mir als Architekten waren überaus intensiv und gingen bis ins kleinste Detail. Die von Vertretern des LVR geforderte vollständige Unterschutzstellung, die sich aus bautechnischen und wirtschaftlichen Gründen als unmöglich erwies, konnte letztlich vermieden werden.“

Im Ergebnis bedeutet dies: Das Et Bröckske wird vollständig entkernt, während die brauhaustypische Fassade erhalten bleibt. Die nicht denkmalgeschützte Nachbarbebauung wird abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. „Es war wichtig, den historischen Charakter zu erhalten und der Identität des Standorts Rechnung zu tragen. Deshalb wird im Erdgeschoss des ursprünglichen Gebäudes auch in Zukunft eine Gastronomie mit Außenbereich stattfinden. Die oberen Etagen werden gemeinsam mit der kompletten Nachbarbebauung als innerstädtisches Ärztehaus genutzt“, erläutert der Architekt, der sich wünscht, dass die zukünftige Nutzung für eine Belebung des gesamten Quartiers sorgen wird: „Das Et Bröckske liegt goldrichtig und kann ein Leuchtturmprojekt für eine neue Erlebnis- und Gastronomie-Achse parallel zur Hochstraße werden, die Krefeld dringend benötigt.“

„Das Ding fehlt ganz einfach in der Innenstadt“, stimmt Frank Tichelkamp zu, der sich als zukünftigen Pächter nur einen Gastro-Profi mit finanziellem Polster vorstellen kann: „Die Wiedereröffnung muss gegen mögliche finanzielle Engpässe in der Startphase durchgehalten werden und das kann meiner Meinung nach nur ein Systemgastronom leisten. Selbstverständlich wird es hier aber kein Schnellrestaurant geben, sondern eine inhaltlich anschlussfähige Gastronomie. Es ist derzeit auch noch unklar, ob es eine wie auch immer geartete Beteiligung der Königshof Brauerei geben wird.“ Welches Bier im neuen Et Bröckse nach der für 2020 geplanten Fertigstellung über die Theke geht, ist derzeit also noch offen. Auch die monothematische Nutzung als Brauerei und Bierlokal ist endgültig Geschichte. Es steht jedoch zu hoffen, dass künftige Generationen von Krefeldern hier einmal mehr Freund- und Liebschaften schließen, wichtige Lebensereignisse feiern und neue Ideen entwickeln. Die Innenstadt kann so einen Ort in jedem Fall gebrauchen.