Sie kamen an einem sonnigen Tag um halb elf und schlugen ihn zum Krüppel. Zuvor hatten sie drei seiner Farmmitarbeiter erschossen, elf andere halb tot geprügelt. Sie wohnen jetzt auf seiner Farm in Südafrika. In seinem Haus. Ein Oberst des immer noch amtierenden Präsidenten Robert Mugabe schläft in seinem Bett. Er kennt den Mann, darf seinen Namen jedoch nicht nennen. In Simbabwe würden wir für diesen Artikel im Gefängnis landen. Hier in Krefeld, seinem Geburtsort, erzählt Hans Kohlhaas uns seine Geschichte.
- Seine Krefelder Wohnung voller Erinnerungen
An einem trüben Vormittag im März öffnet ein gebeugter Mann uns seine Wohnungstür im Krefelder Norden. Auf einen Stock gestützt sieht er von schräg unten aus wasserblauen Augen zu uns herauf. Den knorrigen Stock haben ihm seine ehemaligen Mitarbeiter zum Abschied geschenkt, als er Simbabwe verlassen musste. Sie sind immer noch dort. Zwei von ihnen konnte er in der Hauptstadt Harare noch eine neue Anstellung verschaffen. Die anderen 50 leiden unter der schlechten wirtschaftlichen Lage; es gibt einfach keine Arbeit. Wer konnte, ist geflohen. ‚Boss Hans’, wie sie ihn nannten, ist seit 2010 zurück in Deutschland. Er, der eine Farm mit 900 Fußballfeldern Land bewirtschaftet und bewohnt hat, lebt jetzt auf 49 Quadratmetern im Erdgeschoss. Im angrenzenden Garten ist gerade mal Platz für ein paar seiner heißgeliebten lila Kartoffeln und einige Piri-Piri-Pflänzchen.
Der 64-Jährige ist bester Laune als er uns hineinbittet. Er ist ein kommunikativer Mensch, scherzt gerne. „Das Wetter hier ist immer grauenhaft. Für mich ist alles unter 30 Grad Celsius Körperverletzung“, lacht Hans Kohlhaas. Das wunderbare Klima war einer der Gründe, sich vor gut 30 Jahren in Simbabwe niederzulassen. Das Klima, die Schönheit der Natur, die Weite – und: Fischstäbchen.
Aufgewachsen ist der spätere Abenteurer in Krefeld-Gartenstadt, ganz in der Nähe des damaligen Flugplatzes. „Auf der Start- und Landebahn habe ich erst Rollschuhlaufen, später Fahrradfahren gelernt“, erinnert er sich. Das Fahrrad war dann auch das Vehikel der Wahl, als er sich Anfang der 1980er-Jahre auf den Weg machte, die Welt zu erkunden. „Ich hatte von mir und meinem Leben hier die Nase voll. Ich wollte wissen, ob es da draußen noch mehr gibt“, begründet Hans Kohlhaas achselzuckend seine Entscheidung. Andere Menschen machen in solchen Fällen eine Therapie. Er fährt insgesamt fünf Jahre mit dem Fahrrad durch die Welt. 1982 ging es mit dem Drahtesel nach Zürich. Von dort mit dem Flieger nach Kairo, um den Konflikt im Nahen Osten zu umgehen. Und dann von Kairo immer weiter nach Süden. Durch Ägypten, Uganda, Tansania, Zansibar, Zambia und Malawi. „Heute nennt sich das wohl Work and Travel, was ich da gemacht habe“, sagt der gelernte Fotolaborant und Apparatebauschlosser. „Unterwegs habe ich ganz tolle Sachen erlebt und lauter interessante Menschen getroffen.“ Da gab es diesen 80. Geburtstag der indischen Tante des Fischflottenbesitzers auf Zansibar, zu dem auch Freddy Mercury eingeladen war; ein ganz prima Kerl übrigens. Oder die zufällige Begegnung in einem Biergarten in Tansania mit Jane Goodall, der berühmten Schimpansen-Forscherin. Mit ihr ist er bis heute befreundet. Die gemeinsame Vorliebe für irischen Whiskey schweißt offenbar zusammen. Genauso wie die gemeinsame Tierliebe und das gute Gefühl, auf dem Urkontinent noch einen anderen Weißen gefunden zu haben, der mindestens so seltsam ist wie man selbst.
„Wieso ich ausgerechnet in Simbabwe geblieben bin?“, Hans Kohlhaas kostet den Moment aus, um dann mit einer seiner schelmischen Antworten herauszurücken: „Ganz einfach: In Afrika war die Lage damals schon schwierig. Mal gab es kein Brot, mal kein Fleisch. Eines Tages fuhr ich also mit meinem Fahrrad über eine Brücke an den berühmten Victoria Falls. Einen Kilometer weiter traute ich meinen Augen nicht – ein Spar Supermarkt! Und da gab es absolut alles. Es war fantastisch. Es gab sogar deutsches Sauerkraut aus der Dose. Und Fischstäbchen. Da hab ich gedacht: Hans, hier bleibst du.“
Und er blieb. Obwohl er sich gar nichts aus Fischstäbchen macht. Dennoch waren sie in Hans’ Augen ein Symbol für Zivilisation. Nach weiteren fünf Jahren hatte er sein eigenes Lohndreschunternehmen. Und die simbabwische Staatsbürgerschaft. Der Weltenbummler hatte sein Zuhause gefunden. „Krefeld“, sagt Hans nachdenklich, „Krefeld ist der Ort, wo ich jetzt wieder wohne. Mein Zuhause aber ist immer noch meine Farm in Simbabwe.“ Ein Zuhause, dessen Betreten ihn das Leben kosten würde. Dabei war der heutige Diktator Robert Mugabe, dessen Absetzung sich rund 99 Prozent der Bevölkerung wünscht, mal der große Hoffnungsträger des ehemaligen Südrhodesien. 1980 wurde er völlig legitim gewählt. Anfangs lief in der jungen Demokratie alles gut an. Von Europa aus gesehen war Simbabwe das Musterbeispiel freiheitlicher Bestrebungen der afrikanischen Staaten. Und Robert Mugabe sein Messias. Die Wirtschaft florierte, der Tourismus boomte, ein Bildungssystem wurde etabliert. Die ehemalige Kolonie schaffte ein friedliches Miteinander von Schwarz und Weiß. Doch der Freiheitskämpfer, der Marx und Lenin verehrte, entwickelte sich zum paranoiden Machtmenschen. Um diese, seine Macht zu erhalten, galt es Geheimdienst, Polizei und Armee unter seinen Befehl zu stellen. Und Wahlen zu manipulieren. Als Schmiergelder aus der Staatskasse nicht mehr zu finanzieren waren, fing das Staatsoberhaupt, heute 92 Jahre alt, an, Ländereien als Gunsterweisungen für seine Unterstützer zu verteilen. Ländereien, wie die von Hans Kohlhaas. Er selbst hat diese rechtmäßig erworben. Genommen hat sie ihm ein größenwahnsinnig gewordenes Unrechtsregime. „Watt fott is, is fott“, kommentiert der gebeugte Mann gewohnt rheinisch-lakonisch von seinem Küchenstuhl aus die historischen Ereignisse. In Europa wurden diese gewaltsamen Landnahmen und Ermordungen auf das Stichwort ‚postkolonialer Rassismus’ heruntergebrochen. „Dabei waren unter den 55.000 Toten nur 12 Weiße“, erklärt Hans Kohlhaas. Wer dahinter allein Rassismus vermute, könne nicht rechnen.
„Krefeld ist der Ort, wo ich jetzt wieder wohne. Mein Zuhause aber ist immer noch meine Farm in Simbabwe.“
Bis zu den eingangs beschriebenen Ereignissen war das Leben in Afrika wundervoll. Wann immer es die Farmarbeit erlaubte, war Boss Hans in der Luft oder auf dem Wasser, wenn er nicht gerade über den Tennis- oder Golfplatz fegte. Wer in den Weiten dort keine Lebenslust verspüre, der könne kein Herz haben. Boss Hans hatte ein Herz. Für seine Farm, für die Landschaft und nicht zuletzt fürs Tüfteln. Mit seinem Erfindungsreichtum und seinem technischen Verstand baut er sich ein zweites Unternehmen für Wasserbautechnik auf. Hiervon lassen sich prima das Flugzeug, die Segelyacht, die vielen Autos sowie die Barbecues und Ausflüge mit Freunden finanzieren. Hans Kohlhaas hat ein unbedingtes Talent zur Freundschaft. Jederzeit würde er deinen Reifen wechseln und dich dafür noch zum Bier einladen. Auch nach allem, was er erlebt hat, ist sein Vertrauen in die Menschen ungebrochen.
Und das, obwohl er es war, der die zerborstene Schädeldecke seines besten Freundes vom Boden der acht Meilen entfernten Nachbarfarm aufsammelte, damit dessen Familie der Anblick erspart blieb. Die sinnlose Ermordung dieses besten Freundes markiert den Anfang vom Ende seiner Zeit in Simbabwe. An dieser Stelle wird Hans wortkarg, die hellen, jungenhaften Augen verdunkeln sich. Er habe danach angefangen, als eine Art Vermittler zwischen Farmern und den Besatzern zu fungieren, um zu erreichen, dass die Menschen wenigstens ihre privaten Habseligkeiten retten konnten. Dafür sind er und ein befreundetes Ehepaar ins Gefängnis gewandert. Die Anklage wurde fallengelassen. An Absurditäten gewöhnt man sich schnell in einer Diktatur. Nicht aber an die Gewalt. Auch nicht an die Ungerechtigkeit. Auf eine angemessene Entschädigung wartet Hans Kohlhaas schon lange nicht mehr. Der Mann, der mit dem Fahrrad aus Krefeld aufgebrochen ist, kam im Rollstuhl zurück. Dass er heute wieder laufen kann, grenzt an ein Wunder. Eigentlich müsse er querschnittsgelähmt sein, erklärte ihm ein Arzt der Düsseldorfer Uniklinik nach seiner Rückkehr mit Blick auf die Röntgenbilder. Darauf Hans: „Oh, das habe ich nicht gewusst. So was dummes.“ Sein Humor ist, anders als seine Wirbelsäule, ungebrochen.
Im kommenden Herbst fliegt Hans Kohlhaas wieder nach Hause. Wenn auch nur als Tourist. Um die GPS-Halsbänder der Löwen, Leoparden und Hyänen im Hwange-Nationalpark zu reparieren. Löwe Cecil, aus eben dem Nationalpark, trug solch ein GPS-Halsband, als er im letzten Sommer von einem US-amerikanischen Zahnarzt unter misteriösen Umständen getötet wurde. Also wieder Work and Travel. Diesmal im Dienste der Freundschaft zu Forscherin Jane Hunt. „Man kann diesen Tieren einfach nicht beibringen, dass das hochsensible technische Geräte sind, mit denen man sich nicht an Bäumen schubbert“, erklärt Boss Hans sehr ernst. Bevor er anfängt zu lachen.