
Alexander Raitz von Frentz
Gelb ist sie, die Keimzelle des Linner Flachsmarktes. Gelb wie der Flachs, den die Linner Bauern bis Anfang des 20. Jahrhunderts geerntet haben. Und gelb wie der denkmalgeschützte Bakenhof, der seinen fünfgeschossigen quadratischen Turm aus dem parkähnlichen Garten mit mächtigen Bäumen in den Linner Himmel streckt. Genau hier, hinter dem großen Holztor an der Rheinbabenstraße, arbeiten seit über 40 Jahren die Familien Raitz von Frentz und Kevenhörster an ihrem Herzensprojekt: dem Flachsmarkt. Hunderte freiwillige Helfer stoßen jetzt, in der „heißen“ Phase kurz vor Pfingsten, dazu.
Gemeinsam mit Flachsmarktinitiator Helmer Raitz von Frentz (unsichtbare 85) und seinem Sohn Alexander (45) nehmen wir Platz in der großen Sitzgruppe aus Leder. Wir sind umgeben von Ahnenbildern und farbenfrohen Deckelvasen aus dem Familienerbe. Die Abendsonne schickt warme Strahlen durch die weißen Sprossenfenster des Herrenhauses aus dem 18. Jahrhundert. Für ein Lodern im Kamin ist es jetzt schon zu warm. Dafür spüren wir, wie zwei Herzen brennen: für handwerkliche Traditionen und gelebtes Brauchtum.
Vor drei Jahren hat der Vater den Vorsitz der „Arbeitsgemeinschaft Flachsmarkt e. V.“ an seinen Sohn übergeben. Trotzdem hat sich der Landschaftsarchitekt mit Sinn für das Schöne und Wahrhaftige seinen Elan bewahrt und beginnt zu erzählen: von der ersten Idee, zusammen mit einer Handvoll begeisterungsfähiger Bürger einen traditionellen Handwerkermarkt aufzuziehen – ganz nach dem Motto „Wir müssen mal wat machen“ – bis zur Ausrichtung des ersten Flachsmarktes auf dem Andreasmarkt im Jahr 1975.
Helmer Raitz von Frentz kommt ins Plaudern: „Unsere Umbauarbeiten vom Bakenhof waren damals gerade beendet. Wir hatten selbst rund um die Uhr mit angepackt und waren froh, dass alles fertig war. Darauf haben meine Frau und ich Schornsteinfegermeister Hartmut Hauser und einige Nachbarn und Freunde draußen vor der Gaststätte ,Be de Bur‘ zu einem Fässchen Bier eingeladen. Irgendwann kam der Metzgermeister Lohmann dazu, mit Grillwürstchen. Wieder andere holten spontan eine Gitarre und eine Quetschkommode raus. Aus dieser schönen Stimmung heraus entstand die Idee, im nächsten Jahr etwas Größeres zu machen. Dass wir damit eine jahrhundertealte Tradition lebendig werden lassen würden, wussten wir damals noch nicht. Aber die Historische Gruppe mit ihrem Kurfürsten hatte ich sofort im Visier. Die heuerten wir an.“

Helmer Raitz von Frentz
Der damalige Verwaltungsmitarbeiter Theo Stevens verkörperte bereits im Rahmen des Linner Schützenfestes den ersten neuzeitlichen Kurfürsten von Linn. Die Tatsache, dass er einmal Schauspieler werden wollte, kam diesem Amt sehr entgegen. „Er nahm sogar extra Unterricht und begrüßte fortan auf dem Flachsmarkt die ,Gäste aus Nah und Fern‘ mit seiner unnachahmlichen Attitüde“, erinnert sich der Flachsmarkt-Initiator. Bis heute zieht der Kurfürst mit seinem Gefolge – den Landsknechten und der Gräfin von Kleve mit ihren Hofdamen – ein und eröffnet das historische Markttreiben. Die nachfolgenden Kurfürsten waren Rudi Erkens, Manfred Brons und aktuell Horst Isbert. Auch er verkörpert diese Rolle optisch und schauspielerisch hervorragend.
Aber zurück zum ersten Flachsmarkt „en miniature“ auf dem Andreasmarkt. Hier demonstrierten Handwerker der niederländischen Gruppe „Oude Ambachten“ (übersetzt: „Altes Handwerk“) ihre Kunst und verkauften unter anderem Holzklompen und Spekulatiusbretter. Auch dabei waren ein Schmied und Zylindermacher Boy de Winter. Er ist dem Flachsmarkt bis heute als Teilnehmer treu.Die Pfingst-Attraktion aus Linn wurde schnell über die Grenzen der historischen Stadtmauern bekannt. Mehr Platz musste her. „Wir sind durch harte Bänke gegangen, bis wir die städtischen Ämter davon überzeugt hatten, auch die Wiesen rund um die Burg und die Burg selbst nutzen zu dürfen“, schmunzelt Helmer Raitz von Frentz heute. Rückendeckung kam vom damaligen Oberbürgermeister Hansheinz Hauser, Verkehrsdirektor Herbert Maeger und dem Beigeordneten Hans Vogt. Schon der 6. Flachsmarkt umfasste nicht mehr nur den Andreasmarkt, sondern wurde auf die Albert-Steeger-Straße, die Vorburg, die Museumswiese, die Burgwiese, den Lindenberg und die Burg ausgedehnt.
Hatten die Initiatoren, zu denen auch der beliebte Schornsteinfegermeister Hartmut Hauser zählte, beim ersten Flachsmarkt noch die Bühne selbst gezimmert, sämtliche Stände aufgebaut und nachher den kompletten Markt gekehrt, so wuchsen nun die Aufgaben proportional mit dem Qualitätsanspruch und den steigenden Besucherzahlen. Hilfe aus der direkten Nachbarschaft war sofort zur Stelle: Viele Linner Vereine packten mit an, und Unternehmen stellten ihr Know-How, Maschinen und Fahrzeuge zur Verfügung. Das damals im Linner Hafen stationierte Bataillon der Flusspioniere der Bundeswehr steuerte eine vollständige Sanitätsabteilung bei. Heute rückt das Deutsche Rote Kreuz mit 40 Helfern pro Tag, mehreren Notärzten, Kranken- und Rettungswagen an.
Jahr für Jahr engagieren sich 19 Linner Vereine beim Flachsmarkt. Sie bauen die Umzäunung auf, übernehmen den Einlass und kochen literweise Kaffee. Bis zu 750 Helfer sind nötig, um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren. Ein Beispiel ist der Linner Spielverein: Er richtet auf seinem Sportgelände einen Wohnwagenparkplatz für die teilnehmenden Handwerker ein. Außerdem leeren Mitglieder des Linner SV an allen drei Flachsmarkttagen die Mülltonnen und reinigen das Gelände. Diese Arbeiten übernahm von 1983 bis 1991 die Linner Ritterrunde, die auch die Stände schmückte. 1992 hat sie erstmals ihr großes mittelalterliches Ritterlager mit Zelten und Turnierplatz aufgeschlagen und ist seither für Familien mit Kindern einer der Anziehungspunkte.

Margarethe Kevenhörster und Marianne Raitz von Frentz
„Ohne dieses Engagement der Vereine wäre der Flachsmarkt nicht durchführbar“, betont der Seniorchef und führt weiter aus: „Etliche haben sich schon an Kopien versucht. Es ist ihnen aber nicht gelungen, einen zweiten Flachsmarkt auf die Beine zu stellen. Unser Alleinstellungsmerkmal ist die große Flachsmarkt-Familie.“
Die Komplexität der Abläufe und das immer größer werdende Angebot an historischen Handwerksberufen erforderte bald eine solide Struktur: Im September 1978 wurde die „Arbeitsgemeinschaft Flachsmarkt gemeinnütziger Verein e.V.“ gegründet. Ziel neben der Organisation ist seitdem auch das Verteilen der Überschüsse für gemeinnützige Zwecke in Linn. So wurden beispielsweise die Brücke zur Burg erneuert, das Kurfürst-Denkmal mit Geschichts-Station samt altem Linner Grundriss am Museum errichtet und der Linner Heimatbrunnen gestiftet. Außerdem flossen Gelder in die neue Außenanlage des Kindergartens St. Margaretha und in den Neubau des Seniorenclubs „Em Cavenn“.
Vor drei Jahren übernahm Alexander Raitz von Frentz, im Hauptberuf IT-Consultant in der internationalen Hauptverwaltung eines großen Discounters, den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft Flachsmarkt e.V.. Den Flachsmarkt kennt er wie seine Westentasche. Viele Jahre hat er den Infostand betreut, dann wurde er Marktmeister. Ambitionen, etwas zu verändern, hat er übrigens nicht. Sein Feld ist gut bestellt. Großen Raum nimmt natürlich das Sicherheitskonzept ein, das, wie auch das Brandschutzkonzept, jedes Jahr aktualisiert werden muss. Ein weiteres Thema ist die Online-Arbeit. Internet, Facebook und Instagram sind wichtige Informationsportale geworden.
An erster Stelle aber steht die Qualität der Handwerker. „Sie dürfen nur selbst produzierte Waren verkaufen“, sagt Alexander Raitz von Frentz, und sein Vater fügt hinzu: „Die Besucher sollen Produktionsprozesse sehen. Ein Handwerker, der mit verschränkten Armen hinterm Stand steht oder ‘ne Zigarette raucht, ist inakzeptabel.“ „Genau so wenig wie ein Händler, der nicht selbst gefertigte Klangschalen verkaufen möchte“, so der Junior, der zugibt, dass es nicht leicht sei, gute Leute zu bekommen.Dieser zeitaufwendigen Arbeit widmen sich Marianne Raitz von Frentz und Margarethe Kevenhörster, deren Ehemann bis zu seinem Tod im Jahr 2013 unter anderem die Finanzbuchhaltung für den Flachsmarkt übernommen hatte. Das ganze Jahr bereisen sie ausgesuchte Kunsthandwerker- und Töpfermärkte in ganz Deutschland. „Wir möchten Handwerker finden, die man nicht an jeder Ecke sieht“, betont Marianne Raitz von Frentz. Kürzlich haben die beiden Damen bei einem Kunsthandwerkermarkt in der Nähe von München eine Porzellanmalerin aus Meißen und einen Holzkünstler aus dem Grenzgebiet Italien / Österreich ausfindig gemacht, der abstrakte Plastiken aus Kirschbaumholz fertigt. „Wir sind in Kontakt und hoffen, dass sie das nächste Mal dabei sind“, sagte Margarethe Kevenhörster. Zwei Dutzend neue Handwerker sind es allein in diesem Jahr, wie zum Beispiel ein Lederhandschuhmacher und eine Marionettenbauerin.
Während der Flachsmarkttage besuchen die beiden Damen jeden Handwerker an seinem Stand. Das dient einerseits der Kundenpflege, andererseits auch der Qualitätskontrolle. „Wenn sich jemand nicht an die Vereinbarungen hält, wird er nachdrücklich an die getroffenen Abmachungen erinnert“, betont Marianne Raitz von Frentz. Hier wird deutlich: der Flachsmarkt ist Herzensangelegenheit, aber auch ein Wirtschaftsfaktor innerhalb der Stadt Krefeld.
www.flachsmarkt.de