„Es gibt kein katholisches Adrenalin“
Es ist sieben Uhr morgens an einem regnerischen Werktag Anfang Januar. Ich habe einen Kaffee getrunken und den Frühstückstisch gedeckt. Meine innere Uhr ist auf diese Dienstleistung an meiner Ehefrau programmiert, und nichts kann sie aufhalten. Selbst im Fieberwahn, als Schlafwandler, auf Kreuzfahrtschiffen oder in Vollnarkose habe ich schon versucht, um halb sieben Uhr morgens den Frühstückstisch zu decken. Andere Ehemänner beweisen ihre Liebe durch Blumen oder Juwelen, ich mache das mit Aufbackbrötchen. Für gewöhnlich nuckelt meine Dea seit einer Viertelstunde an ihrem ersten Halbschlaf-Kaffee, heute aber liegt sie wie der gestiefelte Kater in Pumps, karierter Hose und weißer Bluse auf ihrem Bett. Offenbar ist sie nach der Morgentoilette wieder eingeschlafen. Behutsam versuche ich sie zu wecken, aber von ihrem Kopfkissenberg nörgelt es kraftlos herunter: „Schatz, ich brauche nicht zur Arbeit. Wir haben vergessen, dass heute Samstag ist.“
Ungläubig rechne ich nach und stelle fest, dass der letzte gefühlte Sonntag der Neujahrs-Dienstag war, der folgende Montag eigentlich ein Mittwoch und somit der heutige Samstag ein gefühlter Donnerstag ist. Schuld an diesem Irrtum ist wohl unser Jetlag nach dem Jahresende mit seinem Tohuwabohu von Wochenend-, Feier- und Arbeitstagen. Weihnachten und Neujahr mögen Tage der Besinnung sein, die Tage danach sind für meine Frau und mich jedenfalls Tage der Besinnungslosigkeit. Unser Zeitgefühl wird durch hormonproduzierende Organe reguliert, und die hängen Anfang Januar ausgepumpt von der Christkindl-Hektik in den Seilen. Ich für meinen Teil denke, dass auch die nächsten zweitausend Jahre biblischer Tradition nicht ausreichen werden, um meinen geplagten Drüsen klarzumachen, wann genau sie in dem Jahreswechsel-Wirrwarr eine Gelegenheit zur Regeneration finden sollen. Es gibt kein katholisches Adrenalin oder evangelisches Cortison, und deshalb sind bewegliche Feiertage die erklärten Feinde unseres unbeweglichen Biorhythmus.
Mich beschleicht das Gefühl, dass Weihnachtsgeschenke in erster Linie dazu dienen, unserer Stimmung über das lebensfeindliche Januarklima mit seiner Dunkelheit, Nässe und Kälte hinweg zu helfen. Aber selbst ein Cartier-Ring oder eine Rolex-Armbanduhr können kaum etwas gegen das Inferno ausrichten, das unserem Stoffwechsel am Jahresanfang den letzten Rest Widerstandskraft raubt. Dann nämlich treffen die apokalyptischen Zahlungsaufforderungen gnadenloser Behörden und Versicherungen die Menschen reihenweise bis ins stress- und glückshormonentleerte Nebennierenmark und machen den Weg endgültig frei für alle Arten von Bakterien und Viren. Wie zum Beweis dieser Theorie haben meine Frau und ich gestern unseren Grundsteuerbescheid und die Haftpflichtversicherungsbescheide für unsere PKW bekommen und spüren an diesem Samstagmorgen ein Kratzen im Hals, Schmerzen in den Gelenken und eine schnell zunehmende Mattigkeit.
Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Zeit nun reif ist für die ultimative Waffe gegen Hormonmangel, Dauerregen und das Finanzamt, und diese Waffe heißt deutscher Schlager. Ich lege mich zu meiner Dea ins Bett, und werfe eine Tablette Grippostad und eine Schlager-CD ein. Danach sinke ich voller Hoffnung und Vertrauen auf die heilende Kraft der Flippers in einen Erschöpfungsschlaf und werde im Traum wohl wieder den Frühstückstisch decken. Diesmal hoffentlich unter der roten Sonne von Barbados.