Denise Zimmermanns steigt aus dem Auto und läuft mit aufrechtem Gang und ruhigem Blick, der von langen Wimpern umrahmt wird, auf die großen Sicherheitstüren des rot-gelben Gebäudes zu. Links und rechts ragen hohe Betonmauern aus dem Boden. Eine Krone aus Stacheldraht steigt Richtung Himmel empor. Die 26-Jährige geht schnell, ihre Uniform bewegt sich leicht im Wind: „Justiz“ steht in großen weißen Lettern auf dem Sakko, darunter prangt das rot-grüne Logo Nordrhein-Westfalens. Fast gleichzeitig öffnen die schmalen Hände von Friederike Klippstein (23) mit lackierten Fingernägeln die Türe. Zwischen Dreitagebärten und Gelfrisuren fallen die bunten Nägel und die getuschten Wimpern auf: In einem Berufsbereich, in dem mehr als 80 Prozent der Mitarbeiterschafft männlich sind, sind die zwei Justizvollzugsbeamtinnen immer noch Exoten. Dabei zeigen sie, dass hinter Gittern nur eines zählt: Charakterstärke.
„Leider ist es bei uns immer noch so, dass Frauen in der Minderheit sind“, erklärt Ausbildungsleiter Tobias Reinhard. „Obwohl wir im Justizvollzugsbereich dringend nach neuen Leuten suchen. Das Geschlecht ist uns selbstverständlich egal, jeder muss den gleichen Eignungstest durchlaufen.“ Zimmermanns und Klippstein haben den Test schon vor vielen Monaten bestanden. Bereits im letzten Jahr traten sie zum ersten Arbeitstag in der JVA Willich 1 an. Im Rahmen eines besonderen Vertrags stellt das Gefängnis ganzjährig ein; die Ausbildung beginnt dann mit dem gesamten Jahrgang am 1. Juli.
Die beiden Frauen haben sich mit dem Willicher Männergefängnis ein hartes Pflaster ausgesucht: Hinter den hohen Mauern sind 420 verurteilte Verbrecher inhaftiert, die mindestens alle zu 30 Monaten Gefängnis und maximal sogar lebenslänglich verurteilt wurden. Viele von ihnen sind Gewalttäter, einige haben brutal und skrupellos gemordet, manche ihre eigenen Frauen vergewaltigt, andere Kinder missbraucht – die Straftatenliste ist lang und für den normalen Bürger fast nicht vorstellbar. „Am Anfang habe ich alles über die Inhaftierten aufgesaugt, das ich in die Finger bekommen habe“, erinnert sich die 23-Jährige. „Das hat sich schnell geändert, denn zu unserem Job gehört dazu, dass wir alle hier gleich behandeln.“ Teamfähigkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Flexibilität, Selbstvertrauen, Fitness und vor allem Toleranz erwartet Tobias Reinhard von seinen Schützlingen. Selbstreflexion ist dabei der Schlüssel. „Ich habe nicht gedacht, dass ich irgendwann ausschalten könnte, dass ein Inhaftierter zum Beispiel seine Frau schlimm misshandelt hat. Aber durch den persönlichen Kontakt zu den Häftlingen passiert das von allein. Wir vergessen nicht, was sie getan haben, aber wir sind dafür da, sie auf den richtigen Weg zu bringen“, erzählt Friederike Klippstein weiter. Wenn nur ein einziger Häftling nach der Entlassung nicht mehr straffällig werde, dann haben die JVA-Beamten einen guten Job gemacht, beschreibt das Team. Und das überstrahlt dann am Ende des Tages die negativen Erfahrungen.
- Schwere Türen und kalte Betonmauern: Das Innere der JVA Willich 1
- Privaten Besuchskontakt muss man sich verdienen: Viele Besuche werden genaustens überwacht
„OBWOHL WIR IM JUSTIZVOLLZUGSBEREICH DRINGEND NACH NEUEN LEUTEN SUCHEN. DAS GESCHLECHT IST UNS SELBSTVERSTÄNDLICH EGAL, JEDER MUSS DEN GLEICHEN EIGNUNGSTEST DURCHLAUFEN.“

Mit Menschlichkeit gegen Straffälligkeit: Das ist Tobias Reinhards Ansatz
Dafür ist ein hoher Grad an Empathiefähigkeit notwendig: Die JVA-Mitarbeiter sind nicht dazu da, in den Häftlingen Freunde zu finden, sie arbeiten aber auch nicht dafür, ihre Feinde zu werden. An Denise Zimmermanns ist zu sehen, wie Professionalität und Menschlichkeit ineinandergreifen: Die junge Frau strahlt Stärke aus, sie wird von den Inhaftierten ernstgenommen. Gleichzeitig begegnet sie den Verurteilten mit Achtung. Das Miteinander beruht auf gegenseitigem Respekt. Gerade im Abteilungsdienst steht sie im direkten Kontakt zu den Männern. Sie ist die erste Ansprechpartnerin bei Problemen, bei Anliegen oder einfach nur bei Gesprächsbedarf. „Wenn wir morgens um sechs die Türen öffnen, sind wir das erste Gesicht am Tag“, beschreibt die ehemalige gestaltungstechnische Assistentin. Da wird dann auch manchmal über Eheprobleme oder Sorgen gesprochen. Auf der anderen Seite ist Zimmermanns auch dafür da, klare Grenzen zu setzen. Im Abteilungsdienst kontrolliert sie alle eingehenden und ausgehenden Briefe der Männer, dokumentiert akribisch das Sozialverhalten und die Beziehungen der Inhaftierten untereinander und ist auch im Ernstfall jederzeit dazu bereit, bei Grenzüberschreitungen einzugreifen. Ist sie nicht im Abteilungsdienst eingeteilt, fallen andere Aufgaben an: Die Beamten sind dafür zuständig, die Inhaftieren zu Arzt- oder Gerichtsterminen zu transportieren, Besuchskontakte zu überwachen, zwischen Antragsstellen oder dem Arbeitsplatz und dem Insassen zu vermitteln, Freizeitaktivitäten und Hofgänge zu beobachten, die Gefangenen bei Haftauslauf auf den Schritt in die Freiheit vorzubereiten und genauestens auf Persönlichkeitsveränderungen zu achten, um Beurteilungen und Empfehlungen zu formulieren. Als JVA-Beamte sind sie ein bisschen Sozialarbeiter, ein bisschen Detektiv, ein bisschen Fahrer, ein bisschen Ratgeber, ein bisschen Streitschlichter, ein bisschen Dokumentarist, ein bisschen Versorger, ein bisschen Zukunftsplaner, ein bisschen Aufseher und ein bisschen Betreuer. „Das macht die Tage so vielfältig“, beschreibt Klippstein. „Ich kenne keinen Beruf, der so abwechslungsreich ist.“
Dennoch kann die Tätigkeit im Gefängnis auch ein Spiel mit dem Feuer sein. Es hat einen Grund, dass alle Beschäftigten mit ihrem Gehalt auch eine Gefahrenzulage erhalten. Die verurteilten Männer stellen auch hinter Gittern ein Risiko dar. Das zeigen zum Beispiel die Clanstrukturen innerhalb des Gefängnisses: Wie in einer Pyramide zulaufend stehen an unterer Stelle Männer, die sich an Frauen und Kindern vergangen haben; auf dem Weg nach oben befinden sich zum Beispiel Gewaltverbrecher oder Drogenschmuggler.
Ganz an der Spitze aber stehen die Mörder – diejenigen, die die schwersten Verbrechen begangen haben, beschreibt Ausbildungsleiter Tobias Reinhard. Gerade, wenn er als Beamter mit den Inhaftierten allein ist, stellen sich seine Sinne deswegen auf messerscharf. „Im Fitnessraum zum Beispiel ist ein Beamter allein eingeteilt. Er betreut gleichzeitig 20 Männer“, erzählt er. In einer Art Turnhalle stehen da schwere Gerätschaften: Tätowierte arbeiten an ihren breiten Oberarmen, Männern mit harten Gesichtern stemmen Gewichte, und einige wenige strampeln auf den Cardiogeräten, die an der Wand lehnen. „Wenn sich drei von denen zusammenschließen und mich überraschen, bin ich trotz Überwachungskameras und guter Ausbildung erledigt. Aber ich vertraue darauf, dass es nicht in meiner Hand liegt, wann mein Leben vorbei ist“, führt der Beamte fort. „Und wenn ich mich mit 17 Männern gutstelle und nur drei gegen mich sind, dann habe ich immerhin eine Chance.“ Deswegen trainiert er als Beamter im Sportdienst mit. Er versucht sich so, nicht nur Respekt zu erarbeiten, sondern sorgt auch dafür, dass ihn die Inhaftierten als Vertrauensperson wahrnehmen. Diese Verhal- tensstrukturen trägt er auch an Klippstein und Zimmermanns weiter. Die JVA-Kollegen wirken sehr vertraut. Es sei wichtig, sich auszutauschen, um in einem doch besonderen Arbeitsfeld seine eigenen Wege zu finden. Befin- den sich die Auszubildenden hier noch in der Findungsphase, spiegeln sich bei den alteingesessenen Mitarbeitern Verhaltensstrukturen auch im Privat- leben wider. Humorvoll, aber sehr deutlich, berichtet der 34-Jährige im Kontakt mit den Azubis über zwei Regeln, die er in den Jahren für sich selbst aufgestellt hat. Erstens: Mit seiner Frau spricht er niemals über seine Arbeit. Zweitens: Im Restaurant sitzt er immer in Blickrichtung zur Tür, so dass er den Raum beobachten kann. „Andere Kollegen haben da viel größere Macken“, sagt er lachend und scherzt. „Gibt Schlimmeres, oder?“
Reinhard ist ein positiver Mensch, der mit guter Laune zur Arbeit kommt. Er liebt sein Gefängnis, schätzt die Kollegen und versucht, das Beste in den Insassen zu finden und es auszubilden. Das sind Eigenschaften, die auch seine jungen Kolleginnen zwar verhaltener, aber doch offensichtlich darlegen. „Ich habe direkt gespürt, dass ich hier richtig bin“, sagt Zimmermanns. Und Klippstein ist sich sicher: „Als ich meinen Eltern gesagt habe, dass ich hier die Ausbildung beginne, waren sie nicht überrascht. Das passt einfach.“ Trotz der tristen Umgebung, der hohen Betonmauern, den kahlen Wänden, den fehlenden Grünpflanzen, den schockierenden Häftlingsakten und den hohen Sicherheitsstandart vereint die drei jungen Menschen, dass sie als Justizvollzugsbeamte ihre Berufung gefunden haben. Wenn das Gefängnis in fünf Jahren seinen Umbau abgeschlossen hat, wird es sich mit mehr als 800 Zellenplätze direkt hinter NRWs größtes Gefängnis in Köln mit mehr als 1000 Gefangenen einreihen. Bis dahin hofft Reinhard, auch die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der JVA Willich 1 angepasst und noch weitere junge Menschen mit dem besonderen Berufswunsch infiziert zu haben. „In einer Zeit, die von stupiden Computertätigkeiten und Bürojobs geprägt ist, haben wir hier die Möglichkeit gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und aktiv mitzuarbeiten“, beschreibt der Ausbildungsleiter. „Wir können den Kreislauf der Kriminalität beeinflussen. Und mit unserem Wirken dafür sorgen, dass schlimme Straftaten nicht noch einmal passieren.“
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