Haus der Seidenkultur

Handwebexperte Manfred Weisters

Das Haus der Seidenkultur führt tief in die Krefelder Geschichte 

Als Hubert Gotzes 1908 das Gebäude Luisenstraße 15 mitsamt Webstühlen kaufte, war die Blütezeit der Handweberei lange vorbei. Seit Jahrzehnten ratterten bereits die mechanischen Webstühle im benachbarten „Rheinischen Manchester“ und auch in der Seidenstadt war das Ende des handwerklichen Webens nur noch eine Frage der Zeit. Deshalb verstanden viele Zeitgenossen nicht, warum der Unternehmer in eine alte Technologie investierte. Als „Selbständiger Paramentenstoff- und Fahnenfabrikant“ hatte er allerdings die Erfahrung gemacht, dass mit liturgischen Gewändern für die katholische Kirche durchaus Geld zu verdienen war. In dieser Nische wollte er sich einrichten. Zusätzlich zeigte sich die Familie Gotzes kreativ in der Erschließung neuer Märkte. Sohn Hubert eröffnete 1914 in den USA eine Filiale, in der er Stoffe aus dem Krefelder Mutterhaus mit zunehmendem Erfolg verkaufte.

Den Durchbruch zum führenden Kirchenausstatter erzielten die Gotzes durch Glück, Qualität und einen Platzregen. Als in Chicago 1926 der „Eucharistische Weltkongress“ tagte, und die Prozession der versammelten Würdenträger in einen heftigen Regen geriet, behielten nur die Krefelder Stoffe ihre Farbe. Made in Germany eben. Von da an konnte sich die Paramentenweberei aus dem Kronprinzenviertel vor Aufträgen kaum noch retten. In der Nische lebte es sich prächtig. 36 Jahre später schien das Glück sich dann aber doch abzuwenden. Auf dem zweiten vatikanischen Konzil beschlossen die versammelten Kirchenoberen, die Prächtigkeit der Messgewänder zu reduzieren. Keine Paramenten mehr zum Preis eines Kleinwagens! Aber auch diese Klippe umschiffte das Unternehmen. Erwin Maus, der damalige Inhaber der Firma Gotzes, begann eine Serviceoffensive, fuhr mit seinem rollenden Geschäft, dem „Mausmobil“, durch die Lande und konnte seine klerikale Kundschaft so weiterhin von seinen Produkten überzeugen.

Auf diese Weise überlebte in der Luisenstraße bis 1992 eine Insel der Handweberei – zu einer Zeit, als auch die Textilindustrie bereits weitgehend aus Krefeld verschwunden war. 16 Webereien hatten einst alleine in der Luisenstraße bestanden, jetzt gab es nur noch „das kleine gallische Dorf“ in der Hausnummer 15. Und Erwin Maus dachte noch weiter. Er wollte dafür Sorge tragen, dass sein Schatzkästchen, die letzte authentische Krefelder Weberei mit ihren acht historischen Handwebstühlen, auch nach seinem Tod erhalten bleibt. Er verhandelte mit der Sparkassenstiftung und der Kulturstiftung NRW, die das Gebäude schließlich erwarben und es dem ehrenamtlichen Förderverein „Haus der Seidenkultur“ übergaben, der dieses außergewöhnliche Museum noch heute betreibt. Auch eine 2012 notwendige gewordene Sanierung konnte der Förderverein unter der Leitung des Krefelder Unternehmers Hansgeorg Hauser mit Hilfe großzügiger Spender bewältigen. So erstrahlt die ehemalige Paramentenweberei Hubert Gotzes heute in neuem Glanz und ist zu einem wichtigen touristischen Anziehungspunkt der Samt- und Seidenstadt geworden.

„Wir bieten unseren Gästen ein sehr attraktives Programm“, erklärt Dieter Brenner, der Sprecher des Hauses der Seidenkultur, stolz. Zusätzlich zu unserem eigenen Angebot, ist es möglich, einen ‚Stadtrundgang auf seidenen Pfaden‘ oder auch eine 90-minütige Stadtrundfahrt mit dem Thema Textilgeschichte zu buchen und zum Abschluss gibt es dann eine niederrheinische Kaffeetafel. Das wird immer wieder gerne nachgefragt!“ Neben der permanenten Ausstellung gibt es wechselnde Ausstellungsthemen, wie aktuell „Vom Krähenfeld zur Seidenwelt“ über die Krefelder Mennonniten, und dazu speziell auf Kinder und Jugendliche abgestimmte Programme. Besuchergruppen bekommen in der Luisenstraße zuerst einen Film über die Geschichte der Seidenweberei zu sehen, bevor es über die steile Stiege ins Obergeschoss zu den historischen Webstühle geht. Hier ist das Reich von Manfred Weisters und Günter Oehms, beide Handwebexperten mit jahrzehntelanger Erfahrung. „Meine Lehre habe ich schon mit 14 angefangen“, erzählt der heute 75-jährige Weisters“, und dann 42 Jahre am Webstuhl gesessen.“ Sein Kollege ist sogar schon 80 und sitzt aber immer noch „wie eine Eins“ an der großen Jacquard-Maschine.

Beobachtet man Günter Oehms bei der Arbeit, wundert man sich, dass der weißhaarige Weber nach Jahrzehnten am Webstuhl noch so frisch wirkt. „Das Weben ist schon harte Arbeit“, erklärt er, „man muss seine Kraft gut einteilen, damit am Ende das Ergebnis stimmt. Wenn ich am Anfang richtig Tempo mache und später nachlasse, werden die gewebten Muster ungleichmäßig, und dann kann man am Ende wieder von vorne anfangen.“ Die groben Holzgerüste der Webstühle wirken, als wären sie schon seit 100 Jahren Museumsstücke. Dabei waren sie noch vor weniger als 30 Jahren im regulären Einsatz. Laut der Plaketten an den Holzbalken wurden die Webstühle Mitte bis Ende des neunzehnten Jahrhunderts gebaut und einige in den 1960er Jahren noch einmal angepasst.

Haus der Seidenkultur

Von den acht Webstühlen im Haus der Seidenkultur ist einer noch ein Schaftwebstuhl, bei dem alle Gewebemuster durch reine Handarbeit entstehen. Die anderen verwenden die Lochkartentechnik, des französischen Seidenwebers Joseph-Marie Jacquard. Dank dessen Innovation aus dem Jahr 1805 konnten Stoffe mit großflächigen Mustern mit sehr viel weniger Aufwand entstehen und waren so nicht mehr wenigen Reichen vorbehalten. Jacquards geniales System sorgt dafür, dass je nach Lochung der Steuerkarten immer andere Fäden ergriffen und eingewebt werden. Faden greifen oder nicht greifen. Das ist wie Null und Eins in der Digitaltechnik. So verwundert es nicht, dass Jacquards Lochkarten die Entwickler der ersten Rechenmaschinen inspirierten.

Genauso faszinierend wie die Steuertechnik ist die Präzision, mit der Handweber Günter Oehms arbeitet. 3.200 Fäden werden auf der großen Maschine parallel verarbeitet. 1.400 auf der kleinen, die Stoffe bis zu 54 Zentimeter Breite erzeugen kann, und bereits für die Aufnahme dieser Fäden brauchte ein Weber früher sechseinhalb Stunden. „So ein Priestergewand kostete zu meiner Lehrzeit um 1960 herum ungefähr 5.000 Mark, so viel wie ein VW Käfer. Dafür hätte ein Weber damals zwei Jahre arbeiten müssen“, erklärt er. „Die Löhne waren nicht so gut in den Keinbetrieben, deshalb habe ich später lieber in der Industrie gearbeitet, aber jetzt freue ich mich, dass ich einer der Letzten bin, die das alte Handwerk noch beherrschen.“ Einer der letzten Orte alten Handwerks. Genau das macht die Faszination des Haus der Seidenkultur aus – mit seinen ganz besonderen Farben, Formen und Gerüchen und den zwei Webexperten, die ihre Arbeit heute noch genauso beherrschen, wie zu der Zeit, als in der Luisenstraße noch prächtige Priestergewänder gewebt wurden.

Haus der Seidenkultur, Luisenstraße 15, 47798 Krefeld, Telefon: 02151-51 08 12, www.seidenkultur.de, Öffnungszeiten: Mi-Fr 15-18 Uhr, So 13-17 Uhr,
Gruppen nach Vereinbarung