Peter ist 40 Jahre alt. Er hat einen guten Job als Programmierer. Peter liebt seine Frau und seine Kinder. Ja, er führt ein gutes Leben. Dann muss er für eine Hüftoperation ins Krankenhaus. Es gibt Komplikationen,  Nervengewebe wird geschädigt. Danach ist nichts mehr so wie es vorher war. Chronische Schmerzen plagen und zermürben ihn, die ursächlich nicht behandelt werden können. Zwei Jahre lang befindet sich Peter in einer gnadenlosen Abwärtsspirale. Er kann seinen Beruf nicht mehr ausüben und auch die Ehe geht in die Brüche. Der vormals lebenslustige Mann im besten Alter steht vor dem Scherbenhaufen seiner Existenz. Nur starke Schmerzmittel verschaffen ihm ein wenig Linderung. Der Preis dafür ist hoch, denn das einzige, was ihm geblieben ist, wird dadurch in Mitleidenschaft gezogen: Sein fitter Geist. Peter wird von Depressionen heimgesucht. Das Ende dieser scheinbar nicht zu durchbrechenden Abwärtsspirale scheint in jenen Tagen absehbar.

Ein neues Leben dank Schmerzschrittmacher - Mit Strom gegen die Schmerzen

Professor Dr. Michael Stoffel, Chefarzt der Neurochirurgie des Helios-Klinikums in Krefeld

Rund 1,8 Millionen Menschen leiden in der Bundesrepublik unter Schmerzen, deren Ursache entweder nicht gefunden wird oder mit konventionellen Methoden nicht behandelt werden kann. Etliche dieser Fälle haben Professor Michael Stoffel, Chefarzt der Neurochirurgie am Helios Klinikum in Krefeld, und Dr. Christian Wille, Leiter der funktionellen Neurochirurgie und niedergelassener Arzt in Neuss, kennengelernt. Sie wissen um die Schicksale, das Leiden und die damit einhergehende Perspektivlosigkeit. „Zu mir kommen Menschen, die andernorts als austherapiert gelten“, erklärt Dr. Wille. Er hat das Verfahren der Neuromodulation perfektioniert. Die Beeinflussung der Schmerzwahrnehmung durch Stromimpulse reicht in ihren Ursprüngen bis in die Antike zurück, ist heute allerdings immer noch zu wenig bekannt.

Bereits vor 3000 Jahren haben Menschen erkannt, dass Strom Schmerzen lindern kann. „Brennschmerzfüße“ (bei Polyneuropathie) wurden seinerzeit in einem Wasserbecken mit einem Zitterrochen behandelt. Alle Nerven in unserem Körper kommunizieren über elektrischen Impulse. Ist zum Beispiel bei einem Bandscheibenvorfall eine Nervenwurzel gequetscht, sendet diese permanent Schmerzmitteilungen an das Gehirn. „Natürlich hat die Wirbelsäulenchirurgie immer zuerst die Aufgabe, die Ursache eines Schmerzes zu finden und diese im Idealfall zu beseitigen. Sendet also ein Nerv ein Schmerzsignal, weil Druck auf ihm lastet, versucht man operativ den Druck zu entfernen. In den meisten Fällen gelingt das auch. Aber rund 15 Prozent der Patienten sind nach einer solchen Operation nicht schmerzfrei, weil das Nervengewebe unter Umständen zu lange belastet wurde“, erklärt Chefarzt Prof. Stoffel. Manchmal liegt allerdings gar keine mechanische Ursache für eine Schädigung des Nervengewebes vor oder sie kann schlicht nicht gefunden werden. Fehlfunktionen dieser Art sind überall im Körper möglich. Nach Schlaganfällen sogar nicht selten im Gehirn. Chronische Kopfschmerzen sind die Folge. Abseits der funktionellen Schmerztherapie ist hier eine Linderung nur über die Gabe von Schmerzmitteln möglich, allerdings unter Inkaufnahme zahlreicher Nebenwirkungen.

Ein neues Leben dank Schmerzschrittmacher - Mit Strom gegen die Schmerzen

Dr. Christian Wille, Leiter der funktionellen Neurochirurgie und niedergelassener Arzt in Neuss

Die Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen mit Hilfe der Neuromodulation ist medizinische Detektivarbeit. Dr. Wille muss zunächst herausfinden, welche Strukturen des Nervensystems für den Schmerz verantwortlich beziehungsweise daran beteiligt sind. Er hat ein Verfahren entwickelt, bei dem mittels Akupunkturnadeln Stromimpulse in die Areale geleitet werden, in dem die Fehlfunktion des Nervengewebes vermutet wird. Hat er diese erfolgreich lokalisiert und anschließend stimuliert, tritt bereits nach rund 20 Minuten eine Verbesserung der Symptome ein, die bis zu mehreren Stunden anhalten kann. Der Schmerz verwandelt sich in ein Kribbeln. „Anschließend schicke ich meine Patienten zum Funktionstest. Also, jemand, der vorher kaum laufen konnte, soll danach einfach einmal für zwei Stunden spazieren gehen. Das Feedback, das ich danach erhalte, ist für mich überwältigend. Von ‚Mein Hund hat sich gewundert, wie schnell ich bin‘ bis ‚Ich konnte kaum glauben, wie gerade ich stehe, als ich mich im Schaufenster gesehen habe‘ ist alles dabei“, erzählt Dr. Wille mit einem Lächeln. Trotzdem stellt er mehrfach heraus: „Es handelt sich hierbei um eine Schmerzlinderung. Absolute Schmerzfreiheit können wir nur in den aller seltensten Fällen herstellen. Doch die Schmerzlinderung ist für Patienten mit jahrelangen chronischen Schmerzen eine Welt!“

Ist also in Schritt eins das geschädigte Nervengewebe lokalisiert worden, wird in Schritt zwei eine Sonde implantiert, die nach dem Prinzip eines Herzschrittmachers funktioniert und permanent Stromimpulse abgibt. Je nach Lebenssituation und Belastung kann diese modifiziert werden. „Da gibt es beispielsweise Programme für Sport-, Schlaf- und Sitzphasen, die genau auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt werden“, so Dr. Wille weiter. „Über die Zeit erzielen wir so die bestmöglichen Ergebnisse.“ Lediglich eine Hand voll Ärzte in Deutschland ist in der Lage, das von Dr. Wille perfektionierte Behandlungsspektrum zu leisten. „Obwohl das moderne Verfahren der Neuromodulation seit circa 60 Jahren bekannt ist, wissen selbst unter Medizinern leider nur wenige davon und schicken ihre Patienten zu uns. Ich möchte nicht nur das Wissen darüber verbreiten, sondern auch meine Fähigkeiten auf Kollegen übertragen. Daran ist mir sehr gelegen“, erzählt der Pionier dieser Behandlungsmethode.

„Obwohl das moderne Verfahren der Neuromodulation seit circa 60 Jahren bekannt ist, wissen selbst unter Medizinern leider nur wenige davon.“

Ohne die funktionelle Schmerztherapie der Neuromodulation hätte Peter, der 40-jährige Programmierer, im Leben wohl keinen Sinn mehr gesehen. Sie hat ihm die Lebensqualität zurückgebracht, von der er kaum noch zu träumen gewagt hätte. Er kann wieder schlafen, seinen Hobbys nachgehen und sich Menschen öffnen. Sogar seinem Beruf kann Peter heute wieder ausüben. „Das ist eine Nebenwirkungen des Verfahrens“, sagt Dr. Wille und lacht. „In einigen Fällen sind die Patienten anschließend wieder arbeitsfähig.“ Der Mediziner rät jedem, der unter chronischen Schmerzen leidet, deren Ursache nicht behandelt werden kann, sich vom Hausarzt eine Einweisung in die Neurochirurgische Ambulanz des Helios Klinikums in Krefeld geben zu lassen. Längere Wartezeiten müssten allerdings in Kauf genommen werden.