Jaguare sind der lebende Beweis für die These, dass die Dinge selten so liegen, wie es den Anschein hat. Die beiden aufgeweckten Jungtiere im Krefelder Zoo sind fraglos die plüschig-niedliche Variante ihrer Eltern Porgy und Bess. Allerdings sind sie ohne Frage auch fertige kleine Raubtiere. Dass sie mit ihren gerade mal zwölf Wochen der aktuelle Publikumsliebling sind, ist so klar, wie ihnen nicht bewusst. Selbstvergessen und neugierig erobern sie zurzeit ihre Welt. An den vergangenen ersten Sommertagen drückten sich alte und junge Nasen an die Scheiben des Außengeheges, um einen Blick auf die beiden verspielten Großkatzenbabies zu werfen. Oder gar ein Foto machen zu können. Heute werden die Besucherinnen und Besucher trotz passablem Wetter kein Glück haben, denn heute wird geimpft.

Allgemeine Müdigkeit bei Mutter Bess und Ihrem Nachwuchs nach der medizinischen Behandlung
Wir warten hinter den Kulissen auf das Ereignis, das sogar gestandene Tierpfleger und Zooveterinäre nervös macht. Jeder Handgriff muss sitzen und vor allem schnell vonstattengehen, um die Jaguarbabies nicht unnötig zu stressen. Für Doktorandin Anna Grewer ist es die erste Begegnung mit den kleinen Jägern. „Jaguare sind sehr kompakte Raubkatzen, gefährliche Lauerjäger. Ihr starkes Gebiss geht sogar durch Schildkrötenpanzer“, weiß die 25-jährige angehende Zooveterinärin. Trotz ihres jungen Alters sind die Jaguarjungtiere bereits sehr kräftig und dem Kuscheltieralter lange entwachsen. Im Klartext bedeutet das: Mit zwölf Wochen können sie bereits einen Menschen sehr schwer verletzen oder gar töten. Und eigentlich gibt es in einem Jaguarleben auch gar kein Kuscheltieralter. Was natürlich einen Teil ihrer beeindruckenden Ausstrahlung ausmacht. Schon bei der ersten Impfung vor gut zwei Monaten waren die beiden nur schwer zu bändigen. Mutter Bess muss sich tagtäglich einiges gefallen lassen, von ihrem Nachwuchs: Sie ist Tankstation, Waschstraße, Schule und Spielplatz in einem.
Als wir eintrafen spielten die Jungtiere noch friedlich in einer Außenanlage fernab des Besuchertrubels. Vater Porgy beobachtete unser Eintreffen sichtlich unerfreut aus seinem grünen Séparée. Bess ist schon morgens vorsorglich von ihrem Wurf getrennt worden. Was nicht ganz leicht war, bewacht sie die beiden doch ansonsten Tag und Nacht. Zügig und vermeintlich ohne die Tiere links von uns wahrzunehmen ziehen Zoovetreinärin Dr. Stefanie Markowski, Doktorandin Anna Grewer, Diplom Biologin und Zoo-Marketingleiterin Petra Schwinn mit dem KR-ONE-Team an den Großkatzengehegen vorbei zur Küche. Dort erste Lagebesprechung mit den Tierpflegern Annika Görß und Thomas Hamma. Aufregung macht sich breit. Obwohl es bereits der dritte Wurf Jaguare im Krefelder Zoo ist. Und obwohl die Tiere Annika Görß und Thomas Hamma gut kennen.
„Ein Tigerbaby können sie noch mit zwölf Wochen gut handeln. Ein Schneeleopardenjungtier sogar auf den Arm nehmen. Bei einem Jaguar sollten sie das besser nicht versuchen, egal wie süß es aussehen mag“, erklärt Thomas Hamma seine Vorsicht, während er ein paar ellenbogenlange robuste Handschuhe überstreift. Eine geschlossene Winterjacke trägt er bereits. Ebenso wie Annika Görß, die sich zusätzlich einige Wolldecken unter den Arm klemmt. Nachdem alle Beteiligten instruiert sind, macht sich die Vorhut daran, die zwei Jaguarbabies einzufangen. Kein leichtes Unterfangen, wie wir von unserem Versteck aus hören können. Dann das verabredete Handzeichen von Stefanie Markowski, die in der Schleuse zum Gehege auf uns wartet. Geduckt huschen wir am Zaun entlang, um kein größeres Aufsehen zu erregen. Aus dem Augenwinkel sehen wir zwei Jaguar-Mensch Knäuel im Sand. Daneben wartet Anna Grewer ruhig und konzentriert, zwei aufgezogene Spritzen in der Hand. Links neben uns in der Schleuse: der riesige Kopf von Porgy samt Pfote im Fenster der Tür zu seinem Teil der Anlage. Dankbarkeit für die Erfinder von Türen, Schlössern und Zäunen durchströmt mich. Dabei haben diese hochbedrohten Tiere diese Schutzmaßnahmen streng genommen viel nötiger als wir. Schön ist er. Trotz gebleckter Zähne und übler Laune.
Thomas Hamma winkt uns in das offene Areal, wo die Jaguarbabies von ihm und Annika Görß festgehalten werden. Die Anstrengung, die es sie kostet, die kernigen kleinen Tiere zu halten, ist ihnen anzusehen. Wobei die Katze sich als viel wehrhafter erweist, als ihr Bruder. Mit wenigen Handgriffen wird Wurmkur aufgetragen, die Schutzimpfung verabreicht sowie der unter der Haut implantierte Mikro-Chip ausgelesen. Eine Art Personalausweis für Zootiere, der illegalen Handel unmöglich machen soll. Noch ein klein wenig Zeit für zwei, drei Bilder, dann treten wir den geordneten Rückzug an. Nachdem alle Menschen wieder in der Schleuse sind, weicht die Anspannung einer gelösten Stimmung. Glückwünsche werden ausgetauscht. Eindrücke besprochen.
Die vierbeinigen Patienten wirken schon wieder völlig entspannt, als Mutter Bess zu ihnen stößt. Während sie uns noch knurrig über all ihre ausgestandenen Sorgen der letzten Minuten aufklärt, springen ihre Kleinen unbeirrt auf ihr herum. Ihre zweite und damit letzte Impfung haben sie erfolgreich hinter sich gebracht. Für die Tierpfleger auch ein Abschied: Dies war das letzte Mal, dass sie sich in das Gehege wagen konnten. Ab jetzt werden die Großkatzen keinen direkten Menschenkontakt mehr haben. Sollten sie noch einmal ärztlicher Hilfe bedürfen, müssen sie vorab per Pfeil betäubt werden.

Doktorandin Anna Greller und Tierpfleger Thomas Hamm hochkonzentriert beim Auslesen des Mikro-Chips
Gemeinsam beobachten wir noch eine Weile schweigend die Familienzusammenführung. In freier Wildbahn ein selten gewordenes Bild. Wie immer im Zoo beschleicht mich eine leise Melancholie angesichts der eingesperrten Schönheit, die es anders vielleicht nicht mehr gäbe. Eine Sache bleibt noch zu tun. Für diesen besonderen Tag hat sich das Zoo-Team die Namensverkündigung vorbehalten. Nach langem hin und her sowie eingehenden Charakterstudien der Geschwister, stehen die Namen jetzt fest: Miranda und Mato. In eineinhalb Jahren werden sie ihre Eltern und den Krefelder Zoo für immer verlassen. Und mit ein bisschen Glück, in einem anderen Zoo ihre eigenen Familien gründen. Damit „der, der im Fliegen jagt“, auch künftig nicht ausstirbt.
Zoo Krefeld, Uerdinger Straße 377, 47800 Krefeld, Telefon: 02151 95520, www.zookrefeld.de, Öffnungszeiten von April bis September täglich von 8 bis 19 Uhr (Kassenschluss 17.30 Uhr). Die Jaguarbabies sind in der Zeit von 10 bis 16 Uhr mit etwas Glück in der Außenanlage zu beobachten.