
v.l.: Claudia S., FBB-Mutter, Bettina von Bihl, Fachbereich FBB, Jens Lodert, Heimleiter
Familiäre Bereitschaftsbetreuung (FBB) im Kinderheim Kastanienhof
190 Kleinkinder aus schwierigsten Familienverhältnissen wurden in den vergangenen acht Jahren durch die Initiative des Kinderheims Kastanienhof in Pflegefamilien auf Zeit vermittelt. Dahinter stecken 190 Schicksale vom Säugling bis zum Dreijährigen. Und die Schicksale von meist sehr jungen Müttern. Sie sind psychisch krank, überfordert, alkohol- oder drogenabhängig und teilweise selbst Heimkinder. Manchmal auch alles zusammen. Die Familiäre Bereitschaftsbetreuung (FBB) des Kinderheims Kastanienhof fängt Kleinkinder auf, die in solche Krisensituationen hinein geboren werden. Aktuell 28 Pflegefamilien geben ihnen Schutz, Ruhe, Geborgenheit und Liebe bei ihrem Start ins Leben.
„Die Kindeseltern sind meist Opfer. Sie wurden in einem zerrütteten Elternhaus groß, litten unter häuslicher Gewalt oder Missbrauch“, weiß Claudia S. (Der Name wurde von der Redaktion geändert.) Die 46-jährige Pflegemutter aus Krefeld ist gerade mit ihrem vier Wochen alten Pflegejungen im Kastanienhof zum „Besuchskontakt“ gekommen. Hier trifft sie ein- bis zweimal in der Woche dessen Mutter in einem der vier liebevoll eingerichteten Besucherräume. In dieser wohnlich-intimen Atmosphäre berichtet Claudia S., wie sich der Kleine entwickelt. Und sie gibt der Mutter ein gutes Gefühl. Claudia S. drückt es so aus: „Die leibliche Mutter und ich sind keine Konkurrentinnen. Ich versorge lediglich ihr Kind, weil sie es im Moment nicht kann.“ Bei den Besuchskontakten spricht man sich nur mit dem Vornamen an. Die komplette Identität der Pflegeeltern bleibt bewusst anonym, um Auseinandersetzungen außerhalb der Besuchskontakte zu verhindern.
Durchs Fenster beobachten wir einen ca. dreijährigen Jungen, der mit seinen Eltern im weitläufigen Park des Kinderheims spielt. So sieht im besten Fall der Besuchskontakt älterer Pflegekinder mit ihren leiblichen Eltern aus. Claudia S., die seit 2012 mit ihrem Mann und den vier gemeinsamen Kindern (17, 15, 13 und 7 Jahre) insgesamt sechs Pflegekinder aufgenommen hat, kennt aber auch andere Fälle: „Manche Mütter kommen in den ersten Wochen und dann gar nicht mehr.“ Dennoch hegt die Pflegemutter großes Mitgefühl, ja regelrechte Empathie, mit den Kindeseltern. Denn Claudia S. verschließt nicht die Augen vor der meist schrecklichen Biographie der leiblichen Mutter, deren Überforderung, die schließlich das Jugendamt vor die Entscheidung gestellt hat, das Kind in eine Bereitschaftspflegefamilie zu geben.

Claudia S., FBB-Mutter
„Diese wertschätzende Grundhaltung gegenüber den Kindeseltern ist eine ganz wichtige persönliche Voraussetzung unserer Pflege-Eltern“, betont Bettina von Bihl vom Fachdienst FBB. Gemeinsam mit ihren drei Kolleginnen betreut die Diplomsozialarbeiterin Bereitschaftspflegefamilien, hütet den riesengroßen „Erstausrüstungs-Fundus“ vom Oberteil in Größe 56 über das Babyfon bis zum Kindersitz, organisiert Schulungen und Frühstückstermine für die FBB-Eltern. Und kümmert sich um deren Nachbetreuung, wenn sie sich nach einigen Monaten wieder von ihrem Schützling trennen müssen. Denn Ziel ist eine Pflege auf Zeit: Nach ein paar Monaten sollen die Kleinen möglichst in die Herkunftsfamilie zurückkehren können.
Bis dahin müssen erfahrungsgemäß Bedenken vom Jugendamt, Familiengericht und anderen Behörden ausgeräumt werden. Es gilt Verhaltensprotokolle der Kinder und Dokumentationen der Besuchskontakte auszuwerten und wichtige Gutachten abzuwarten. Ein hoher Verwaltungsaufwand, der Zeit kostet und leider in den seltensten Fällen zum gewünschten Ziel führt. Heimleiter Jens Lüdert kennt die Zahlen: „10 bis 15 Prozent unserer FBB-Kinder gehen in ihre Familie zurück. Die meisten aber finden in Dauerpflegefamilien ihr neues Zuhause.“
Die Intention der meisten FBB-Familien aber ist eine andere. Für sie ist es eine Lebensaufgabe, möglichst vielen Kleinkindern aus schwierigen Verhältnissen einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. So sieht es auch die Familie von Claudia S. Als der jüngste Sohn in den Kindergarten kam, war für sie und ihren Mann klar: Jetzt ist die richtige Zeit für ein Pflegekind. „Unsere Familie war komplett, und ich hatte Zeit. Unser erstes Pflegekind war ein sehr kleines, zartes Mädchen. Alles lief wunderbar. Wir versorgten es drei Monate, bis es in eine liebevolle Dauerpflegefamilie kam.“ Auch die vier eigenen Kinder nahmen den Schützling wie ein Geschwisterchen auf (eine ebenfalls wichtige Voraussetzung bei der Überprüfung potentieller FBB-Familien neben harten Fakten wie Gesundheits- und Führungszeugnissen etc.)
Die erfahrene Pflegemutter Claudia S. weiß, was eine gute Pflegefamilie neben einem intakten sozialen Umfeld auch mitbringen muss: Freude an Kindern, Erfahrung im Umgang mit ihnen und Belastungsfähigkeit. Bettina von Bihl, selbst Mutter zweier erwachsener Kinder, unterstreicht das: „Man muss es körperlich und nervlich aushalten können, auch mal ein paar Nächte hintereinander nicht zu schlafen, wenn das Pflegebaby schreit. Auch sollten die eigenen Kinder über drei Jahre alt sein, sonst wird man womöglich beiden Kindern nicht gerecht.“
Zum Ankommen in einer Pflegefamilie gehört aber auch das Abnabeln nach der Betreuungsphase. „Das muss man von Anfang an wissen“, betont Claudia S., gibt aber zu, dass die ersten Tage nach dem Abschied immer schlimm sind: „Wenn das Auto mit dem Kind wegfährt, weinen wir oft alle.“ Fünf Pflegekinder musste Familie S. schon verabschieden. Je länger die Kinder Teil der Familie waren, desto größer war die Trauer. Doch die geht langsam zurück in der „Anbahnungsphase“ mit der Dauerpflegefamilie. Man lernt sich kennen, trifft sich zunächst zuhause bei der FBB-Familie, später bei der neuen Familie. „Das ist eine sehr intensive Zeit“, sagt Claudia S. und fügt hinzu: „Wenn wir spüren, dass ,unser‘ Kind ein paar Tage am Stück in der neuen Familie bleiben kann und wir das Gefühl haben, beide Seiten haben sich kennengelernt, dann muss man loslassen. Wenn ich im Herzen mit dieser neuen Familie einverstanden bin, dann funktioniert das auch gut.“
Bisher hatten Claudia S. und ihr Mann „Riesenglück“ mit „ihren“ Dauerpflegefamilien. Zu fast allen haben sie guten Kontakt. Waren schon bei Taufen dabei und freuen sich immer über aktuelle WhatsApp-Fotos ihrer Schützlinge. Traurig wird es erst wieder dann für das Ehepaar S. und die vier „Geschwister“, wenn ihr jetziges, das sechste Pflegekind, die Großfamilie verlassen muss. Alle wollen lieber nicht daran denken, wie es ist, wenn das Auto mit dem geliebten Pflegekind aus ihrem Blickfeld verschwindet.
Kinderheim Kastanienhof, Kaiserstraße 103 a, 47800 Krefeld
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