„Ronaldos Locke“
Ich höre ihn jetzt schon, den Fußball-WM Kommentator des Jahres 2050: „Abschlag vom Tor. Der Ball landet bei Ronaldo. Querpass auf Ronaldo. Hereingabe von Ronaldo auf den Kopf von Ronaldo und Tor zum 1:0 für Portugal.“ Es ist nur ein Gedankenspiel, aber könnte es nicht sein, dass irgendwann in einer WM-Endrunde zwischen Portugal und Argentinien zehn Christiano Ronaldo-Klone gegen zehn Lionel Messi-Klone spielen und zukünftige Fußballfans dies als völlig normal betrachten? Ich denke doch, denn „Was machbar ist, das wird gemacht“ und „Wenn ich es nicht mache, macht es eben ein anderer.“ Deshalb stelle ich mir vor, dass die beiden Superstars mächtig aufpassen sollten, bei welchem Friseur sie zukünftig ihre Haare fallen und in welcher Bar sie ihr Cocktailglas stehen lassen. Ein Schweißtropfen könnte genügen, um geschäftstüchtige Gentechniker auf den Plan zu rufen. Deutschlandbegeisterte junge Paare könnten sich als Nachwuchs eine Kreuzung zwischen Thomas Müller und Mats Hummels wünschen, brasilianische Fans bekämen eine Neymar-Kopie ins Babybettchen gelegt, und schwedische Patrioten dürften sich über ihr ganz privates Ibrahimoviclein freuen.
Manch ein Achtzehnjähriger kann sich heute schon vorstellen, die Augen- und Haarfarbe seiner zukünftigen Kinder in einem Amazon-Genlabor zu bestellen und in Bezug auf deren Intelligenz ein „Ich bin doch nicht blöd“-Angebot des Mediamarktes zu nutzen. Das wäre sogar nötig, denn wenn Kranken- und Lebensversicherer demnächst vor Vertragsabschluss eine vollständige Gensequenz ihres Neukunden verlangen, wären ein Aldi- oder Lidl-Hirn vielleicht von Nachteil. Man müsste über Herstellergarantien auf Herz- und Nierenleistung diskutieren und sich über Abgasnormen für das Verdauungssystem der Retortenbabys streiten. Vaterschaft könnte durch Urheberschaft und Erziehungsrecht durch Copyright ersetzt werden.
Welch eine prächtige Zukunft, in der einem Neugeborenen ein Wikipedia-Chip implantiert werden kann und Schule deshalb überflüssig wird. Der Gedanke, dass mir irgendwann mein zweijähriger Urenkel aus Goethes Faust vorliest und eine Siebenjährige meine Steuererklärung prüft, macht mich jedenfalls jetzt schon ganz hibbelig. Darüber hinaus bin ich mir sicher, dass die Medizin es bald möglich machen wird, dass Krebs, Arteriosklerose oder Gelenkverschleiß kaum noch eine Rolle spielen und man sich deshalb über ein Renteneintrittsalter von 100 Jahren oder mehr Gedanken machen muss. Wer weiß, vielleicht können meine Frau und ich uns ja mit 80 durch einen Red-Bull-Stammzellendrink noch einmal einen Kinderwunsch erfüllen, und wäre es nicht herrlich, wenn mein Sohn dann Augen bekäme, die so aussehen wie die Radkappen meines ersten Opel Manta?
Wäre es nicht ein Riesenspaß, wenn eine völlig moral- und ethikbefreite Genforschung demnächst Tote zum Leben erwecken und das WM- Eröffnungsspiel 2054 anlässlich des hundertsten Jahrestages des „Wunders von Bern“ von Fritz Walter- und -Kollegen-Nachbauten bestreiten lassen könnte? Nein, ich fürchte mich vor solch einer Vorstellung, denn in dem 1979 entstandenen Science-Fiction-Film „The Boys from Brasil“ hatte ein gewissenloser Wissenschaftler so etwas bereits geschafft…mit Adolf Hitler.
Ihr Wolfgang Jachtmann