Inu (8), Chucky (7) und Nox (3) jaulen, bellen und kratzen an den Stangen in den mit Käfigen ausgestatteten Dienstwagen ihrer jeweiligen Hundeführer. Die Deutschen und Belgischen Schäferhunde wissen genau, was es bedeutet, wenn sie die Brache von Kerrygold auf der Westparkstraße erkennen. Sie können es kaum erwarten, endlich freigelassen zu werden, um ihren Job zu machen. Heute müssen die Kollegen mit der kalten Schnauze wehrhafte Gewalttäter verbellen und fassen, außerdem sollen Rauschgifte erschnüffelt werden. Alles nicht echt, versteht sich. Aber genau so wie bei dieser Übungseinheit sieht der Arbeitsalltag der Diensthunde aus.
Seit mehr als 100 Jahren werden Hunde für die Polizeiarbeit genutzt. In Krefeld gibt es derzeit sechs Hundeführer mit sechs Hunden. Das gesamte Land NRW kann auf rund 300 Fellkollegen zurückgreifen. „Ein gut ausgebildeter Hund gehört zu den effektivsten Polizeimitteln, die es überhaupt gibt“, erklärt Hauptkommissar Michael Brauer, der mit Inu – dem „aufgeplatzten Sofakissen“ wie der 57-Jährige den Hund liebevoll nennt – ein Team bildet. Die Vierbeiner riechen bis zu eine Millionen Mal besser als wir, sie haben Bärenkräfte und gehorchen ihren Führern aufs Wort. Damit das so ist, werden sie ab dem Welpenalter ausgebildet. „Unsere Hunde sind Hochleistungssportler mit außerordentlichen Fähigkeiten. In der Regel sind sie nach zwei Jahren so gut geschult, dass sie für den Einsatz geeignet sind“, so Brauer weiter. Damit diese Lernerfolge erzielt werden können, müssen Polizeihunde eine besondere Veranlagung mitbringen. Mut wird dabei genauso vorausgesetzt wie ein ausgeglichener Charakter. Gerade bei Massenveranstaltungen wie Fußballspielen dürfen sie keine Angst entwickeln. Eine hohe Intelligenz ist allerdings nicht zwingend erforderlich. „Dumme Hunde machen alles genau so, wie es ihnen aufgetragen wird, während intelligente nach neuen Lösungswegen suchen. Beides hat Vor- und Nachteile“, sagt Oberkommissar Uwe Schlabbers und lacht.
„Neben seiner effektiven Leistung hat ein Polizeihund einen großen psychologischen Vorteil. Seine bloße Anwesenheit wirkt einschüchternd auf mögliche Täter und beflügelnd für unsere Kollegen, die wir unterstützen. Man merkt regelrecht wie ihre Anspannung sinkt, wenn wir mit unseren Hunden kommen.“
Was das bedeutet, zeigt die erst Übung: Suchlage nennt sich diese Einheit im feinsten Behördendeutsch. Brauer öffnet einen silbernen Koffer. Darin befindet sich ein Drogen-Spektrum in einem Wert, der jedem Dealer die Neides-Blässe ins Gesicht treiben würde. Brauer schnappt sich ein Tütchen mit rosa Ecstasy-Pillen und eines mit schwarzem Opium. Die Pillen deponiert er im Schrank in einem der ehemaligen Büros im verlassenen Verwaltungsgebäude des Milchkonzerns. Das Opium wird in einem Schacht für Brandschutz auf dem Flur versteckt. Danach folgt Inus großer Auftritt. Die Käfigtür wird geöffnet, der Belgier springt heraus. Es scheint, als könne er seine Energie kaum zügeln. Die Begeisterung für das, was nun folgt, schießt ihm förmlich aus jeder Pore. Es bedarf allerdings nur einer Aufforderung zum Gehorsam und Inu steht still neben dem Bein seines Herrchens. Gemeinsam gehen Hund und Führer zum Eingang. Dann darf Inu zeigen, was er kann. Er stürmt durch die Gänge, schwenkt sein Riechorgan von links nach rechts. Innerhalb weniger Sekunden hat er das Suchareal eingekreist. Immer wieder gibt Inu während dieses Vorgangs Laute der Freude von sich. Plötzlich, genau vor dem Schrank, in dem das Rauschgift versteckt ist, steigt Kommissar Rex auf die Hinterbeine und verharrt still und regungslos. Genau so soll ein Fund angezeigt werden. „Sehr gut“, lobt Brauer. Er streicht seinem Zögling über den Kopf und gibt ihm sein Spielzeug, das Inu im Zuge des jahrelangen Trainings stets mit dem Rauschgift verbindet. Genüsslich zerlegt der Rüde die textile Beißstange in seine Einzelteile, bevor er sich der Suche nach dem Klatschmohn-Erzeugnis widmet. Das Prozedere wiederholt sich, aber anders als erwartet, macht Inu nicht vor der Klappe des Schachtes „Männchen“, sondern an der Wand daneben. Brauer lacht: „Naja, der Hund kann Gifte erschnüffeln, die bis zu drei Meter tief in der Erde verbuddelt sind. Er riecht es halt durch die Wand.“ Trotz des kleinen Schönheitsfehlers erhält Inu ein paar lobende Worte und das obligatorische Spielzeug zur Belohnung.
„Ein gut ausgebildeter Hund gehört zu den effektivsten Polizeimitteln, die es überhaupt gibt.“
Das Aufspüren von Rauschgiften ist nur eine Facette der Sucharbeit, aber jene, die im Arbeitsalltag sehr häufig vorkommt. Ob bei KFZ-Durchsuchungen, Razzien oder bei richterlich angeordneten Hausdurchsuchungen, der Hund vollbringt hier eine Leistung, die normale Polizeibeamte entweder gar nicht oder nur sehr schwer leisten könnten. Doch Spürhunde können auch vermisste Personen aufstöbern, Tatwaffen erschnüffeln, Sprengstoffe finden und Leichen lokalisieren. Wie bei der Ausbildung der menschlichen Polizisten gibt es Allrounder und Spezialisten. Es sind nicht nur die Nasen, die Polizeihunde so wertvoll machen. Der muskelbesetzte Körper, ihre Beißkraft und die messerscharfen Zähne machen die im Öffentlichen Dienst eingesetzten Hunde zu wichtigen Wächtern, die entweder dazu gebraucht werden, ihre Führer zu schützen, Verbrecher zu attackieren oder eine Meute in Schach zu halten. „Neben seiner effektiven Leistung hat ein Polizeihund einen großen psychologischen Vorteil. Seine bloße Anwesenheit wirkt einschüchternd auf mögliche Täter und beflügelnd für unsere Kollegen, die wir unterstützen. Man merkt regelrecht wie ihre Anspannung sinkt, wenn wir mit unseren Hunden kommen“, erklärt Brauer.
Während Hauptkommissar Michael Brauer nach der Übung Inu wieder in den Käfig bringt, schlüpft Oberkommissarin Andrea Machost in eine dick unterfütterte Lederjacke. Machost wechselt nun die Seiten. Aus der Gesetzeshüterin wird ein vermeintlicher Gewaltverbrecher, den Chucky gemeinsam mit Oberkommissar Schlabber stellen soll. Wird in der Realität ein gewalttätig einzustufender Verdächtiger in seiner Wohnung angetroffen und weigert sich dieser den Anordnungen Folge zu leisten, wird vom Diensthund Gebrauch gemacht. „Lieber setzen wir einen Hund dieser Gefahr aus als einen Menschen“, erklärt Uwe Schlabbers die Prioritätenkette, während er mit Chucky in die oberste Etage des Verwaltungsgebäudes läuft. Dann wird’s ernst. „Hier ist die Polizei, kommen sie heraus, sonst machen wir vom Diensthund Gebrauch“, ruft Schlabbers laut und wiederholt den Satz zwei weitere Male. Dann geht alles ganz schnell. Chucky stürmt los und bellt, Machost brüllt den Hund an und geht ihm entgegen. Binnen Bruchteilen einer Sekunde schnappt Chucky zu und verbeißt sich im dick gepolsterten Arm der Polizistin. Zwei kurze Kommandos seines Herrchens genügen und der siebenjährige Schäferhund macht Platz auf dem Boden. Schlabbers und Brauer, der seinen Kollegen mit gezogener Waffe flankiert, nähern sich der Straftäterin. „Entfernen sie sich langsam vom Hund“, lautet die Anweisung. Dann wird die Verhaftung simuliert und Chucky erhält die Belohnung. „Bei diesem Verfahren gibt es klare Regeln“, erklärt Brauer, „bewegt sich der Täter nicht, darf der Hund auch nicht beißen, sondern muss vor ihm stehen bleiben und ihn ‚verbellen‘.“ Genau an diesem Punkt gestalte sich die Ausbildung allerdings bisweilen schwierig. „Für den Hund ist schwer nachvollziehbar, was Bewegung in diesem Fall bedeutet, selbst das Blinzeln der Augenlieder, könnte als Bewegung interpretiert werden. Hier müssen wir lange und intensiv trainieren“, ergänzt Schlabbers.
Übungen wie die heutige finden immer wieder auf verschiedenen Geländen der Krefelder Polizei statt. Der Grundstein für die hier demonstrierten Ergebnisse wird allerdings im Alltag gelegt. Zwar wird die Leistung eines Hundes einmal im Jahr offiziell überprüft, geschult wird er aber ständig. „Wenn wir unsere Hunde im Welpenalter bekommen, dann trainieren wir einzelne Abschnitte, die anschließend zu einer gesamten Handlungssequenz zusammengeführt werden. Vieles davon kann man zuhause machen. Für manche Übungen braucht man aber ein Übungsgelände wie dieses hier“, erklärt Schlabbers. Haben Polizeihunde einmal das von ihnen abverlangte Leistungsspektrum verinnerlicht, werden sie zu Schichtarbeitern. Drei bis vier Einsätze müssen sie dann täglich absolvieren, oft weit über die Stadtgrenzen hinaus. „Es ist nichts Ungewöhnliches, dass ein Tag in Krefeld beginnt und in Bonn endet“, sagt Machost, „Wenn es irgendwo richtig zur Sache geht, dann müssen wir eben dorthin.“ Ist ein solcher Arbeitstag dann einmal beendet, geht es für die Polizeihunde zusammen mit ihren Führern nach Hause. Denn im Gegensatz zur Bundeswehr, die ihre Vierbeiner in Zwingern hält, leben Polizeihunde abseits der Dienstzeit im Haus ihrer Herrchen. „Dort sind sie ganz normale Familienhunde“, erklärt Brauer lächelnd.
Wenn es um das Verhältnis zu ihren Vierbeinern geht, entwickeln Brauer, Machost und Schlabbers ambivalente Gefühle. Natürlich hätten sie eine starke emotionale Bindung zu ihrem Tier, aber wenn es darauf ankommt, müssten sie es nun einmal einer großen Gefahr aussetzen. Letztlich sei der Hund schließlich ein Dienstmittel, das auch deswegen verwendet würde, um die Ressource Mensch zu schonen. „Ich kann mich gut an eine Situation erinnern, in der wir einen osteuropäischen Militäreinzelkämpfer festnehmen mussten und dieser mit einer Messer hinter der Tür wartete“, erinnert sich Schlabbers, „zum Glück hat Chucky gleich den Arm mit dem Messer gefasst, sonst wäre es wahrscheinlich schief gegangen.“ Wie sich die Beamten in solchen Situationen fühlen, können Außenstehende sicherlich nur schwer begreifen. Abends kuscheln sie mit ihrem Partner zusammen auf dem Sofa und am nächsten Morgen gehen sie gemeinsam auf Verbrecherjagd. Es ist eine Verbindung auf Lebenszeit. Hat ein Polizeihund einmal das Rentenalter erreicht, darf er seinen Lebensabend im Kreise der Familie seines Halters verbringen. Bis dahin ist er allerdings eine Spezialeinheit auf vier Pfoten.