Gazza hat ein schönes Leben. Seine Besitzer haben ihm einen besonderen Namen gegeben, den Spitznamen „Gazza“ der englischen Fußball-Legende Paul Cascoigne. Sie sind umgezogen für den Hund von einer Wohnung in ein Haus am Stadtwald mit einem großen Garten, in dem Gazza toben, rennen, spielen kann. Sie haben ihm eine eigene Hütte aus Holz gekauft, die im Garten auf dem Rasen steht und streicheln und kraulen und schmusen mit ihm. Jeden Tag.Laborbeagle Gazza

Gazza ist ein britischer Jadhund: ein Beagle. Und deshalb ist es nicht selbstverständlich, dass es ihm so gut geht. Denn „Beagle“ ist die beliebteste Rasse für Tierversuche. Dass diese Hunde Höllenqualen erleiden ist deshalb die Regel. Dass sie ein schönes Leben haben, ist die Ausnahme. „Er ist einfach superlieb, total ­gutmütig und hat einen ganz tollen, feinen Charakter“, sagt Carina Kockel, die Besitzerin von Gazza, die mit ihrem Mann, dem bekannten Fußballtrainer und ehemaligem Torwart Ronny Kockel verheiratet ist. Gerade hockt die 25-jährige ­Krefelderin im Garten ihres Hauses auf dem Rasen und krault ihren vierjährigen Beagle hinter den Ohren, der sich vor ihr auf den Rücken ins Gras gelegt hat, die Pfoten angewinkelt, den Blick voller Glück.

Das Tragische: genau dieses freundliche Wesen, die Ausgeglichenheit und die ­Tendenz, dem Menschen kaum was krumm zu nehmen, ist neben der kompakten Körpergröße der Grund dafür, warum Beagle gerne für Tierversuche missbraucht werden. Auch Kockel kennt die Problematik. „Eine Freundin von mir hat einen Laborbeagle, der ist völlig verängstigt, und man kann nicht nachvollziehen, warum das so ist. Zum Beispiel hat er Angst vor Menschen in dunkler Kleidung.“ Der ­Ausdruck „Laborbeagle“ ist Tierschützern traurigerweise ein gängiger Begriff. In NRW ist zum Beispiel der Verein „Tiere in Not Ennepetal“ aktiv, der sich 1992 gegründet hat, innerhalb von NRW und in ganz Deutschland vermittelt, sowie auch in angrenzende Länder wie den Niederlanden, Belgien, Österreich, Schweiz. „Aktuell arbeiten wie mit den Forschungsinstituten von vier deutschen Pharmakonzernen zusammen“, erzählt Klaus-Dieter Listmann, 1. Vorsitzender von „Tiere in Not Ennepetal“. „Wir bieten die Hunde auf unserer Homepage und Facebookseite an. Bis zur Vermittlung bleiben sie im Labor beziehungsweise im Institut. Wir holen die Hunde im Labor ab und fahren sie direkt ins neue Zuhause.“ Bevor die ­Vermittlung konkret wird, führen Listmann und sein Team ein intensives Telefonat mit den potentiellen neuen Besitzern, lassen sie einen Fragebogen ausfüllen und gucken sich die neue Besitzer und das neue Zuhause der Tiere vor Ort genau an, wenn sie die Hunde dort persönlich hinfahren.

 

„Eine Freundin von mir hat einen Laborbeagle, der ist völlig verängstigt, und man kann nicht nachvollziehen, warum das so ist. Zum Beispiel hat er Angst vor Menschen in dunkler Kleidung.“

„Wenn die Hunde aus dem Labor oder dem Institut kommen, kennen sie fast nichts“, sagt Listmann, „sie sind auf dem Stand eines Welpen. Sie sind nicht stubenrein, kennen, je nach Institut, keinen Rasen, sind schreckhaft bei den meisten Geräuschen und vor vielen Dingen ängstlich. So muss man die Hunde langsam aber sicher an alles heranführen. Sie lernen eigentlich recht schnell und sind in der Regel auch nach bis zu drei Wochen stubenrein.“ Sehr wichtig sei, dass man den Hund die ersten Wochen und Monate grundsätzlich doppelt sichere. „Das heißt“, erklärt Listmann, „den Beagle an Brustgeschirr und Halsband gleichzeitig zu führen, damit man das Risiko minimiert, dass er ausbricht. Ein frischer Laborhund, der einem entwischt, bekommt man nur selten eingefangen. Durch die anfängliche Ängstlichkeit versucht er zu fliehen, was meistens vor oder unter einem Auto endet.“

Störungen wie diese verwundern nicht, wenn man vom Deutschen Tierschutzbund erfährt, was Beagle über sich ergehen lassen müssen. Sprecher Marius Tünte schildert ein Beispiel für einen Versuch mit Zahnimplantaten. „Es werden auf beiden Seiten im Ober- und Unterkiefer vier Backzähne gezogen“, erklärt Tünte. „Nach einer dreimonatigen Heilungsphase werden die Tiere erneut operiert. Zunächst werden bei jedem Hund zwei Löcher in den Oberkiefer und vier in den Unterkiefer von je drei Millimetern Tiefe und drei Millimetern Dicke gebohrt. Damit sollen Knochendefekte beim Patienten simuliert werden. Anschließend werden in die Löcher der zuvor gezogenen Zähne insgesamt zwölf Schraubenimplantate aus Titan eingesetzt. Die Implantate haben unterschiedliche Oberflächenbeschaffenheit: entweder konventionell grob-sandgestrahlt und mit Säure geätzt oder zusätzlich chemisch modifiziert. Nach zwei und zwölf Wochen werden jeweils zwei Hunde getötet und der Kiefer untersucht.“ Im Jahr 2013 seien 2542 Hunde zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet worden, „davon 1675 Tiere aus registrierten Zucht- oder Liefereinrichtungen innerhalb Deutschlands“, so Tierschutzbund-Sprecher Tünte. „Im Bereich Grundlagenforschung wurden mit 265 Tieren über dreimal mehr Hunde verwendet, als im Vergleich zu 2012: da waren es 79 Tiere.“ Man könne davon ausgehen, dass der Großteil der Hunde Beagle gewesen wären.

Laborbeagle Gazza

Einen direkt in einem Labor gezüchteten Beagle hat der Verein „Tiere in Not Ennepetal“ 2005 an die Krefelderin Rita Heinrich vermittelt. Jil, eine hübsche Beagle-Dame, ist inzwischen verstorben und war völlig verstört, als sie aus dem Labor kam, erzählt Heinrich. „Sie hatte panische Angst vor Männern“, so die heute 61-Jährige. „Ich konnte mit ihr außerdem nicht in die Stadt gehen. Die Gerüche dort und die Geräusche, besonders von Straßenbahnen, Bussen und LKWs hat sie nicht vertragen, sie blieb vor Angst auf der Stelle stehen und wollte nicht weiter.“ Mit viel Mühe hat Heinrich die „falsche Prägungsphase“, die Jil im Labor erlebte, aufgearbeitet. War mehrmals in der Welpen-Stunde einer ­Hundeschule, hat persönlich mit viel Liebe, viel Geduld mit ihrem Hund gearbeitet. „Nach drei bis vier Monaten war Jil fast normal“, sagt Heinrich. „Aber so ganz hat sie ihre Ängstlichkeit nie verloren.“