Es ist Samstagnachmittag, 16 Uhr. Ich bin zu Christianes Geburtstagsparty eingeladen worden und will ihr noch ein Geschenk besorgen. Im Supermarkt gibt es nette Geldkarten, und auf dem Weg dorthin überlege ich, wie viele Euro ich in diesem Jahr in den kleinen Umschlag auf der Vorderseite friemeln werde. Im vergangenen Jahr waren es noch 50, aber Christiane hat mit ihren 30 Euro anlässlich meines letzten Geburtstages die Schlagzahl vorgegeben, und ich beschließe, es ihr mit gleicher Münze heimzuzahlen. Der DAX-Index unserer Freundschaft geht schon seit Jahren auf und ab, und wenn ich eines Tages vor ihr sterbe, dann hat sie auf diese Tour vielleicht das Geschäft ihres Lebens gemacht. Samstagabend 19.45 Uhr. Christiane öffnet die Tür, und während ich mein Sprüchlein aufsage, zeigt mir ihr Blick, dass sie wohl mit den 50 Euro des vergangenen Jahres rechnet. Jedenfalls stellt sie meinen Umschlag mit einem Registrierkassenlächeln zu den übrigen und bittet mich in ihr Wohnzimmer. Ich schaue in die Runde und denke: „Wenn hier der Teufel los ist, dann muss die Hölle ein Schlaflabor sein.“ Dann stelle ich mir die Frage, ob „Party“ nicht einfach nur die Abkürzung für Paartherapie ist, denn man ist mit sich selbst beschäftigt, und ich habe das Gefühl, mein freundliches „Guten Abend in die Runde“ hat die gleiche Wirkung wie ein Ostfriesenwitz mitten in der Maiandacht. Während um mich herum die Diskussion über die Schul-ängste heranwachsender Sprösslinge, unpünktliche Handwerker und enttäuschende Traumurlaube läuft, denke ich daran, dass meine Eltern es bei ihren Feten noch richtig krachen ließen. Ich sehe ihn vor mir, den mit bunten Eierkartons an der Decke beklebten Partykeller und die Bar, die mein Vater aus einem alten Wohnzimmerschrank gezimmert hatte. Ich habe wieder den Geruch von Lachsersatzschnittchen und russischen Eiern, von Schinkenröllchen und Käsepickern in der Nase. Wo ist sie nur geblieben, die Unbeschwertheit, mit der meine Eltern und ihre Freunde zu Tony Marshalls „Schöne Maid“ eine Polonaise durch das ganze Haus veranstalteten und zu „Marmor Stein und Eisen bricht“ die Bude rockten? Mir kommt es vor, als wenn mit der „Neuen Deutschen Welle“ der achtziger Jahre auch die Lebensfreude und die Spontanität abgeebbt sind. Heutzutage sitzen wir oftmals in unseren Fetenzirkeln wie in einer Selbsterfahrungsgruppe frustrierter Eichhörnchen und bilden uns ein, unser positives Lebensgefühl aus immer neuem ersatzbefriedigendem Fingerfood zu beziehen. In einem Anflug von Unzufriedenheit mache ich mich auf den Weg an das Buffet. Aus dem kleinen PC-Lautsprecher klingt diskret Van Halen’s „Jump“ zu mir herüber. Es muss ein Regiefehler von Christiane sein, denn eigentlich wird hier die allgemeine Suizidalität von einer eher esoterischen Klangbrühe supported. Aus mir bricht es heraus. Ich imitiere unvermittelt David Lee Roth‘s legendären 360 Grad Sprung und gröle los: „I get up, and nothin’ get’s me down!“ Aber mein emotionaler Alarmstart wird abgebremst wie eine F-22 auf dem Deck eines Flugzeugträgers. Christiane weist mich freundlich darauf hin, dass meine Performance ein No-Go sei. Ich will ihr gerade erklären, dass ich dem Lethargie-Hype etwas Partystimmung entgegensetzen wollte, da nähert sich von hinten Achim mit den Worten: „Coole Veranstaltung, echt abgefahren. War wie immer super bei Dir, aber jetzt sind wir total geflasht und müssen dringend ins Bett.“ Es ist Samstagabend, und es ist 21.45 Uhr.
Ihr Wolfgang Jachtmann