Lost Places: Ein Thema, das in den vergangenen Jahren mehr und mehr Aufmerksamkeit erlangte und auch von uns – in Form der Vorstellung des Fotografen Sven Fennema – redaktionell aufgegriffen wurde. Alte Gebäude, deren vergangener Glanz vom Zahn der Zeit gezeichnet ist, erfahren durch die fotografische Aufarbeitung von Profis wertvolle neue Aufmerksamkeit. Diese Gebäude sprechen ihre ganz eigene Sprache, erinnern an eine lebendige Vergangenheit, versprühen diese Art unbeschreiblichen nostalgischen Charme. Uns beschäftigte die Frage, ob es solch magische Orte auch in der Seidenstadt zu gibt – und ob diese Orte tatsächlich dem schrittweisen Verfall geweiht sein müssen.

 

Lost…

Verlassen und vergessen: Ein militärisches Übungsareal im Hülser Bruch

Mitten im Hülser Bruch, einem beliebten Freizeitziel aktiver Krefelder, liegt, versteckt hinter Bäumen und Büschen ein Schießstand aus der Zeit des zweiten Weltkriegs. Dieser wurde vermutlich von der Wehrmacht und der Gestapo zu Übungszwecken genutzt. Wer nun an ein paar verrottete Zielscheiben denkt, der irrt gewaltig! Das beeindruckende Areal ist rund 400 Meter lang und um die 50 Meter breit: ein regelrechter Übungspark mit Gräben, Hindernissen und Deckungsmauern. Aus der Luft betrachtet könnte es sich bei den mit jeweils rund 30 Metern Abstand hintereinander angeordneten, bogenartigen Mauern auch um das Gerippe eines gigantischen Wals handeln. Vermutlich nutzten vor allem die in der Kaserne Westparkstraße untergebrachten Soldaten das Gelände. Mannsgroße Löcher im provisorisch wirkenden Maschendrahtzaun zeugen von vielen Besuchern in den letzten Jahren – ebenso wie diverse Überbleibsel von Menschen, die hier mutmaßlich kampiert haben.

Die lange Zeit ohne regelmäßige Nutzung hat der Natur des fruchtbaren Bruchs die Gelegenheit gegeben, sich das kultivierte Stück Land wieder zurückzuerobern. Bäume, Büsche, Gras und Kletterpflanzen haben die Backsteinmauern über- und teilweise gar durchwuchert. Es gibt keinen Fleck, aus dem nicht pflanzliches Leben sprießt. Der Anblick ist atemberaubend schön und traurig zugleich, wenn man bedenkt, dass das Gelände nicht nur zu Übungszwecken, sondern aufgrund seiner abgeschirmten Lage auch für einige heimliche Hinrichtungen genutzt wurde. Bei unserem Besuch herrschen starke Minusgrade, Blätter und Zweige sind von einer dicken Schicht Frost überzogen, was dem Areal eine verträumte, gar verzauberte Atmosphäre verleiht. Es ist totenstill – bis auf das regelmäßig knatternde Klopfen eines Spechts in der Nähe.

Was aus dieser schaurig-romantischen Kulisse einmal werden wird, lässt sich nicht vorhersagen, so lange ist sie nun schon verlassen. Ähnlich steht es auch um eine kleine Häusersiedlung nahe dem Rheinhafen und diverse industrielle Bauten aus den Hochzeiten der Metallverarbeitung in Krefeld. Doch immer mehr vergessene Orte werden wiederentdeckt und für neue Zwecke genutzt.


…and found!

Das Prächtigste Bad des Deutschen Reichs – ein Krefelder Architekturschatz wird gerettet

Kaum ein städtisches Gebäude stößt bei den Bürgern Krefelds auf so reges Interesse wie das Stadtbad an der Neusser Straße. Der äußerlich recht unscheinbare Bau wurde am 1. Mai 1890 eröffnet. Damals galt das großzügige Jugendstilgebäude als prächtigste Badeanstalt des Landes. Nachdem es die Krefelder viele Jahre lang durch sein vielseitiges Angebot an Schwimmbecken, Saunen, Einzelbädern und Entspannungsbereichen begeisterte, sorgte ein Erdbeben im Jahre 1992 für die erste vorübergehende Schließung. Im Anschluss wurden Teile des Bades wieder in Betrieb genommen, das Damenbad und einige weitere Räume blieben der Öffentlichkeit jedoch forthin verschlossen. Elf Jahre später wurde das Bad endgültig zugemacht und stand seitdem leer. Lange war es still um das Gebäude, bis auf einige erfolglose Ideen für Sanierungs- und Umbaumaßnahmen zugunsten groß angelegter Nutzungskonzepte, die innerhalb der letzten Jahre veröffentlicht wurden. Nun befindet sich das Bad bereits in einem Zustand, der drastische Erhaltungsmaßnahmen erfordert:

In den Gängen des eleganten Prunkbaus blättert die Farbe, das Damenbad muss jahrelang diverse gefiederte Bewohner beherbergt haben, und viele Verzierungen sind ramponiert oder von der Witterung beschädigt. Zur Instandhaltung hat der Fachbereich „Zentrales Gebäudemanagement“ der Stadt Krefeld einen allumfassenden Sanierungsplan durchgesetzt. Seit dem Beginn der Instandhaltungsmaßnahmen hat eine Gruppe junger Krefelder Unternehmer ihrerseits einen Konzeptentwurf vorgestellt, der eine Zwischennutzung des Stadtbades für kulturelle Zwecke vorsieht.

Das Kollektiv, das sich selbst  „Freischwimmer e.V.“ nennt, besteht derzeit aus rund 20 Ehrenamtlern aus verschiedenen Branchen. „Es gab verschiedene kommerzielle Versuche, das Bad zu beleben. Keiner davon hat funktioniert“, erklärt Initiator Marcel Beging. So sei es nun an der Zeit, eine neuartige Herangehensweise zu erproben. Bis das Bad fertig umgebaut ist und eine neue Funktion erhält, möchte der Verein Innen- und Außengelände erlebbar machen. Die Freischwimmer sehen ihr Projekt als Impulsgeber für die Südstadt an, um dort neue Angebote und Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger zu schaffen. Das Kollektiv wird im kommenden Frühjahr ein Programm mit szenischen Führungen und anderen Veranstaltungen an der Neusser Straße anbieten. Außerdem sind die Verantwortlichen offen gegenüber Ideen und Initiativen ihrer Mitbürger, die eingeladen sind, alle Ideen und Vorschläge mit dem Verein zu teilen. Ferner wird auch die Volkshochschule das Projekt mit einer Informationsreihe zum Thema Stadtbau unterstützen. Für ihre Vorhaben erhält der Verein finanzielle Unterstützung von der Stadt. „Ohne die Stadt ist das alles nicht möglich“, betont Marcel Beging. Das Vertrauen und Interesse der Stadt sei eine ungemeine Hilfe für die Umsetzung des Projekts.

 

Ein Prunkbau fürs Grobe: Das Jugendstil-Klärwerk in Uerdingen

Im Stadtteil Uerdingen, unweit des Gymnasium Fabritianum, befindet sich inmitten von Grünflächen ein Klärwerk aus dem Jahre 1910. Der eindrucksvolle Bau des Architekten Georg Bruggaier, der auch in die Gestaltung des Stadtwaldhauses involviert war, wirkt bei äußerlicher Betrachtung nicht wie ein Industriegebäude, das einst der Reinigung von Abwasser diente. So anmutig die Formen, so liebevoll detailreich gestaltet sich die Fassade des Klärwerks, dass sein ursprünglicher Zweck dem Betrachter völlig skurril scheint. Schon seit rund vier Jahren setzt sich eine vierköpfige Truppe befreundeter Unternehmer für den Erhalt des Gebäudes ein, das bereits in den 70er Jahren abgerissen und durch einen modernen Neubau ersetzt werden sollte.

Nachdem das Klärwerk in den Achtzigern generalüberholt, unter Denkmalschutz gestellt und in den darauffolgenden zwei Jahrzehnten für verschiedenste kreative Zwecke genutzt wurde, nahmen sich 2016 Christoph Becker, Klaus Korbmacher, Till Preis und Andreas Stöneberg von der Eventagentur Querfeldeins seiner an. Nach zweijähriger Wartephase, in der das vierköpfige Team das Werk bereits in Form regelmäßiger Besichtigungen der Öffentlichkeit zugänglich machte, möchten die Unternehmer nach abgeschlossenem Kaufprozess nun ein ganz besonderes Projekt umsetzen: In einer der Hallen soll ein Modul aus Holz als Büroraum entstehen, in dem fortan die Geschäftszentrale der Agentur ihren Platz finden wird: ein Gebäude im Gebäude, erschaffen von demselben Architekten, der bereits das Palmenhaus am Baackesweg umgestaltete. Gleichzeitig arbeitet das Team unermüdlich am Erhalt des derzeitigen Zustandes des Klärwerks. „Damit hier nicht in wenigen Jahren alles zusammenfällt, müssen wir jetzt dringend etwas machen“, so Christoph Becker. „Es ist uns wichtig, dass einzigartige Gebäude wie dieses der Stadt erhalten bleiben. Ein vergleichbares Gebäude gibt es hier nicht.“ Sobald die Restaurierungsarbeiten abgeschlossen sind, möchten die vier Freunde das Klärwerk für kreative Nutzungsideen öffnen. Bis dahin, vermutet Becker, werde es aber noch einige Jahre dauern. Die Schäden, die der Zahn der Zeit und diverse unachtsame Besucher der vergangenen Jahre am alten Klärwerk hinterlassen haben, können nur langsam wieder behoben werden.

Anders als der verlassene Schießstand oder die Häusersiedlung am Rheinhafen wurden das alte Klärwerk und das Stadtbad wiederentdeckt und erwarten nun neue Nutzungskonzepte. Der Trend, Lost Places aktiv wiederzubeleben, ist somit endlich auch in Krefeld angekommen. Das zeigen auch Beispiele wie das Projekt Rheinblick, das die Reaktivierung leerstehender Fabrikhallen am Uerdinger Rheinufer zum Ziel hat. Es ist relevant, verlassene Orte immer auch als wiederauffindbare Orte zu betrachten. Viele Gebäude in Krefeld und Umgebung liegen nach wie vor im Dornröschenschlaf, während Natur und Witterung an ihrer Substanz nagen. Eines haben all diese Orte gemein, ob „lost“ oder „found“: den makelhaften Charme und die verletzliche Beständigkeit, die uns Menschen beinahe magisch anziehen und in jedem von uns ganz eigene Assoziationen hervorrufen.

 

Weblinks: www.sven-fennema.de, klaerwerk.querfeldeins.org, www.freischwimmer-krefeld.de