Kolumne
Beerdigungen sind für mich nie schön, auch wenn bei uns im Ort der alte Satz: „Dat woar äwer en schüene Liek“ (das war aber eine schöne Leiche) immer noch gerne zur Anerkennung einer rundum gelungenen Trauerveranstaltung herhalten muss. Da beruhigt mich die sachverständige Nachricht aus der lokalen Klatsch- und Tratschabteilung, „Er hatte ja das Alter und einen schönen Tod“, schon eher, selbst wenn ich mir den Tod in keinem Alter als wirklich schön vorstellen kann.
Heute bin ich bei der Beerdigung eines entfernten Bekannten. Er hatte, wie bereits erwähnt, das Alter und war eines völlig natürlichen Todes gestorben. Ich habe ihn nicht wirklich gut gekannt, aber mein Freund Hennes hatte mich überredet, mit ihm hinzugehen, schließlich sei der Verstorbene ja eine Person von lokaler Bedeutung gewesen, und da sollte man sich doch besser blicken lassen. So ist das wohl. Wenn der Verstorbene einen hohen Bekanntheitsgrad genießt, und das Wetter ist gut ist, dann kann auf dem Platz vor unserer kleinen Kapelle schon mal ziemlich was zusammenkommen. Das fällt auch dem sensiblen Hennes auf, und im Vorbeigehen raunt er mir sorgenvoll zu: „Hoffentlich habe ich auch mal so eine große Beteiligung.“ Das Thema, welche und wie viele Personen an einem Begräbnis teilgenommen haben, besitzt in einem überschaubaren Ort höchste Priorität, da gerät man selbst als Verstorbener noch schwer unter Leistungsdruck. Die Beteiligung ist das, was in den Köpfen der Gemeinde hängenbleibt, das wusste auch meine Großmutter. So war sie in ihren letzten Jahren regelmäßig mächtig sauer, wenn ein Freund oder Bekannter vor ihr das Zeitliche segnete. „Wenn das so weitergeht, habe ich eine schlechtere Beteiligung als Tante Maria. Was sollen da bloß die Leute denken?“ Ich hätte sie nur allzu gerne beruhigt: „Liebe Oma! Bei Deiner Beerdigung war genug Begleitpersonal da, und alle haben ein Kaffeekärtchen bekommen, mit Ausnahme von Schmitze Billa. Die hat keins gekriegt, weil Du beim Begräbnis von ihrem Tünnes auch leer ausgegangen bist.“ Vielleicht liegt es ja am Alter und am schönen Tod des Verstorbenen, dass sich heute gleich reihenweise alte Bekannte mit einem munteren: „Hallo, wie isset?“ und einem überzeugenden: „Jut, un selbst?“ auf die Schulter klopfen. Ich spüre, dass die vorherrschende Stimmung eigentlich ganz gut und vorgetäuschte Traurigkeit nicht unser Ding ist. Im Zweifelsfall kann man ja immer noch behaupten, der Dahingeschiedene hätte es sicher so gewollt. Wir sind gut drauf, daran ändert Hennes unheilschwangerer Kommentar, „Merkse wat? Die Einschläge kommen näher“, auch nicht wirklich etwas. Anstelle der tröstenden Grabrede lausche ich im Folgenden der ausgedehnten Schilderung seiner beginnenden Prostatavergrößerung und stelle fest: Beerdigungen versetzen einen empfindlichen Charakter vom Typ Hennes spontan in Endzeitstimmung. Als der Wagen mit dem lieben Verstorbenen am Grab ankommt, ist er aber wieder ganz der Alte. „Da kannst du machen, was du willst. Dein letztes Auto ist immer ein Kombi“, witzelt er süffisant. Am Grab selbst spüre ich für einen Moment lang echte Anteilnahme. Dann ist es vorbei, und ich mache mich auf den Weg nach Hause. Als ich am nächsten Tag erfahre, dass es beim Beerdigungskaffee noch feuchtfröhlich hergegangen sein soll, kommt mir der Gedanke: „Vielleicht sollten wir es bei manch einer Bestattung wie Brautleute halten. Wer den Kranz fängt, ist der Nächste.