„Ich trotze der Sterblichkeit. Auf ewig müsst ihr mich ertragen“, konstatiert Michael Grosse alias Ludwig van Beethoven im Lichtkegel der sonst dunklen Bühne. Eine Lichtgestalt im wahrsten Sinne. Und ein Unsterblicher, wie er es selbst genau vorauszuahnen scheint. Eine Momentaufnahme aus „Beethoven!“, dem neuen Ballett von Robert North, das kürzlich seine Premiere in Krefeld feierte und alle Kompetenzen des Dreispartentheaters vereint.
250 Jahre wäre Ludwig van Beethoven in diesem Jahr alt geworden, sein Ableben liegt bereits 19 Dekaden zurück – und trotzdem erkennen wir noch heute mühelos sein Konterfei mit den wilden Haaren und mürrischer Denkerfalte auf der Stirn, ebenso wie die weltberühmten Sinfonien. Sein Name ein Gütesiegel. Sein Werk ein Wunder. Denn der Vollblutmusiker litt ab seinem 27. Lebensjahr an fortschreitendem Gehörverlust, bis die von ihm komponierte Musik schließlich nur noch vor seinem „inneren Ohr“ entstehen und erklingen konnte. Als Grundlage für die Entwicklung seines neuesten Ballettabends diente Robert North, der als Choreograph und Regisseur bereits 28 Inszenierungen für das Theater Krefeld und Mönchengladbach konzipiert hat, unter anderem das berühmte „Heiligenstädter Testament“ von 1802, in dem Beethoven seine Krankheit verarbeitet. Doch nicht nur als Kranker wird Beethoven vom Ensemble porträtiert, sondern auch als politischer Mensch, als Denker und als Liebesuchender.
Der „Dreifaltige“
Ausgangspunkt für die Entwicklung des Stücks war der Wunsch, den Musiker zum Jubiläumsjahr auf unkonventionelle Art abzubilden. „Es wird zwar auch einen Beethoven-Marathon geben, wo wir an einem Tag sämtliche Sinfonien spielen, aber wir wollten uns auch als Spartentheater präsentieren und hier etwas Übergreifendes schaffen“, erläutert Generalintendant Michael Grosse, der Beethoven schauspielerisch verkörpert.

Michael Grosse bildet mit Tänzer Alessandro Borghesani und André Parfenov „Beethoven!“
So fremd ein Schauspieler inmitten des Ballettabends zunächst erscheinen mag, so ungewöhnlich ist auch die Tatsache, dass Michael Grosse die Hauptfigur nicht allein darstellt. „Es ist natürlich schwer vorstellbar, die Person Beethoven tanzend über die Bühne zu schicken, wenn man weiß, wer Beethoven war – oder meint, es zu wissen. Deswegen hatte Robert North die Idee, die Figur von drei Seiten anzugehen, einmal tänzerisch, einmal schauspielerisch und einmal musikalisch“, erklärt der Intendant. Robert Norths Beethoven ist also „dreigeteilt“ und doch eins: Neben Michael Grosse als „sprechendem Beethoven“ treten auch Solotänzer Alessandro Borghesani und Pianist André Parfenov als „Ludwig van“ auf. Parfenov, der bereits seit vielen Jahren die Musik zu Robert Norths tänzerischen Visionen komponiert, spielt bekannte Stücke Beethovens, aber auch Eigenkompositionen und Bearbeitungen und bildet in dieser Funktion einen essenziellen Teil des Komponisten ab: Bevor Beethoven, bedingt durch seine fortschreitende Taubheit, vornehmlich komponierte, war er zunächst als Klaviervirtuose bekannt gewesen. Solotänzer Alessandro Borghesani verleiht dem, was gespielt und gesprochen wird, durch Bewegung und Gesten Ausdruck – und darüber hinaus all jenen Dingen, die der Körper selbst besser beschreiben kann als Worte. Das Ballettensemble fungiert als Projektion der Gesellschaft zur Zeit Beethovens und stellt relevante Persönlichkeiten auf der Bühne dar, die den Komponisten über die Jahre beeinflussten – von Napoleon Bonaparte bis zu den vielen Geliebten des Virtuosen. „Wir wollen nicht linear Beethovens Leben erzählen, sondern das Spannungsfeld zeigen, das ein einerseits unangepasster Individualist und andererseits schwer kranker Mensch in sich vereint“, fasst Grosse zusammen.

Der gebürtige Ostberliner Michael Grosse wirkt – obschon ihm in natura die wilden grauen Haare und die charakteristische Prunkmode des Rokokos fehlen – wie geschaffen für die Rolle des Beethoven
Jeder Teil des Künstlers erhält seinen Raum – mal gemeinsam, mal getrennt. So ergeben Grosse, Parfenov und Borghesani eine Einheit, die doch stets heterogen bleibt. Die Zuschauer werden auf Krefelds Bühne einen Beethoven sehen, der weit mehr in sich trägt als eine tiefe Liebe zur Musik: einen philosophischen Menschen, einen Idealisten, zutiefst selbstkritisch. Trotz oder gerade wegen der vielen Kämpfe, die Ludwig van Beethoven mit anderen wie mit sich selbst ausfechten musste, konnte er sich einen festen Platz im Olymp der musikalischen Genies erarbeiten. Ein wahres Ausnahmetalent ist selten aalglatt, praktisch nie ganz im Einklang mit sich – das zeigt auch Robert Norths mehrdimensionales Porträt des Komponisten. Aus Zerrissenheit und Konflikt erwächst wahre Kunst – und die bleibt, wie es ihr Schöpfer selbst sagte, „unvergänglich“.
Theater Krefeld
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Die nächsten Aufführungen: So, 22.3., 18 Uhr, So, 12.4., 19:30 Uhr, So, 19.4., 18 Uhr, So, 10.5., 16 Uhr, So, 7.6., 19:30 Uhr, Di, 23.6., 19:30 Uhr