Grau kann jeder, aber Buntsein nicht

 

Susan Bradshaw ist wohl Krefelds „öffentlichste“ Dragqueen. Exklusiv für die KR-ONE hat sich Stefan in Susan verwandelt. Es waren zweieinhalb Stunden mit intensiven, offenen Gesprächen und ungewöhnlichen Einblicken in dasLeben, Fühlen und Denken eines homosexuellen 33-jährigen Mannes, der sich mit 17 in seiner brandenburgischen Heimatstadt geoutet hat und sich seitdem in der Öffentlichkeit als Frau einfach besser fühlt.

 

Mit Humor und „BERLINER SCHNAUZE“: Krefelds Dragqueen SUSAN BRADSHAW

Stefan Müller

Sein Leben als „Bunter“, wie es der selbständige Make-up-Artist und FashionStylist mit dem sympathischen Berliner Akzent liebevoll ausdrückt, hat viele Farben. Als „Ossikind“ wuchs Stefan Müller zusammen mit zwei Schwestern im brandenburgischen Rheinsberg auf. Dort besuchte er den Kindergarten und war immer der erste an der Kostümkiste. Daraus angelte er sich am liebsten Prinzessinnenkleider. Er spielte mit den Barbies seiner Schwestern, und einer seiner Lieblingsfilme wurde „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Als Elfjähriger schlief er in Backstreet Boys-Bettwäsche, die ihm seine Mutter zum Geburtstag geschenkt hatteund träumte heimlich von Mädchenschwarm Nick Carter. Stefan Müller wusste schon früh, dass er auf Männer steht. Seine Gefühle schrieb er damals in einem Tagebuch nieder. „Das hat dann meine große Schwester durchwühlt – und wusste somit Bescheid. Meine kleine Schwester dagegen hat schon früh begriffen, dass ich anders war als andere Jungs. Sie liebte es, wenn ich mich während meiner Zeit in der Gothic-Szene gruftiemäßig schminkte und kleidete“, erzählt Stefan Müller, während er mit einem Schwämmchen sein Gesicht reinigt und feines Abdeckpuder aufträgt.

Offiziell geoutet hat er sich mit 17 gegenüber seinem damals besten Freund. Stefan Müller erinnert sich noch gut: „Er hat dann auch zugegeben, homosexuell zu sein. Danach habe ich es erst meiner Mutter gesagt. Sie war alleinerziehend eine richtige Glucke, allerdings mit führender Hand. Noch heute schreiben wir uns täglich. Kürzlich hat sie mich auch zuhause in Fischeln besucht.“ Während die Mutter das Schwulsein ihres einzigen Sohnes annahm, spürte er, dass alle anderen Rheinsberger sein Anderssein verachteten. „In der Stadt kannte jeder jeden, und die Farbe Braun ist dort heute noch an der Tagesordnung. Wenn ich meine Mutter besuche, werde ich immer noch als ,schwule Sau‘ beschimpft“, berichtet er und senkt den Kopf. Im Schminkspiegel kann man eine kullernde Träne erahnen.

Erst das Outing, dann der Weggang nach Berlin

Die bitteren Erfahrungen rund um sein Outing führten dazu, dass Stefan Müller nach seinem Hauptschulabschluss und einem Jahrespraktikum als Restaurantfachmann die Koffer packte. Ziel war das keine hundert Kilometer entfernte Berlin, wo er sich zum Make-up-Artisten ausbilden ließ und schnell in die sogenannte Szene eintauchte. Während er mit einem seiner 20 Schminkpinsel dunkelgrauen Lidschatten aufträgt, erinnert er sich an seinen ersten Tag als Dragqueen: „Ich war 19 und wurde von einem großartigen Künstler zur Frau geschminkt. Danach hatte ich meine vollendete Rolle als Dragqueen gefunden! Ich liebe es, in unserer Head-Down-Gesellschaft, in der jeder ständig auf sein Handy schaut, aufzufallen. Ich möchte den Menschen mit meiner schillernden Erscheinung einfach (meinen) Spaß am Leben zeigen. Gleichzeitig möchte ich ihnen vermitteln, dass es nicht schlimm ist,anders zu sein. Ich mache mit meiner Homosexualität nichts Unrechtes, denn ich liebe. Und Liebe ist doch etwas Schönes. 2009 bin ich wegen meiner großen Liebe sogar von Berlin nach Krefeld gezogen. Wir sind immer noch sehr glücklich.“

Mit Humor und „BERLINER SCHNAUZE“: Krefelds Dragqueen SUSAN BRADSHAW

Unmittelbar nach diesem Satz bilden sich kleine Zornesfalten auf der sonst glatten Stirn des jungen Mannes, der mittlerweile mit dezentem Rouge seine Wangenknochen betont und die Nase optisch verschmälert. Stefan Müller kommt auf den Christopher Street Day zu sprechen und wird ernst: „Leider wird Homosexualität oft mit Perversion verglichen. Daran sind auch die CSD-Paraden schuld. Denn dabei steht nicht der Mensch im Vordergrund, sondern der Fetisch. Ich enthalte mich Veranstaltungen, bei denen ein beleibter Mann in Windeln auf allen Vieren kriechend von einer latexüberzogenen Frau an der Leine geführt wird – vorbei an Schaulustigen mit Kindern. Ich wünschte mir für Krefeld einen Tag, an dem das Anderssein eine Rolle spielt. Zu dem jeder eingeladen ist, uns Mitmenschen als Teil der Gesellschaft kennenzulernen. Ich beantworte gerne alle Fragen.“ Auf die Frage nach dem Zustandekommen seines Künstlernamens erzählt er: „Susan Bradshaw ist die Zusammensetzung von Susan Delfino aus der Serie ,Desperate Housewives und Carrie Bradshaw aus ,Sex and the City.Susan Bradshaw tourt übrigens regelmäßig mit der Krefelder Show „Miss Patricia & Friends“ durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Und sie ist ein häufig gebuchtes Double von Conchita Wurst und Cher.

„Politik und Religion sind daran schuld, dass immer noch Kriege geführt werden. Deshalb enthalte ich mich der Politik. Ich gehe aber wählen, weil man in der jetzigen Zeit seine Stimme nicht verschenken sollte.

Susans erste Schritte auf Krefelder Parkett

Während nun der komplizierteste Part der Verwandlung beginnt, der flüssige Lidstrich, erinnert sich Susan an ihre ersten Schritte in Pumps auf Krefelder Pflaster: „Ich hatte schnell Anschluss an die lebendige Travestieszene um Tina Tonelli, die damalige Inhaberin vom Trapez, das ich sehr gerne besucht habe. In lieber Erinnerung habe ich Belinda Chanel, eine mittlerweile verstorbene bekannte Krefelder Dragqueen. Sie hat mich in die hohe Kunst der Travestie eingeführt. Später habe ich in den Katakomben der Königsburg die Gay-Partyreihe ,QueerBeat ins Leben gerufen und war dort auch als Dragqueen unterwegs. Privat sei sie aber gar kein Szene-Typ, betont Susan und erzählt, dass sie am liebsten ihre Stammlokale besucht: das „U76“ in Fischeln, den Rathaustreff der Rosa Jecken und das Wirtshaus an der Alten Kirche. Dort spreche man „die Sprache der Toleranz“. Ihre Freundin Monika, die sie auch zum KR-ONE-Shooting begleitet hat, fügt hinzu: „Wenn Susan in unsere Runde kommt, ist der Abend gerettet. Ihr Humor ist einfach umwerfend.“

Mit Humor und „BERLINER SCHNAUZE“: Krefelds Dragqueen SUSAN BRADSHAW

 

Natürlich sieht Susan in der Öffentlichkeit nicht immer aus wie eine mondäne Schönheit aus einem Rockabilly-Film der fünfziger Jahre. Meist trifft man sie als „ganz normale“ Frau und nimmt auf den ersten Blick eine weibliche Attraktion wahr: 1,79 Meter groß, schlank, mal mit langen schwarzen Haaren, mal mit modernem blonden Kurzhaarschnitt. Aber immer mit Kleid, Pumps, lackierten Fingernägeln und diesem verführerischen Wimpernaufschlag aus perfekt geschminkten blaugrünenAugen. Die strahlen jetzt richtig, denn Susan erzählt von ihrem Fischeln, wo sie vor neun Jahren ihre neue Heimat gefunden hat: Die Menschen sind recht tolerant. Hier bin ich glücklich, umgeben von meinen Freunden, gefühlten hundert Kleidern und Kostümen, mindestens genau so vielen Paaren Schuhen und 17 Perücken desfranzösischen Perückenmachers von Amanda Lear. Ich koche gerne Königsberger Klopse und höre IndiePop, Rock, Soul und Klassik. Für Helene Fischer ist allerdings kein Platz. Und beim Malen lasse ich mich von meinen Gedanken und gesammelten Eindrücken inspirieren.

Von vielfältigen Eindrücken wird Stefan Müller förmlich überschüttet. „Schuld“ daran ist nicht zuletzt sein Beruf als selbständiger Make-up-Artist und Fashion-Stylist, unter anderem für die Fernsehproduktionsfirmen Endemol Shine Germany. Er lernte Barbara Schöneberger und Ruth Moschner kennen. Und dann Désirée Nick. 2016 moderierte sie zusammen mit Jochen Schropp „Promi Big Brother“. Stefan Müller war ihr persönlicher Assistent – bis es zum Knall mit der spitzzüngigen Diva kam. Während Stefan Müller seine künstlichen Wimpern in Form bringt, plaudert er aus dem Nähkästchen: „Désirée hat mich irgendwann auch Hilfstätigkeiten machen lassen. Ich sollte ich ihr sogar Strohhalme besorgen. Daraufhin bin ich gegangen. Aber mittlerweile haben wir wieder ein freundschaftliches Verhältnis. So ist das eben, wenn zwei Diven aufeinanderprallen.“

 

Mit Humor und „BERLINER SCHNAUZE“: Krefelds Dragqueen SUSAN BRADSHAW

Trockener Humor und Selbstbewusstsein mit „Berliner Schnauze“

Trockener Humor und eine gesunde Portion Selbstbewusstsein zeichnen Susan Bradshaw alias Stefan Müller aus. Dazu kommen die von ihren Krefelder Freunden gelobte Hilfsbereitschaft und Treue. Sind ihre Freunde aber mal unpünktlich, kennt Susan kein Pardon und wettert mit ihrer unverkennbaren „Berliner Schnauze“: „Uhr und Terminplaner sind nicht nur schöne Accessoires, sondern haben den Sinn und Zweck, dass man ab und zu mal draufschaut.“ Ist Susan aber mit ihren Freunden oder ihrer Familie zusammen, dann ist das für sie pures Glück. Das hat sie auch empfunden, als sie vergangenes Jahr ihren Halbbruder Tristan über Facebook ausfindig machen konnte. Susans größtes Glück allerdings wäre eine Hochzeit in Weiß. Eine genaue Vorstellung von ihrem Brautkleid hat sie jedenfalls schon: Es soll ein figurbetontes Meerjungfrauenkleid mit viel Spitze und Schleier sein. Sie schwärmt: „Mir geht es beim Heiraten einfach um die Romantik. Die Tatsache, dass sich Gleichgeschlechtliche offiziell trauen lassen können, spielt für mich eine untergeordnete Rolle. Aber mein Partner muss halt irgendwann noch ,Ja‘ sagen

 

Ein großes Dankeschön möchten wir dem Team vom Odeon Tanzpalast aussprechen, das die Location für das Shooting zur Verfügung gestellt hat. 

Instagram: instagram.com/susanbradshawkr