Am 31. Oktober feierten wir ein Fest. Nein, ich meine nicht den Reformationstag der evangelischen Kirche. Sorry, diesen natürlich auch, zumindest ein wenig. Der neue Burner im Feiertagsspektrum ist jedoch Halloween, der ­­Re-Import keltischer Mythologie durch die amerikanische Gruselindustrie.
Halloween ist im überlieferten Sinne ein Brauch, bei dem unter anderem der Heimkehr der toten Seelen in ihre Häuser gedacht wird. Wie sehr müssen wir die armen Geister unserer Vorfahren doch vernachlässigt haben, bevor uns cleveres Marketing auf den Weg der Erinnerung und der erleuchteten Diskotheken geführt hat. Halloween dient nämlich auch der Vertreibung böser Geister und ich sehe förmlich, wie die Schreckgespenster vor der spirituellen MP3-Power atemlos durch die Nacht fliehen und wie Phantome und Schimären mithilfe von Hugo und Mojito auf Teufel komm nie mehr raus in bundesdeutsche Toiletten gespült werden. Ich versuche mir einzubilden, dass sich die selige Oma Klawuttke darüber freut, dass ihr siebenjähriger Enkel sie durch sein Troll-Kostüm und sein „Süßes oder Saures“ Gejohle vom unangenehmen Konkurrenzdruck lästiger Dämonen befreit und überhaupt, dass der Halloween-Hype mit seinen krassen Outfits dafür sorgt, dass Deutschland zu Allerheiligen von allen bösen Geistern verlassen ist, aber hoffentlich nicht von allen guten. Ich fühle mich an Oscar Wildes Erzählung „Das Gespenst von Canterville“ erinnert, in der jegliche Spukversuche des altehrwürdigen englischen Schlossgespenstes Sir Simon mit modernen amerikanischen

Hilfsmitteln wie Aurora Schmieröl gegen rasselnde Ketten und Pinkertons Fleckenstift gegen jahrhundertealte Blutflecke im Keim erstickt werden. Sir Simon löst sich am Ende der Geschichte frustriert in Nichts auf und so ergeht es wohl auch in naher Zukunft dem allzu harmlos erscheinenden Christkind, das durch die Hollywood-Stuntshows aus Wolkenritt und Kaminturnerei eines Coca-Cola subventionierten Ho-Ho-Ho-Man bereits aus der Traumwelt meiner eigenen Kindheit verdrängt wurde. Halleluja! Ich wusste schon vor mehr als 45 Jahren nicht mehr genau, an welchen von Beiden ich meinen Wunschzettel schreiben sollte und wer schlussendlich die Geschenke brachte. Die Erklärung hierzu blieben mir meine Eltern jedenfalls schuldig, denn Santa Claus, dessen Erscheinung mit dem Nikolausbrauchtum unserer Breiten ebenso wenig zu tun hat wie ein Porsche mit einer Spielstraße, hatte sie mit seinem Schlitten genauso überfahren wie mich. „Christkind was out, Christmas was in.“ Bald kommt Sankt Martin und es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, wann sich die Tradition des Martinssingens erledigt hat. Wer mit der Zeit geht, schickt seine Kids bereits zu Halloween um die Häuser und verzichtet darauf, zehn Tage später auch noch das letzte bisschen Junkfood aus den genervten Anwohnern herauszupressen. Das mitteleuropäische Trio aus Sankt Martin, Nikolaus und Christkind spielt in der amerikanischen Werbewelt keine Rolle und deshalb implodiert es wahrscheinlich irgendwann unter dem Druck eines aggressiven Merchandisings. Immerhin beweist der Umstand, dass jeder Kindergarten und jeder zweite Straßenzug seinen eigene Version von der Mantelteilung erzählt und sich ganze Bataillone von armen Männern an teilweise wahren Großbränden die Leiber versengen, dass wir noch in manch schönen Erfahrungen unserer Kindheit verhaftet sind. Möge das Martinsfeuer auf ewig in unseren Herzen brennen.

 

Wolfgang Jachtmann