Eine Nacht in der Notaufnahme des Malteser St. Josefshospital
Um kurz vor Zwölf scheint der Kosmos der notärztlichen Ambulanz des Malteser Krankenhauses St. Josefshospital für ein paar Sekunden still zu stehen. Ein 20-jähriger Mann aus Meerbusch wird flankiert von zwei Rettungssanitätern durch die Gänge geschoben. Plötzlich springt er auf, reißt sich die Verkabelung zur Überwachung seiner Vitalfunktionen vom Leib, zieht die Viggo aus der Vene und rennt blutend zurück in Richtung Krankenwageneingang. Verdattert blicken sich Ärzte, Rettungskräfte und Pfleger an – dann greift die Routine. Wild krakeelend wird der betrunkene Heranwachsende von den Johannitern zurück in die Ambulanz eskortiert. Gleichzeitig ruft Pfleger Christian Moser die Polizei. Die Anspannung ist zu spüren. Augenscheinlich liegt hier kein medizinischer Notfall vor, aber dafür ein menschlicher.

Nachtschicht - Zwischen Randale und Bauchschmerzen

Assistenzärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. Galatia Papadopolou

In solchen Situationen sind bei der Assistenzärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. Galatia Papadopolou fast pädagogische Fähigkeiten gefordert. In einer Mixtur aus Besänftigung und mütterlicher Strenge erklärt die in Griechenland geborene Medizinerin dem renitenten Krawallzahn die Möglichkeiten: „Entweder sie bleiben hier oder es geht ab in die Psychiatrie! Gehen können sie aber auf keinen Fall.“ Der Grund: Der junge Mann wurde bewusstlos mit 1,6 Promille am Wegesrand liegend vorgefunden. Offenbar war er zuvor mit seinen Inline-Skates gestürzt. „Ich weiß doch wohl am besten, ob ich was habe oder nicht“, entgegnet der Bruchpilot widerspenstig. „Da bin ich mir bei Ihrem Zustand nicht so sicher“, hält Dr. Papadopolou kopfschüttelnd dagegen. Mit dem Eintreffen der Polizei beruhigt sich die Situation. Zwar fordert der Delinquent auf der Trage weiterhin lautstark die Gabe von Vicodin, einem starken Schmerzmittel, das durch die Serie „Dr. House“ bekannt wurde, aber ansonsten scheint er sein Schicksal zu akzeptieren. Zeit für die anderen hilfesuchenden Patienten.

Die Nachtschicht im Uerdinger Krankenhaus beginnt um 20 Uhr. Zwei Pflegekräfte und vier Ärzte aus den Bereichen Urologie, Innere Medizin, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie Orthopädie und Unfallchirurgie bilden das Team; bis in den frühen Morgen. In einem kleinen Aufenthaltsraum wird die Übergabe von Spät- zu Nachtschicht vorbereitet. In den schlichten vier Wänden stehen ein kleiner Tisch und vier Stühle. Im Fernsehen läuft Fußball. „Normalerweise bringt jeder seine eigene Verpflegung mit“, erklärt die Gesundheits- und Krankenpflegerin Miriam Elstner. Die Nacht beginnt ruhig, fast zu ruhig für den Geschmack der 27jährigen. „Ich mag es, wenn Action ist“, sagt sie schmunzelnd. Zu diesem Zeitpunkt ahnt sie noch nichts vom später eingelieferten Mann mit Demenz, der sie noch mächtig auf Trab halten wird. Während Pfleger Christian Moser zu Scherzen aufgelegt ist, muss Dr. Papadopolou auf ihre Station, denn auch die hat sie im Rahmen der Nachtschicht zu betreuen. „Nachts arbeiten in der Ambulanz ausschließlich Assistenzärzte“, erklärt Chefarzt Dr. Frank Bischof, „sollten plötzlich viele Notfälle auf einmal eintreffen, haben wir eine Art Notruf-Telefon-System, das weitere Ärzte und Pfleger ins Krankenhaus beordert.“

Zurück in der Ambulanz wartet Patientin Daniela Ascheuer auf Dr. Papadopolou. Die junge Frau hatte eine Spritze für eine Schutzimpfung in den Bauch bekommen. Dabei wurde ein kleines Blutgefäß getroffen. Weil Ascheuer Blutverdünner nehmen muss, ist daraus ein fast faustgroßer Bluterguss entstanden, den die Ärztin abtastet. „Ich ertaste, ob der Bauch hart ist und überprüfe, ob eine Blutergusshöhle entstanden ist, die müsste nämlich im Zweifelsfall operativ saniert werden“, so Dr. Papadopolou weiter. Nachdem sich diese Vermutung zerschlägt, geht es an den Papierkram. „Der nimmt manchmal mehr Zeit in Anspruch als die Untersuchung selbst“, erklärt die Griechin und lacht. Mit einer Salbe zur Kühlung wird Ascheuer entlassen und an den Hausarzt überstellt. Ein Schluck Wasser, dann muss die Medizinerin in Behandlungsraum Zwei. Dort wartet Angela Feige mit ihrem Partner. Die leidenschaftliche Reiterin hatte sich bei der Stallarbeit an einer Schubkarre verhoben. „Es hat einmal laut geknackt, dann kam der Schmerz“, erklärt sie Papadopolou. „Später fing dann das Kribbeln in den Beinen an. Deswegen sind wir ins Krankenhaus gefahren.“ Nach einigen Bewegungs- und Gefühlstest wird Feige zum Röntgen geschickt. „Vielleicht handelt es sich um einen schon länger existierenden Bandscheibenvorfall“, vermutet die Ärztin. „Genaueres müssen die Untersuchungen zeigen.“ Rund 70 Prozent der in der Nacht behandelten Patienten seien definitionsgemäß eigentlich keine Notfälle. Manchmal hätten Patienten schon seit einigen Wochen Beschwerden, kämen dann aber ausgerechnet in die nächtliche Ambulanz. „Über die Gründe dafür kann man nur mutmaßen. Oft sind Termine bei Fachärzten schwer zu bekommen. Manchmal sind es aber auch schlicht die Schmerzen, die die Menschen ins Krankenhaus treiben“, erklärt ehemalige Pathologin. Die Untersuchung eines Patienten beginne gleich bei der Begrüßung, fährt sie fort, Menschen mit heftigen Schmerzen würden flach und schnell atmen und hätten oft eine gekrümmte Körperhaltung. So erkenne man rasch, wie schlimm es wirklich ist.

„Menschen helfen zu können, ist extrem bereichernd. Dafür nimmt man auch die Arbeitszeiten in Kauf.“

Genau diese von Dr. Papadopolou beschriebenen Merkmale weist die nächste Patientin auf. In gekrümmter Haltung schleppt sie sich über den Gang ins Behandlungszimmer. Am 05.09. dieses Jahres wurde bei der 32-Jährigen mit diversen Vorerkrankungen eine Darmspiegelung in einem anderen Krankenhaus gemacht. Dabei haben die Ärzte die Darmwand mit dem Schlauch durchlöchert. Nun klagt die Frau über Schmerzen im Oberbauch. Ein Fall für die Innere Medizin. „Ich kenne die Patientin gut“, erzählt Christian Moser. „Sie ist wirklich schwer krank und hat auch noch familiäre Sorgen. Bei solchen Fällen muss man besonders einfühlsam sein. Deswegen nehme ich mir da viel Zeit.“ Tatsächlich ist der Umgang mit den Patienten von allen Beteiligten warmherzig und fürsorglich. Niemand wirkt hier gestresst oder gar desillusioniert. „Wir sind ein vergleichsweise kleines Haus mit einem kirchlichen Träger“, erklärt Moser, „deswegen herrscht bei uns vielleicht ein anderer Geist als bei riesigen Multiversorgern.“ Der Antrieb der eigenen Berufsausübung sei, Menschen zu helfen. Das sagen alle unisono. Vielleicht ist darin der Grund für die Auszeichnung von „Focus Gesundheit“ zu finden. Das renommierte Magazin wählte die Uerdinger Klinik unter die Top-Krankenhäuser der Republik.

Gegen 22:30 Uhr kommen zwei Männer mit Sportverletzungen. Thorsten-Marco Berdelmann hat sich beim Fußball die Hand verletzt, als er mit einem Mannschaftskollegen zusammenstieß. Papadopolou nimmt seine Hand in ihre, drückt und bewegt sie. „Haben sie hier Schmerzen“, lautet ihre Frage. „Ja, hier am Handgelenk“, ist die Antwort des jungen Mannes. Wieder bekommt Röntgen-Ärztin Elke Pleus Arbeit. Dann die Entwarnung. „Die Knochen in der Hand sind alle okay“, sagt die Chirurgin nach Sichtung der Bilder. „Vermutlich hat er eine Prellung. Aber das wird schon wieder.“ Die Empfehlung heißt: Schonen, kühlen und Sportkarenz einhalten. Eishockey-Spieler Peter Weber hat einen Schlagschuss vor den dicken Zeh bekommen. Auf Drängen einer Freundin ist er in die Notaufnahme gefahren, aber auch hier geben die Röntgenaufnahmen Entwarnung. Der Zeh ist in Ordnung. Weber darf die Notaufnahme ohne weitere Behandlung verlassen. Während Dr. Papadopolou die beiden junger Männer entlässt, wird Pflegerin Miriam Elstner von ihrem dementen Patienten jenseits der 70 Jahre umgarnt. „Sie sind so eine nette Frau“, schallt es aus dem Behandlungszimmer. Ihr Geduldsfaden reißt nicht einmal, als dem Rentner der Toilettengang missglückt. Zuvor war er nach Bier und Schnaps beim Fußballgucken umgefallen. „Trinken sie häufiger mal“, fragt Elstner. „Ja“, antwortet der Charmeur fast stolz, „eigentlich jeden Tag!“

„Wir sind ein vergleichsweise kleines Haus mit einem kirchlichen Träger, deswegen herrscht bei uns vielleicht ein anderer Geist als bei riesigen Multiversorgern.“

Nachtschicht - Zwischen Randale und Bauchschmerzen

Chefarzt Dr. Frank Bischof

Nach fast fünf Stunden ohne Atempause gönnt sich Dr. Papadopolou eine Pause im Aufenthaltsraum. „Heute ist es vergleichsweise ruhig“, sagt sie während sie den Kaffee eingießt. Nachtdienste seien zwar nicht der schönste Teil des Berufs, allerdings gehörten sie dazu, erklärt sie lakonisch. Die 42-Jährige hat sich recht spät für das Medizin-Studium entschieden. „Vorher habe ich zwei Ausbildungen gemacht, aber mir fehlte etwas im Leben. Jetzt spüre ich Substanz. Menschen helfen zu können, ist extrem bereichernd. Dafür nimmt man auch die Arbeitszeiten in Kauf“, erklärt die Promovierte. Für die Fachbereiche Unfallchirurgie und Orthopädie habe sie sich deswegen entschieden, weil sie es gut könne. „Auch der handwerkliche Part liegt mir gut“, sagt sie lächelnd. „Die Schattenseiten des Berufs sind Todesfälle bei jungen Menschen. Daran wird man sich nie gewöhnen und ja: Das nimmt man dann auch mal mit nach Hause.“ Die nachdenkliche Stimmung wird von einem Anruf der Station jäh durchbrochen. Der alkoholisierte Krawallzahn weigert sich den Anweisungen der Stationsschwester Folge zu leisten. In einer Nachtschicht wird dem medizinischen Personal viel mehr abverlangt als reine Fachkompetenz. Hinter jeder Verletzung steht ein Mensch. Der Umgang mit den Patienten vor dem Hintergrund dieses Wissens zeichnet die Helfer in Uerdingen im besonderen Maße aus. Im Gegenzug sollten sich Patienten dasselbe vergegenwärtigen. Mediziner sind Menschen. Menschen mit großer Verantwortung und einer 24-Stunden-Schicht.