Pilgerstätte der etwas anderen Art: Die neue Hauptwache der Krefelder Feuerwehr

Oberbrandrat Andreas Klos

Ein Schlafzimmer im Krefelder Süden. Erster Stock, ein Fenster. Das große Bett steht in Flammen, die Zimmerdecke auch. Sehr schnell wird es sehr heiß und die Luft zunehmend stickig. Auf dem Türrahmen lagert sich Ruß ab. Meine Beine sagen: Renn! Mein Kopf sagt: Keine Panik – das ist nur eine Übung. Obwohl einem das Brandübungshaus der neuen Krefelder Feuer- und Rettungswache einen verdammt eindrücklichen Eindruck von der sehr realen Gefahr vermittelt, die das eigenwillige Element verbreitet. Ein Satz, gesprochen in das mit der Zentrale verbundene Walkie-Talkie des Ausbilders, und der Spuk ist vorbei.

Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen: An einem Montagmorgen kommen wir in das geräumige Foyer der neuen Wache, um diese, am 3. Juni offiziell eingeweiht, selbst in Augenschein zu nehmen. Ein überdimensionales stilisiertes Feuer auf Beton empfängt den Besucher. Der Künstler Thomas Weil hat es eigens für diesen Raum gefertigt, in dem künftig auch Veranstaltungen und Feierlichkeiten stattfinden werden. An uns vorbei eilen grüßend dunkelblau uniformierte Männer mit Marmeladengläsern und Kaffeetassen in Händen. Offenbar ist die Frühstückspause gerade beendet. Dabei sind die meisten Kollegen bereits gegen 6.30 Uhr vor Ort, um für die nächsten 24 Stunden ihren Posten zu besetzen. Bevor es um 7.30 Uhr zur offiziellen Wachablösung kommt, bereiten quer durch alle Dienstgrade hinweg erst einmal alle ihr Bett und ihre Arbeitsplätze in den Dienstfahrzeugen inklusive Arbeitskleidung vor. Damit im Falle eines Falles nicht erst noch Helm und Stiefel, Atemschutzgeräte oder Sanitätskoffer zusammengesucht werden müssen.

Mit einer 15 bis 20 Kilogramm schweren Ausrüstung in ein Gebäude, ausgekleidet  mit über 700 Grad heißen Flammen, zu gehen, ist der Traum vieler Fünfjähriger. Obwohl: Der Traum setzt vermutlich da ein, wo der behelmte Held mit der Nachbarin auf dem Arm in eben der einen Sekunde aus der Tür tritt, in der das brennende Haus hinter ihm zusammensackt. In das Brandübungshaus der neuen Krefelder Feuer- und Rettungswache dürfen allerdings ausschließlich solche Fünfjährigen, die inzwischen volljährig sind. Und den Realitätsabgleich mit ihrem Wunschberuf hinter sich gebracht haben. Hier werden die Auszubildenden unter möglichst realen Bedingungen auf ihre Einsätze im Feuer vorbereitet, zu ihrem eigenen Besten. Ängste abzubauen, ohne den Respekt zu verlieren, ist ein wichtiger Teil der Ausbildung. Am Ende steht dann im Idealfall nicht nur ein qualifizierter Brandmeister oder Rettungssanitäter, sondern ein Mensch mit einer Haltung zu dem, was er tut.

Dazu gehört auch die morgendliche Routine, liebevoll „das Hofballett“ genannt. Sie  ist das Ergebnis von Disziplin und gleichzeitig die Basis für einen reibungslosen Ablauf im Arbeitsalltag. Einen Blick hinter die Kulissen, die sich für den Laien aus jeder Menge Hollywood-Klischees zusammensetzen gewähren uns heute Oberbrandrat Andreas Klos und Feuerwehrsprecher Christoph Manten. „Ich habe ein ziemlich emotionales Verhältnis zu unserer neuen Wache“, gesteht Andreas Klos, der von Anfang an das Bauvorhaben betreut hat. „Und den meisten Kollegen geht es ganz ähnlich, auch wenn sich ein paar Kleinigkeiten erst noch finden müssen.“ Das großzügige Areal beherbergt neben den Feuer- und Rettungswachen zusätzlich einen Verwaltungsbereich und Werkstätten sowie Fachabteilungen, Ausbildungsräume, das Personalwesen und Ruhe- und Aufenthaltsräume für die Alarm-Diensthabenden. Im eigenen Ausbildungszentrum bildet die Stadt Krefeld mit Partnerstädten gemeinsam aus und in regelmäßigen Abständen eigenes Personal fort. Zum Beispiel in jährlich vorgesehenen Rettungsdienstfortbildungen. Insgesamt 240 Mitarbeiter sind Ende Mai von der Florastraße an die Neue Ritterstraße umgesiedelt.

„Gerade für die langjährigen Mitarbeiter war der Abschied von der über 100 Jahre alten Wache ziemlich ergreifend“, sagt Christoph Manten, „allerdings waren die Zustände dort nach modernen Maßstäben nicht mehr tragbar.“ Um sicherzugehen, dass im neuen Zuhause zusammen mit den Kollegen auch hochmoderne Sicherheits- und Kommunikationstechnik sowie eine optimale Infrastruktur einzieht, haben Projektleiter Andreas Klos und seine Kollegen Arbeitsgruppen gegründet, Expertisen eingeholt und das gute Netzwerk der deutschen Feuerwehren bemüht. „Wir haben uns von anderen Standorten, etwa in Regensburg, Freiburg und Trier, das Beste abgucken können“, freut sich Klos. „Jetzt können wir wiederum den Kollegen anderer Städte erzählen, was für uns im Alltag funktioniert und was noch nachgearbeitet werden muss. Inzwischen sind wir eine richtige Pilgerstätte in Sachen zeitgemäßer Feuerwehrtechnik geworden.“ Der studierte Umweltingenieur ist sichtlich stolz auf all die kleinen und großen Details, die ihm und seinen Kollegen endlich wieder ein funktionales und professionelles Arbeiten ermöglichen.

„Wenn Sie so wollen, ist das hier das Herzstück der Feuerwehr,Bei Unwettern, wie dem Orkan Kyrill, oder einem Großbrand, wie im Fall von Holz Roehren, versammelt sich hier die Feuerwehreinsatzleitung.“

Pilgerstätte der etwas anderen Art: Die neue Hauptwache der Krefelder Feuerwehr

Immer noch der schnellste Weg, zwei Etagen zu überbrücken, obwohl die Feuerwehrmännern auch klettern können

Besonders wichtig, und dabei komfortabel, ist die strikte Trennung der Weiß- und Schwarzbereiche. Das heißt, der zivilen und der sensiblen Bewegungszonen. Damit keine Kontamination des Gebäudes durch chemische Stoffe, etwa Säuren und Öl, oder durch Viren und Bakterien erfolgen kann, wurden spezielle Reinigungsschleusen installiert, die die Kollegen nach dem Einsatz durchlaufen können. Das komplette Gebäude ist darauf ausgelegt, erstens: diese zwei Welten voneinander zu trennen, und zweitens: quasi in umgekehrter Richtung, ein Ausrücken im Notfall so zeitnah wie irgend möglich zu gewährleisten. Deshalb die morgendliche Vorbereitung der Fahrzeuge, deshalb die Vorhaltung von Personal in 24-Stunden-Schichten, deshalb die klar durchhierarchisierte Organisationsstruktur. Flache Hierarchien und Work-Life-Balance gibt es bei Google. Im Dienst der Menschenrettung sind die Ruhepausen, die Sporteinheiten und das kommunikative Teambuilding keine lässige Unternehmenskultur, sondern unabdingbar, um die jeweilige Funktion voll ausfüllen zu können. Einen familiären Umgang untereinander pflegen die Blau- und Rotröcke dennoch – das bringen die gemeinsamen, oft belastenden Erlebnisse mit der Zeit von ganz allein mit sich.

Der Fußballplatz, der Kraftraum, die Fernseher in den Aufenthaltsräumen, der Abenteuerparcours für die Atemschutzübungen sind also nicht allein zum Zeitvertreib der jeweiligen Schicht da. Sie sind auch Ausdruck der Anforderungen, körperlicher und seelischer Natur, die an einen Mitarbeiter im Fachbereich 37 der Stadt gestellt werden. Es ist ein langer Weg vom „Wenn ich einmal groß bin gehe ich zur Feuerwehr!“ bis zum fertigen Brandmeister und Rettungssanitäter. Um in Brandbekämpfung und Rettungsdienst tätig werden zu dürfen, ist bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung erforderlich. Etwa im Bereich Handwerk, Technik oder Rettungsassistenz. Darauf folgt eine 18-monatige Grundausbildung. In dieser Zeit wird auch der LKW-Führerschein gemacht. Dazu eine Ausbildung im Grundrettungsdienst sowie das Deutsche Sportabzeichen und der Rettungsschwimmer. Zur Weiterqualifizierung sind dann Erfahrung und das Bestehen einer Auswahlprüfung nötig. „Theoretisch kann sich auch der ‚kleine Feuerwehrmann’ bis in den gehobenen Dienst vorarbeiten“, erklärt Christoph Manten. Zudem kommen inzwischen viele Quereinsteiger aus dem Studium. Diese müssten dann allerdings zunächst auch erst noch einmal die komplette Grundausbildung nachholen, bevor sie ihren eigentlichen Dienst versehen dürfen. Hierzu ist es notwendig, umfangreiche Lehrgänge und Schulungen bis hin zum Zug- und Verbandsführer am Institut der Feuerwehr in Münster zu absolvieren. Außerdem sind Ausbildungsabschnitte bei anderen Feuerwehren zu leisten. „Grundsätzlich freuen wir uns über neue, frische Ideen Feuerwehr zu strukturieren und zu leben“, so Manten, „wir versuchen deshalb eine gesunde Mischung aus Nachwuchs und gestandenen Kollegen hinzubekommen.“

In Krefeld gibt es im Schnitt 37.000 Einsätze pro Jahr, davon sind 90 Prozent rettungsdienstlicher Natur. Das bedeutet im ersten Schritt, die Entgegennahme von 500 bis 1.000 eingehenden Notrufen in der Dienstleitstelle. Auch sie ist auf dem neuesten Stand der Technik, besetzt mit bis zu sechs eigens aus- und weitergebildeten Disponenten, die alle Bilder und Signale auf den vielen Bildschirmen zu deuten wissen. Im Fall einer so genannten „Großschadenslage“ –  Beamtendeutsch ist auch hier herrlich diskret – können zusätzliche Arbeitsplätze und eine hochmoderne Einsatzleitungszentrale innerhalb von Minuten in Betrieb genommen werden. „Wenn Sie so wollen, ist das hier das Herzstück der Feuerwehr“, erklärt Andreas Klos. „Bei Unwettern, wie dem Orkan Kyrill, oder einem Großbrand, wie im Fall von Holz Roehren, versammelt sich hier die Feuerwehreinsatzleitung. Hier wird stabsmäßig gearbeitet. Hunderte von Mitarbeitern werden von diesem Raum aus geführt und koordiniert.“ Zu diesem Sicherheitsbereich, ausgestattet mit separaten und doppelten Internet-, Strom- und Telefon-Anschlüssen, um Betrieb und Kommunikation auch im Katastrophenfall aufrechterhalten zu können, hat nicht jeder Zugang. Einerseits beruhigend. Andererseits wüsste ich nach unserem heutigen Rundgang, wo ich im Ernstfall an die Türe klopfen würde.

Allen anderen interessierten Bürgern stehen auch ganz ohne Not zumindest einige der beschriebenen Türen offen, am 4. September 2016, zum Tag der offenen Türe in der neuen Feuerwehr- und Rettungswache.