Im Eingangsbereich grüßen Kisten voller Arzt-, Liebes- und Westernromane, hinter der Tür türmen sich schwer beladene Regale mit Taschenbüchern und Comics bis zur Decke. Es duftet nach altem Papier, und zwischen den engen Regalreihen bewegt man sich am besten seitlich, damit man nicht steckenbleibt. Willkommen im Papierplanet, der seit nunmehr über 30 Jahren auf seiner Umlaufbahn durch Krefeld schwebt.

 

Alles begann im Jahr 1988: „Ich war begeisterter Comicsammler und träumte wie so viele, die dieses Hobby teilen, von meinem eigenen Comicladen“, beginnt Inhaber Thomas Metz seine kleine Zeitreise. Im Ladenlokal an der Elisabethstraße verkauft der damals 27-jährige gelernte Gas- und Wasserinstallateur zu Beginn seine eigenen Hefte, erweitert um Taschenbücher, Zeitschriften und Groschenromane, die er bei Touren über die Trödelmärkte oder bei Sammlungsauflösungen zusammenkauft. Einige Jahre später werden die Räumlichkeiten zu klein, und es erfolgt der Umzug an die Lindenstraße. Das riesige, garagenartige Geschäft ist eine echte Fundgrube für Sammler, Jäger und Entdeckungslustige mit Zeit: Computerzeitschriften aus den Achtzigerjahren, alte Cinema-Ausgaben, Modemagazine, dazu regalweise Groschenromane, fein säuberlich in Klarsichtfolien verpackt und nach laufenden Nummern in Kartons sortiert – und natürlich Superheldencomics aus Übersee. Was heute dank der Marvel-Filme allgegenwärtig ist, ist in jener Zeit, in der kein deutscher Verlag die Hefte herausgibt, rares Gut. Wer im Papierplanet alles erkunden will, muss dafür auch schon einmal die Leiter zur Hilfe nehmen – und am besten schwindelfrei sein.

Seit über 30 Jahren betreibt er den Papier Planet in Krefeld: Thomas Metz

Zum Ende der Neunzigerjahre verschlägt es Metz mit seinem Papiermuseum auf die Hochstraße, wo er ein riesiges Kellergeschäft bezieht. Nach einem Abstecher an die Dreikönigenstraße landet er 2009 schließlich an der Petersstraße. Einiges hat sich seit den Anfangszeiten verändert: Das Internet hat den klassischen Medien den Rang streitig gemacht, die Leserschaft für viele einstige Bestseller, wie zum Beispiel die Westernromane, stirbt langsam aber sicher aus, Zeitschriften gehen fast gar nicht mehr, und vom Verkauf neuer Comics hat sich Metz ebenfalls verabschiedet. Er betreibt den Papierplanet heute als reines Antiquariat.

Laufkundschaft, die zum spontanen Stöbern hereinkommt, gibt es auf der Petersstraße leider kaum. „80 Prozent des Umsatzes mache ich heute mit dem Verkauf über das Internet“, erklärt Metz. Dessen Siegeszug hat auch sein Geschäft schwieriger gemacht: Wer seine Comicsammlung heute verkaufen möchte, geht nicht mehr auf den Trödelmarkt oder bringt sie zu ihm, sondern nutzt Online-Plattformen wie ebay, die mit größerem Gewinn locken. Auch das zeitaufwändige Durchwühlen von Kisten kann man sich dank virtueller Suchmaschinen sparen, wenn man möchte. Zeitschriften, einst eine sichere Bank, hat Metz bis auf ganz wenige Titel ebenfalls ausgemistet. „Die Bravo wird gern noch aus nostalgischen Gründen gekauft“, berichtet er. „Oder auch als Geburtstagsgeschenk: die Bravo aus der Geburtswoche“, schmunzelt er. Selbst hat Metz erstaunlicherweise keine sentimentale Verbindung mehr zu den bedruckten Seiten – ganz im Gegensatz zu seinen Kunden: „Mit dem Comicsammeln habe ich aufgehört, als ich eine Familie gegründet habe, und heute ist das ein ganz normales Geschäft für mich.“ Trotzdem behält er Trends im Auge – derzeit läuft alles, was mit den Achtzigern zu tun hat –, weiß, welche Ankäufe sich lohnen könnten. Und er hat seine Stammkunden, die zu ihm kommen, um sich regelmäßig neuen Lesestoff zu besorgen: „Krimis verkaufen sich immer noch sehr gut, genauso wie Science-Fiction-Romane“, berichtet er. „Hier wachsen auch immer neue Käufer nach, anders als bei anderen Themen, die mehr und mehr aus der Mode geraten.“

Wenn man den Papierplanet betritt, fühlt man sich ein wenig, als tauche man in eine andere Dimension ein. Der Straßenlärm wird vom vielen Papier gedämpft, zwischen den Regalen herrscht ein diffuses Zwielicht. Papier ist geduldig, sagt der Volksmund, und die Redensart nimmt hier noch eine zusätzliche, andere Bedeutung an. Angesichts der schieren Menge an Geschichten, Gedanken, Ideen und Bildern, die im Papierplanet gesammelt zur Ansicht und zum Verkauf stehen, stellt sich durchaus so etwas wie Ehrfurcht ein, auch wenn viele der Romane und Hefte der oft verpönten Trivialliteratur zuzurechnen sind und garantiert keine vergessenen literarischen Meisterwerke sind. Vieles von dem, was hier verkauft wird, wird irgendwann vergessen sein: Die Romane, die nie einen Nachdruck erfahren haben, die Comichefte aus den Sechzigerjahren, deren hoher Sammlerwert mangels Käufern rein theoretischer Natur ist, die Sachbücher, die von der Geschichte überholt wurden, die Groschenheftreihen, die nach einigen erfolglosen Ausgaben wieder eingestellt wurden. Dennoch haben Menschen einst an die Kraft dieser Geschichten geglaubt, Zeit und Energie darauf verwendet, sie niederzuschreiben oder drucken zu lassen, sich vielleicht eine große Karriere und Geldsegen erhofft, als sie veröffentlicht wurden. Der Papierplanet ist viel mehr als ein Antiquariat: Er ist ein popkulturelles Archiv, ein Ideen- und Gedankenmuseum, in dem das Abseitige, Zweitrangige und Vergessene seinen Platz bekommt.

 

Papierplanet: Planet der vergessenen Gedanken

Diese Dienstleistung hat ihren Wert, auch wenn der eher ideeller Natur ist:  „Manchmal rufen mich Filmproduktionsfirmen an, weil sie Recherchematerial benötigen oder Requisiten, um ihre Szenenbilder lebendiger zu machen“, erzählt Thomas Metz belustigt. Einmal orderte eine Sternwarte zur Dekoration einer Ausstellung Dutzende alter Perry-Rhodan-Hefte. Am kuriosesten war eine Anfrage der Sparkasse: Im Archiv fehlten der Bank einige Ausgaben des alten Sparkassen-Magazins „Sparefroh“. Metz hatte sie. „Ich weiß gar nicht mehr, wieso ich sie damals aufbewahrt hatte“, gesteht er. Eine spontane Eingebung sagte ihm, dass er die Hefte vielleicht irgendwann würde loswerden können – und er sollte Recht behalten. Metz bietet seinen Besuchern mit dem Papierplanet aber nicht nur museale Ausstellungsstücke, sondern auch ein Einkaufserlebnis, das heute sehr selten geworden ist. Wer wie er vor 30 Jahren heute den Traum vom Comicladen träumt, findet heute gänzlich andere Voraussetzungen vor. Die bunten Hefte sind als Kunstform anerkannt, die Superheldengeschichten dank der Multimillionendollar-Produktionen aus Hollywood ein absolutes Massenthema, das auch deutsche Verlage mit ihren Hochglanz-Editionen wieder gewinnbringend bedienen. Beim Betreten eines modernen Comicladens fühlt man sich sehr sicher und aufgehoben. Der Besuch im Papierplanet erinnert hingegen eher an eine archäologische Ausgrabungsreise, bei der man sich tief ins Erdreich wühlt, um dann irgendwann hoffentlich die ersehnte Tonscherbe aus grauer Vorzeit in den Händen zu halten. Für den einen ist das die Ausgabe 1 des deutschen Spider-Man, für den anderen das Fachbuch über die elektrische Schreibmaschine aus dem Jahr 1982. Den Staub an den Fingerspitzen gibt es inklusive. Und diesen Geruch von Papier, das in einem anderen Jahrtausend produziert wurde.

 

Antiquariat Papierplanet 
Petersstraße 14, 47798 Krefeld
Telefon: 02151-4548436
Mail: papierplanet@arcor.de
Web: www.papierplanet-krefeld.de