Es ist Frühling und eigentlich muss ein Paar neue Schuhe für den Sommer her. Angesichts der braunschwarzen Tretmöbel-Trübsal im 44er Herrenregal verliere ich aber die Motivation und sehe mir interessiert eine Szene auf der anderen Seite des Hauptgangs an. Dort steht ein blauer Kinderwagen Typ MACLAREN-Buggy mit BMW Logo und linksseitig angeflanschtem rotem Esprit-Sonnenschirm. In dem Baby-Boliden langweilt sich Paul. Er ist vielleicht 15 Monate alt und hat von dem, was hier gerade geschieht, so viel Ahnung wie ein Hühnerhabicht von der Quantenphysik. Paul braucht aber Schuhe und die soll er sich anscheinend selbst aussuchen. „Guck mal, Paul! Was denkst Du, lieber die festen Schühchen oder doch die Sandälchen?“ Seine unentschlossene Mama wedelt schon seit Minuten mit diversen Laufwerkzeugen vor der Nase ihres desinteressiert brabbelnden Lieblingsmenschen herum, als endlich Rettung in Form einer liebenswürdigen Verkaufs-Oma naht. „Kann ich ihnen behilflich sein?“ „Ja, danke. Wir können uns nicht zwischen den beiden Paaren hier entscheiden.“ Da gebe ich der Mama Recht, denn Schuhe kann man, anders als Spinat, nicht mal eben in Mamas Ausschnitt spucken, wenn man sie nicht mag. Ich will gerade rüber rufen, dass ihr Junior bei seiner Schuhauswahl so leidenschaftlich wie ein Dreizehenfaultier im Baldrianmodus ist und dass das als ganzer Kerl auch niemals aufhört, als Papa Paul um die Ecke biegt. „Ist etwas Passendes dabei? Was meint Paul?“ Ja, was glaubt er denn, was ein Eineinvierteljähriger meinen könnte? Dass gebrauchtwindelbraune Schlupfstiefel zu schürfwundenrotem Sonnenschirmchen total angesagt sind? Paul fängt an, mir leid zu tun und in meinem Kopf höre ich Herbert Zimmermanns übergeschnappte 54er WM-Finalstimme „Aus…Aus…Aus!“ brüllen. Ich werde bissig und will soeben die Eltern fragen, was Baby Paul denn bei seiner letzten Steuererklärung für die Familie rausgeboxt hat, da trifft mich der souveräne Blick der Verkäuferin, als wolle sie mir sagen: „Bleib ruhig, Brauner, ich übernehme.“
Er ist vielleicht 15 Monate alt und hat von dem, was hier gerade geschieht, so viel Ahnung wie ein Hühnerhabicht von der Quantenphysik.
Mit der psychologisch virtuosen Empfehlung: „Sie sollten jetzt gerade mal nicht ihr Kind um Rat fragen“, zieht sie ein Paar Belly Button Lauflernschuhe aus dem Regal und nach einer kurzen Debatte macht sich Familie Paul mit ihrer MACLAREN Formel-Schubs-Karre auf den Weg durch die Schuhboxengasse zum Ausgang. Im Vorbeigehen höre ich Mama fragen: „Was denkst Du Paul? Sollen wir noch nach ein paar schicken Sommerschuhen für die Mama gucken oder wollen wir schon nach Hause?“ Paul fängt an zu weinen. Was folgt, ist Papas punktgenaue Analyse: „Ich glaube, er will bestimmt nach Hause oder er hat Durst. Riech doch mal an seiner Windel!“ Das war’s. Ich gerate zu der Überzeugung, dass diese Eltern sich einen erstklassigen Familiendominator programmieren. Pauls devote Mutter wird wohl demnächst ihren Soja Macchiato auf Ex trinken, weil ihr Sterntaler am Ende seines Babyccinos sofort heim zu seinem Vtech Computer will. Darüber hinaus hege ich die Befürchtung, dass Paul schon alsbald Papas Geburtstagsparty sprengen wird, weil er jedes Gespräch mit seinen unwidersprochenen Ü-Ei-Bastelbefehlen schreddert. Ich weiß nicht, was am Ende dabei herauskommt, wenn Pauls Mama irgendwann ihrem dreijährigen KiTa-King bei Plus Vier Grad die Entscheidung über das Aus oder An seines Winterjäckchen überlassen wird, aber aus dem Bauch heraus möchte ich manchen Eltern ihren Auto-Aufkleber „Paul fährt mit…“ um die Worte “…uns Schlitten“ ergänzen.
Ihr Wolfgang Jachtmann