Mit leuchtenden Augen und pochendem Herzen sitzt die kleine Mylene Mitte der achtziger Jahre regelmäßig zwischen ihren Großeltern im Parkett der Düsseldorfer Oper und verfolgt gebannt die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne. Die Achtjährige ist fasziniert von der Welt des Theaters und den großen Shows von „Holiday on Ice“. Als talentierte Eiskunstläuferin hat Mylene Breyer während ihrer Kindheit und Jugend außerdem selbst über 13 Jahre Erfahrungen im Rampenlicht gemacht. Es kann also kein Zufall gewesen sein, dass ihr Lebensweg sie zunächst ins Musicalgeschäft und vor zehn Jahren an die Düsseldorfer Oper geführt hat – allerdings backstage, in die Maskenbildnerwerkstatt. Dort übt die heute 41-Jährige ein seltenes Handwerk aus, das sie seit 2013 auch auf dem Flachsmarkt zeigt: das Perückeknüpfen.

Aufrecht, konzentriert und mit einem zufriedenen Lächeln sitzt Maskenbildnerin Mylene Breyer inmitten von 15 Kolleginnen und Kollegen an ihrem Arbeitsplatz im 5. Stock des Düsseldorfer Opernhauses. Durch die großen
Fenster des ehemaligen Ballettsaales wirft die Frühlingssonne ihre Strahlen auf zig Perücken mit unterschiedlichen Frisuren, darunter eine weiße imposante Rokokoperücke aus Büffelhaar, grau-silbern schimmernde Schöpfe aus Kordeln, Rollen und Pappmaché für das Kinderstück „Die Geisterritter“ und eine rote in Wellen gelegte Echthaarperücke, die mit ihren reizvollen Locken an den Schläfen an die 1940er Jahre erinnert. „Das ist die Frisur der Gertrude. Sie ist die Amme von Juliette in der aktuell laufenden Oper ,Roméo et Juliette‘“, erklärt Mylene, während sie mit einer kleinen Knüpfnadel ein mittellanges Haar durch die winzige Masche eines Tüllnetzes zieht, das auf einem Gipskopf befestigt ist. Noch einmal das Haar herumschlingen, festknoten und anziehen. Mehrere zehntausend Mal wiederholt die Maskenbildnerin diesen Handgriff, angefangen beim Nacken und endend an der Stirn, bis die Perücke nach rund 40 Stunden fertig ist. Der Gipskopf ist übrigens der originalgetreue Abdruck des Kopfes der Sängerin, die künftig die Gertrude verkörpert. Da die Rolle kurzfristig von der Zweitbesetzung gesungen wird, fertigt die sympathische Düsseldorferin nun für sie eine individuelle Haarpracht an. Von jedem Darsteller existieren solche Abdrücke, um die jeweiligen Perücken passgenau knüpfen zu können. Die Vorgaben kommen vom Regisseur und der Ausstatterin, die eine Zeichnung der Figur im Kostüm samt Frisur und Haarfarbe, aber auch mit verruchtem Blick und Schmollmund, gezeichnet hat – wichtige Hinweise für das spätere Schminken, das die Düsseldorferin natürlich auch übernimmt, wenn sie während der 14 Uhr-Schicht auch den Abenddienst vor den Vorstellungen hat. Der eindeutig größere Teil ihrer Arbeit ist aber eher haarig. Denn neben handwerklichem Geschick braucht man eine gehörige Portion Ausdauer, bis zehntausende einzelne Haare perfekt verknüpft sind. „Schon als Kind habe ich gerne gestaltet, gebastelt und auch gepuzzelt, am liebsten ab tausend Teilen aufwärts“, schmunzelt Mylene Breyer. Betrachtet man die Perücke auf dem Gipskopf vor ihr, fällt auf, dass die Haare vom kräftigen Rot der Vorlage noch weit entfernt sind. Das wird sich in den kommenden Arbeitsschritten ändern, denn auch das Färben gehört zur Arbeit der Maskenbildnerin. Nach den Vorstellungen wird jede Perücke neu frisiert und, wenn nötig, auch gewaschen.

Durchschnittlich 140 Gramm Echthaar für eine Perücke

Noch ein paar Fakten gefällig? Eine Perücke mit durchschnittlich 140 Gramm Haaren und einem Aufwand von rund 40 Arbeitsstunden hat einen Wert von mindestens 1.500 Euro. Die Düsseldorfer Oper bezieht Echthaar
aus vielen Regionen der Welt, meist aus dem asiatischen Raum. Ist eine stabilere Haarstruktur erforderlich, beispielsweise für Rokoko-Perücken, werden Schweifhaare vom Büffel verarbeitet. Für die Deutsche Oper und
das Ballett am Rhein mit ihren Standorten Düsseldorf und Duisburg fertigen die insgesamt 24 Maskenbildner übrigens nicht nur Perücken, sondern auch diverse Haarteile, Bärte, andere Körperbehaarungen, Masken und
sogar einzelne Körperteile. Während der vergangenen zehn Jahre hat Mylene Breyer um die hundert Perücken geknüpft und ist jedes Mal begeistert, wenn wieder eine wie angegossen auf dem Kopf eines Opernsängers sitzt, denn: „Die Maske ist die Sahne auf der Torte. Sie ist der Abschluss der Verwandlung. Ich bin sehr glücklich, eines der Puzzleteilchen aus Gesang, Kostüm und Maske zu sein.“

Perückenmacherin Mylene Breyer„Die Maske ist die Sahne auf der Torte. Sie ist der Abschluss der Verwandlung. Ich bin sehr glücklich, eines der Puzzleteilchen aus Gesang, Kostüm und Maske zu sein.“

Seit sieben Jahren ist die kreative und besonnene Hand- und Haarwerkerin auch ein buntes Puzzleteilchen des Flachsmarktes, für den sie sich nach einem privaten Besuch als Ausstellerin beworben hat. Damals hatte sie den Barbier mit dem lustigen Schnäuzer dabei beobachtet, wie er Bärte in Form brachte, aber auch festgestellt, dass er keine Perücken fertigte, das früher in diesem Beruf auch üblich war. Das wollte sie gerne zeigen. Sie überzeugte die Organisatoren und demonstriert seitdem in der Museumsscheune die einzelnen Arbeitsschritte des Perückeknüpfens. Unterstützt wird Mylene Breyer von ihrer Kollegin Sandra Kaczmarek. An ihrem Stand
kann man außerdem verschiedene Haarteile, Zöpfe und Perücken anschauen und anfassen. Höhepunkt im wahrsten Wortsinn ist eine ein Meter hohe Rokokoperücke. „Kinder dürfen Haare tressieren, also aus einzelnen Haaren Haarbänder weben und mitnehmen. Wir bringen Haarreifen mit Blümchen mit und machen Flechtfrisuren“, freut sich die dreifache Mutter auf ihren Flachsmarkt-Auftritt, der einen spannenden historischen Beruf ins Rampenlicht rückt.

 

 

Perückenmacherin Mylene Breyer
Flachsmarkt: Museumsscheune, Albert-Steeger-Straße 5, Stand 31