Ein kalter und trockener Montagabend auf der Sportanlage des SC 08 in Willich-Schiefbahn, dem DFB-Stützpunkt vom Fußballkreis Kempen-Krefeld im Fußballverband Niederrhein (FVN). Die Dämmerung kriecht über den gepflegten Kunstrasen, den sechs Flutlichtmasten in helles Trainingslicht tauchen. Das Fußballfeld ist übersät mit Plastikhütchen in Orange, Blau, Gelb und Weiß. Hier leitet Pierre Anbergen (23) das wöchentliche Auswahltraining der besten Spieler im Fußballkreis Kempen-Krefeld. Außerdem ist er zuständig für die Sichtung neuer Talente im Kreis.

Pierre Anbergen beim Auswahltraining für neue Talente
Angetrieben von spürbarer Motivation laufen 17 Jungs und ein Mädchen zwischen 12 und 13 Jahren auf den Platz. Pierre Anbergen überragt seine Schützlinge um fast zwei Köpfe. Der 1,86 Meter große Student, der kurz vor seinem Bachelor-Abschluss im Fach Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Niederrhein steht, ist seit Mai 2014 beim Deutschen Fußballbund (DFB) unter Vertrag. Und für die nächsten anderthalb Stunden ihr Coach auf dem Kunstrasenplatz.
Auf zwei Spielfeldern wird zwischen den bunten Hütchen gelaufen, aus der Bewegung geschossen, gestoppt, das Zuspiel trainiert. „Geordnetes Chaos“, würde der Laie sagen. Profi Pierre Anbergen aber hat natürlich ein Konzept. Seine heutige Trainingseinheit lautet „Neue Situationen variabel lösen“. Die Übungen stehen in einer Unterrichtsmappe, die er in der Hand hält. Neben dem Technik- und Taktik-Training fragt der sympathische, aber bestimmte Coach immer wieder den Sinn von Spielzügen ab. Diese Kombination aus Praxis und Theorie erinnert ein bisschen an Schulunterricht. Aber Teacher Pierre begeistert alle seine Fußballschüler, die neben dem Montagstraining in Schiefbahn mehrmals in der Woche in ihren Heimatvereinen trainieren. Beim Montagstraining am DFB-Stützpunkt profitieren die talentierten Nachwuchskicker von seiner langjährigen Erfahrung und lernen eine offensive Spielweise. Die sei im Jugendfußball das Wichtigste, so der Trainer: „Ich kann mich zwar defensiv hinten reinstellen und jedes Spiel 1:0 gewinnen, aber dann lernen die Jungs nichts.“
Pierre Anbergen war sieben, als er Mitglied im VfR Fischeln wurde. Sein Vater Bernd, damals selbst Spieler und Trainer, scheint die Liebe zum Fußball an seinen Sprössling vererbt zu haben. Doch der war dem Papa schon bald um einige Balllängen voraus: Mit nur 16 Jahren begleitete Pierre als Trainer in Fischeln E- bis C-Jugendliche. „In dieser Zeit haben wir als gute Mannschaft mit einem überragenden Teamgeist viele Gegner zur Verzweiflung gebracht“, schmunzelt der 23-Jährige, für den genau dieses Gemeinschaftsgefühl Fußball ausmacht. Seine Mannschaften standen immer unter den Top 3 der Kreisleistungsklasse. Der junge Trainer war so erfolgreich, dass einige Spieler in die Nachwuchsleistungszentren von Fortuna Düsseldorf, Schalke 04 oder Borussia Mönchengladbach wechselten.
„Talentförderung funktioniert nur durch eine gute Zusammenarbeit zwischen Stützpunkt und Verein.“
2012 erwarb Pierre Anbergen als jüngster Lehrgangsteilnehmer die C-Lizenz Leistungsfußball und zwei Jahre später die B-Lizenz, die heute den vielsagenden Namen trägt: „Elite-Jugend-Lizenz“. Das ist die dritthöchste Lizenz in Deutschland nach der A-Lizenz, für die Pierre Anbergen aufgrund sehr guter Noten schon jetzt zugelassen ist, und der Fußball-Lehrer-Lizenz, salopp gesagt die „Bundesliga-Trainer-Lizenz“. Die hat auch Jogi Löw. Doch wie wird ein so junger Fußballtrainer Stützpunkttrainer für den DFB? Sein umfassendes Fußballwissen, gepaart mit der Leidenschaft, die besten Fußballer im Kreis Kempen/Krefeld technisch weiter nach vorne zu bringen, ließen den DFB vor drei Jahren auf ihn aufmerksam werden. Pierre Anbergen erzählt: „Für meine B-Lizenz musste ich bei 20 Trainingseinheiten an einem DFB-Stützpunkt hospitieren. Kurze Zeit später hat der DFB die Traineranzahl von drei auf vier erhöht. Da ich wohl überzeugen konnte, haben mich meine jetzigen Trainerkollegen Andreas Schwan, Gerald Holzvoigt und Werner Kempkens gefragt, ob ich einsteigen möchte.“ Damit war allerdings der Trainerjob beim VfR Fischeln Geschichte, schließlich hätte man Spieler aus dem eigenen Verein bevorzugen können. Als passives Mitglied aber ist Pierre seinem alten Verein
treu geblieben. Seit der Vertragsunterzeichnung beim DFB 2014 leitet er nun montags die Trainingseinheiten am DFB-Stüzpunkt Schiefbahn und sichtet im Kreis Kempen/Krefeld bei teilweise bis zu vier Spielen an einem Samstag die besten Fußballtalente mit Potenzial für eine Profi-Karriere. Die hat er für sich persönlich übrigens schon früh ausgeschlossen und schmunzelt: „Ich war einfach zu langsam und zu untalentiert.“ Dazu kommen Besuche von Hallenstadt- und Hallenkreismeisterschaften. Was zur Folge hat, dass Pierre Anbergen an Wochenenden, an denen „normale“ Fußballbegeisterte die Bundesliga verfolgen können, keine Spiele mehr von seinem Lieblingsverein Borussia Mönchengladbach live erleben kann. Beim Talentscouting achtet der junge, sehr heimatverbundene Mann, für den neben dem Fußball seine Freunde und seine Familie wichtig sind, auf Koordination, Technik und Spielverständnis. Hat Pierre Anbergen ein Talent ausgeguckt, spricht er dessen Trainer an und lädt den Spieler zu einem Probetraining am Stützpunkt Schiefbahn ein: „Nach zwei bis drei Einheiten weiß ich, ob er weitermachen kann oder gebe ihm Tipps, woran er arbeiten muss, um den Sprung zu uns zu schaffen.“
Auch Pierre Anbergen arbeitet ständig an sich, besucht Fortbildungen des Fußballverbands Niederrhein (FVN), wo er alle Stützpunkttrainer aus den insgesamt 14 Kreisen am Niederrhein trifft, um neue Trainingseinheiten für die Mannschaft, aber auch individuelle Programme, zu entwickeln. Daneben führt er auch selbst vereinsinterne Fortbildungen durch. Bleibt zu wünschen, dass der sportliche Hochschulabsolvent, der sich so intensiv für Talente am Niederrhein einsetzt, seine eigenen Talente künftig auch in einen erfüllenden Beruf einbringen kann.
Pierre Anbergen – ein Fußball-Steckbrief
Persönliche Kennzeichen: eine Fleischwunde am Knie und etwas Asche im Oberschenkel
Lieblingsvereine: Borussia Mönchengladbach „wegen der räumlichen Nähe und weil ich als Kind dort regelmäßig die Stadionatmosphäre genießen durfte. Aber auch Manchester United, 2012 war ich mit meinem Onkel im Old Trafford Stadion beim Spiel gegen Chelsea London. Das war schon geil.“
Trainer-Vorbild: Julian Nagelsmann, ab Juli Cheftrainer von TSG 1899 Hoffenheim (Mit 28 Jahren ist er dann der jüngste Trainer in der Bundesligageschichte)
Bester deutscher Fußballer: „Thomas Müller, weil er aus dem Nichts ein Tor erzielen kann.“