Hilfs-Schöffe Hasan Dogansahin
Wer Richter werden möchte, muss zunächst Jura studieren, zwei außerordentlich gute Examina ablegen und ein Rechtsreferendariat bewältigen. Erst dann ist die hinreichende Basis geschaffen, um im Rahmen einer fundierten Urteilsfindung Recht sprechen zu können. Das denken die meisten; und liegen falsch. Denn: Tatsächlich ist es auch für juristische Laien möglich, ein Richteramt zu bekleiden – ganz ohne Studium oder andere Vorkenntnisse.
Schöffen werden eben jene Richter genannt, die im Rahmen eines sogenannten Schöffengerichts neben dem hauptberuflichen Richter mit gleichwertiger Stimme an der Urteilsfindung beteiligt sind. Jeder erwachsene deutsche Staatsbürger mit einem makellosen Leumund kann Schöffe werden. Freiwillig oder vom Staat bestellt.
Der 55-jährige Deutsch-Türke Hasan Dogansahin ist bereits seit rund zehn Jahren Hilfs-Schöffe. Er tritt dann vor Gericht in Erscheinung, wenn ein anderer Schöffe verhindert ist. Dogansahin ist 1971 mit neun Jahren gemeinsam mit seiner Familie nach Deutschland immigriert. Mit viel Kraft und noch mehr Mut strampelte er sich in die für ihn völlig neue Welt, lernte rasch die Sprache und fand deutsche Freunde. Nach der mittleren Reife machte er eine Ausbildung zum Elektriker und anschließend Karriere. Bereits seit 1999 führt er als Meister erfolgreich den renommierten Betrieb „Elektro Altgaß“ an der Neuen Ritterstraße. Dogansahin ist ein Musterbeispiel für gelungene Integration. „Ich habe nie vergessen, wo ich herkomme, aber ich genieße es, deutscher Staatsbürger zu sein. Den Wert einer geordneten, rechtsstaatlichen Gesellschaft habe ich sehr früh erkannt. Ich folge den Gesetzen nicht, weil ich muss, sondern weil ich davon überzeugt bin“, erklärt der Vater dreier Kinder sein Selbstverständnis und blickt anschließend zurück ins Jahr 2008: „Damals kam ein Freund zu mir, der gerne Jurist geworden wäre, und erzählte mir von der Möglichkeit, Schöffe zu werden. Ich war sofort begeistert von der Idee, das Rechtswesen und die Strafprozessordnung aus einem ganz anderen Blickwinkel erleben zu dürfen. Also bewarb ich mich und wurde genommen.“
„Ich empfehle jedem, der Zweifel an der Judikative hat und Richtern eine gewisse Willkür bei der Urteilsfindung unterstellt, sich für den Schöffendienst zu bewerben. Die Arbeit als Schöffe ist für mich eine Augen öffnende Erfahrung“
Der Gedanke, dass ein Nicht-Jurist mit seiner Stimme den Ausgang eines Verfahrens mitbestimmen kann, erscheint für nicht wenige befremdlich. Tatsächlich gibt es in einem Schöffengericht zwei Schöffen, die im Zweifelsfall mit einer Stimmenmehrheit sogar den Richter ausstechen könnten. Die Beteiligung von ehrenamtlichen Laienrichtern in der Strafjustiz gilt allerdings als ein wichtiges Element des demokratischen Rechtsstaates. Sie stärke das Vertrauen der Bürger in die Strafjustiz und trüge zu einer Rechtsprechung bei, die lebensnah sei. Die Schöffen bilden in dieser Weise ein Bindeglied zwischen Staat und Bürger.
Wer sich nicht freiwillig zum Schöffen-Dienst meldet, sondern vom Staat bestellt wird, kann nur durch das Hervorbringen außerordentlicher familiärer, gesundheitlicher oder beruflicher Gründe freigestellt werden.
Das Schöffengericht selbst ist in seiner Zuständigkeit zwischen dem Strafrichter beim Amtsgericht und der Strafkammer beim Landgericht angesiedelt. Ob es zum Einsatz kommt, hängt von unterschiedlichen Faktoren wie beispielsweise dem zu erwartenden Strafmaß ab. Das Schöffengericht ist nicht zuständig, wenn die Staatsanwaltschaft Anklage vor dem Landgericht erhebt.
Für Hasan Dogansahin war der erste Einsatz als Laienrichter aufregend und langweilig zugleich. „Aufgeregt war ich deswegen, weil ich überhaupt nicht wusste, was auf mich zukommen würde. Um eine mögliche Voreingenommenheit auszuschließen, wird man erst kurz vor der Verhandlung über den Sachverhalt aufgeklärt. Außerdem ist eine Gerichtsverhandlung schon ein besonderes Szenario, in dem sich gebildete und sprachlich versierte Menschen miteinander streiten. Diesen Dialogen zu folgen, ist schon eine Herausforderung“, erklärt Dogansahin und verweist auf die Verfahrenslänge. „Es handelte sich beim ersten Verfahren um einen Kreditkartenbetrug, bei dem schnell absehbar war, dass die Angeklagten schuldig sind. Dennoch mussten über Wochen Zeugenaussagen eingeholt werden. Das war wirklich zäh.“ Begeistert hat ihn allerdings der Umgang des Richters mit den Schöffen. „Wir wurden in den gesamten Prozess der Urteilsfindung involviert. Die Richter geben sich wirklich Mühe, den Schöffen die gesetzliche Grundlage samt der daraus resultierenden Möglichkeiten zum Richterspruch zu erläutern. Wann immer wir möchten, dürfen wir Fragen stellen oder unsere Bedenken anmelden. Die Stringenz und Akribie der Richter in der Ausübung ihres Berufs hat mich fasziniert“, resümiert Dogansahin anerkennend.
Widersprochen hat Dogansahin einem Richter deswegen nie. Dafür habe es schlicht keinen Anlass gegeben.
Aber manchmal befand er sich in einem Zwiespalt. „Einmal stand ein Dealer vor Gericht, der bis zuletzt seine Unschuld beteuerte. Ich war geneigt, ihm zu glauben, aber letztlich war die Beweislast so erdrückend, dass er schuldig gesprochen werden musste“, erzählt er mit in Falten gelegter Stirn. „Es kommt in der Tat sehr selten vor, dass ein Richter von den Schöffen überstimmt wird. Auch das empfinde ich als Beleg der guten Arbeit.“ Zudem sei grundsätzlich jeder Schöffe gut damit beraten, seine Rolle mit Bedacht, Respekt und Sensibilität auszuüben. „Wir sind eben keine Juristen und sollten uns auch deswegen nicht als solche aufführen. Für den Richter ist der Spagat schon groß genug. Selbstdarsteller haben dort nichts verloren“, führt er fort.
Für Hasan Dogansahin ist der ehrenamtliche Dienst als Schöffe aus vielen Gründen lehrreich und bereichernd zugleich. Zum einen betrachtet er ihn als Gelegenheit zur gesellschaftlichen Studie, er mag die Auseinandersetzung mit menschlichen Biographien und Motiven für eine Tat. Zum anderen bestärkt ihn jede einzelne Verhandlung in seinem Glauben an das deutsche Rechtssystem. „Ich empfehle jedem, der Zweifel an der Judikative hat und Richtern eine gewisse Willkür bei der Urteilsfindung unterstellt, sich für den Schöffendienst zu bewerben. Die Arbeit als Schöffe ist für mich eine Augen öffnende Erfahrung“, sagt er.
Wegen seiner großen Begeisterung für die gesetzgebende Gewalt hat Dogansahin auch großes Interesse daran,
in die Arbeit der Exekutive hineinzuschnuppern. Leider wird dieser Wunsch wohl nie in Erfüllung gehen.
Denn: Plötzlich Polizist geht eben nicht, plötzlich Richter aber schon.
Jeder, der Interesse an einer Schöffen-Tätigkeit hat, findet alle Informationen zu Voraussetzungen, Auswahlverfahren und Vereidigung auf dem Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen.
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