Hätte man vor einigen Jahrzehnten Kinder nach ihrem Berufswunsch gefragt, wäre wohl noch häufiger der Wunsch geäußert worden, Erfinder zu werden. Heute scheint die einst beliebte Berufung aus der Mode gekommen zu sein, passt sie doch schließlich nicht so recht in die Anforderungen unserer gewinnorientierten Leistungsgesellschaft. Erfinder – das sind heute Ingenieure mit einem klar abgesteckten Aufgabenfeld. Erfinden – das erfordert neben Kreativität und großen Wissensvorräten auch Mut zu unorthodoxen Ideen, die nicht immer monetär verwertbar sind und mitunter auf gewaltige Widerstände stoßen. Mit Gerhard Fabritz lebt in Krefeld ein Erfinder und Querdenker dieser alten Schule, ein Mann mit einer bemerkenswerten Lebensleistung und wahrlich ungewöhnlichen Ideen.

Prof h. c. Gerhard Fabritz
In Sichtweite des Bockumer Rathauses lebt Gerhard Fabritz bescheiden in seinem zweistöckigen Wohn- und Arbeitshaus. Der Wohnbereich im Erdgeschoss ist einfach eingerichtet: Ein Sofa, ein Sessel, ein Tisch, ein Fernseher und eine Vitrine mit einer Madonna-Figur aus Holz – eben nur das Nötigste. Die meiste Zeit verbringt der 80-Jährige ohnehin in seinen Arbeitszimmern in der ersten Etage, denn an einem entschleunigten Ruhestand ist er nicht interessiert. „Ich erfinde schon immer, und mit dem Erfinden kann man nicht einfach aufhören“, sagt der Krefelder, der sich selbst lieber als „Inventor“ bezeichnet, da er ohnehin im Ausland bekannter sei als in Deutschland und da man Erfinder oftmals fälschlicherweise mit Spinnern gleichsetze. Dass er nicht einfach aufhören kann, Probleme zu erkennen und Lösungen zu entwickeln, wird deutlich, wenn Fabritz beginnt, einen seiner unzähligen Einfälle zu erläutern. Dabei überschlagen sich seine Ideen. Fast scheint es, als tobe in seinem Kopf ein nicht enden wollender Sturm an Kreativität, der ihn fortwährend von einem Thema zum nächsten trägt.
- In einer feuerfesten Kiste bewahrt Gerhard Fabritz seine wichtigsten Innovationen auf
- Die “wwwUmweltstiftung” ist eine der zahlreichen Unternehmungen des kreativen Tausendsassas
Für den Unbeteiligten ist es nahezu unmöglich, die vielen Ideen, Konzepte, Projekte, Unternehmen und Stiftungen, in die Fabritz auf die eine oder andere Weise verwickelt ist, zu überblicken. Der intellektuelle Tausendsassa hat sich im Laufe seines Lebens einen erstaunlichen erfinderischen Kosmos aufgebaut, zu dem sogar Musicals, Kompositionen und seine eigene „AURAner-Philosophie“ zählen. Über 400 nationale wie internationale Patente, Geschmacks- und Gebrauchsmuster hat der Vater zweier Kinder im Laufe seines Lebens angemeldet – die meisten davon wurden bis zur Serienreife entwickelt und umgesetzt, andere ließen sich letztlich nicht vermarkten. „Hinzu kommen etwa 25 Firmen, die ich mitbegründet habe. Denn ich bin nicht nur Inventor, sondern auch Unternehmer mit Leib und Seele“, betont der gelernte Techniker und studierte Betriebswirt, der im Laufe seines Lebens auch ein bemerkenswertes akademisches Netzwerk aufgebaut hat. So ist Fabritz unter anderem Ehrenprofessor der Universität von Astana in Kasachstan, Innovationsberater der TU München und drei weiteren Universitäten und pflegt laut eigener Aussage schon immer enge persönliche Kontakte zu Akademikern und hochrangigen Politikern in der ganzen Welt.
Der intellektuelle Tausendsassa hat sich im Laufe seines Leben einen erstaunlichen erfinderischen Kosmos aufgebaut, zu dem sogar Musicals, Kompositionen und seine eigene „Auraner-Philosophie“ zählen.
Die Konstante in seinem vielfältigen Lebenswerk: In den meisten Fällen geht es bei den Erfindungen des Krefelders um die Umwelt und die Zukunft des Planeten Erde. Und um diese sei es mehr als schlecht bestellt. „Durch die Überbevölkerung, die Ausbeutung nicht nachwachsender Rohstoffe sowie die Vergiftung der Böden und die daraus resultierende Unterbrechung der Nahrungsketten stehen dem Planeten prekäre Zeiten bevor. Wir leben heute in einem Paradies, aber dieses Paradies wird nicht mehr lange Bestand haben“, prognostiziert der Zukunftsforscher mit düsterer Miene. Das Schlimmste daran sei, dass die technischen Möglichkeiten, dies zu verhindern, längst zur Verfügung stünden. Es fehle nur der Wille, sie auch konsequent einzusetzen. Aus dieser schonungslosen Erkenntnis speist Fabritz seit jeher seinen Erfindergeist – allen Rückschlägen und Widerständen der kapitalistischen Verwertungslogik zum Trotz. An die Stelle von Verzweiflung setzt er Innovation. „Statt Ängste zu schüren, möchte ich lieber Lösungen finden, auch wenn diese nicht immer umgesetzt werden“, sagt Fabritz und führt in die Keimzelle seines Schaffens – seine Arbeitszimmer.
Um Struktur in sein kreatives Chaos zu bringen, greift der Inventor zu ungewöhnlichen Maßnahmen. So stehen im ersten Stock seiner Wohnung gleich mehrere Computer und Arbeitsplätze, ein eigener pro Themenfeld – was genau auf welchem Rechner passiert, weiß wohl nur er selbst. Dass Fabritz an seinen Arbeitsplätzen, umrandet von abertausenden von Akten und Dokumenten, möglichst viel Zeit verbringt, beweist auch ein Blick in ein winziges fensterloses Nebenzimmer, das fast vollständig von einem Bett ausgefüllt wird. „Mein Schlafzimmer habe ich extra hier oben eingerichtet. Wenn ich nachts wach werde und einen guten Einfall habe, möchte ich diesen natürlich auch möglichst schnell festhalten können“, schmunzelt der sympathische Erfinder und beginnt in einer feuerfesten Metallkiste zu kramen. Die für ihn wichtigsten Ideen bewahrt er hier auf, gut geschützt vor allen Umwelteinflüssen.
Die Bandbreite der hier sorgfältig verwahrten Ideen erstreckt sich von genial bis eigenwillig, und beim Durchblättern wähnt man sich auf einem wilden Ritt durch einen Jules Verne-Roman: Auf einer Konzeptzeichnung sieht man einen sogenannten „Arche Tower“, eine Art stationäre Arche Noah in Turmform für überschwemmungsgefährdete Gebiete – beispielhaft illustriert auf dem Hülser Berg. Auf dem nächsten Papier ist ein Krankenbett mit integriertem „Skorpion-Pflegeroboter“ visualisiert, der Menschen wäscht, zur Toilette bringt und Essen verteilt. Eine Seite weiter findet sich ein PKW-Schleppsystem, das Autos emissionsfrei mittels einer Zugvorrichtung für die Vorderräder entlang des Mittelstreifens von Autobahnen zieht – eine der ersten Innovationen des Krefelders, die, wie Fabritz häufig betont, leider vom damaligen Verkehrsminister als unbrauchbar abgetan worden sei. Wer jedoch ob manch einer eigenwillig anmutenden Erfindung glaubt, dass Fabritz eben doch ein verrückter Fantast sei, der irrt gewaltig. Denn zwischen kurios anmutenden Zukunftsvisionen sind es vor allem ganz handfeste Innovationen, die der Krefelder entwickelt und zum Teil auch vermarktet hat: Zum Beispiel „Geohumus“, ein innovativer Wasserspeicher, für den Fabritz 2010 den Deutschen Gründerpreis erhielt. Oder eine Vielzahl an Spezialprodukten für den Garten- und Landschaftsbau, die von der von ihm gegründeten und heute von seinen Kindern erfolgreich geführten „GEFA Produkte Fabritz GmbH“ vertrieben werden.
„Hätte ich die unzähligen Arbeitsstunden meines Lebens nicht in Innovationen gesteckt und mein Geld nicht in Patente, würde ich heute vermutlich in einer teuren Finca am Mittelmeer sitzen“, lacht Fabritz ganz ohne Reue. Denn um das Anhäufen von Reichtum ging es dem Inventor nie. Vielmehr ist er schon immer getrieben von einem intrinsischen Innovationsdrang und unbeeindruckt von jeglichem Gegenwind. Damit ist Gerhard Fabritz ein heute nur noch selten zu findender Idealist und Freigeist – eine Sorte Mensch, die die Welt gut gebrauchen kann.