Als das Fischelner Rathaus im Jahre 1910 eingeweiht wurde, war den Herren vom Gemeinderat noch nicht bewusst, dass die Selbständigkeit nur noch 19 Jahre dauern sollte. Die preußische Landesregierung war Ende der 1920er Jahre überzeugt, dass nur große Gemeinden leistungsfähig genug sein würden, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Und so entstand 1929 die Großstadt Krefeld-Uerdingen, in die die damals gut 9.000 Einwohner zählende, prosperierende Gemeinde eingegliedert wurde. Fischelns Wohlstand war vor allem durch das auf dem Gemeindegebiet liegende Edelstahlwerk und einige andere florierende Industriebetriebe, wie zum Beispiel die Brauerei Rhenania, entstanden. Ansonsten war der Ort immer noch stark durch die Landwirtschaft geprägt. Das Berliner Dekret wurde in Fischeln nicht unbedingt freudig begrüßt. Die Tatsache, dass der Ort nicht über eine eigene Kanalisation verfügte und Krefeld mit dem Anschluss an das städtische Kanalnetz lockte, ließ den Gemeinderat schließlich doch zustimmen. Die Stadt Krefeld freute sich über einen üppigen Gebietsgewinn und 350.000 Mark in bar aus der Fischelner Gemeindekasse.

Das gebundene Fischelner Sonntagsblatt ab 1898
Die Räume des Rathauses an der Kölner Straße werden heute zum Teil durch das Bürgeramt Krefeld-Fischeln genutzt. In den Keller ist vor 20 Jahren das Archiv des Fischelner Bürgervereins eingezogen. Diese Schatzkammer der Ortsgeschichte wird von vier Rentnern betreut. Einer von ihnen ist der inzwischen 79-jährige Wolfgang Müller. Der geborene Krefelder kam 1967 nach Fischeln. Als der Bürgerverein 1975 gegründet wurde, stand ihm der Sinn jedoch noch nicht nach Ortsgeschichte. Als Bohrwerksdreher bei der Firma Küsters an der Gladbacher Straße machte er häufig Überstunden, um sein Eigenheim abzuzahlen und die Familie zu ernähren. Nachdem er mit 57 dann plötzlich in den Vorruhestand gehen musste, hatte er auf einmal Zeit. Viel Zeit. „Durch die damalige Vorsitzende Marianne Werthmann erfuhr ich, dass der Bürgerverein Leute braucht und bin kurzentschlossen Mitglied geworden. Das war der Anfang einer steilen Karriere“, erzählt Müller schmunzelnd. Bereits kurz nach seinem Vereinsbeitritt wurde er zu einem der aktivsten Mitglieder, organisierte Feste und Veranstaltungen und wurde schnell Geschäftsführer. 2002 übernahm er dann den Vorsitz des Fischelner Bürgervereins, den er inzwischen abgegeben hat. Deswegen hat sich der agile Unruheständler allerdings noch längst nicht in seinen Ohrensessel zurückgezogen.
Für seine beiden „Lieblingskinder“, das Archiv und die niederrheinische Mundart, engagiert sich Wolfgang Müller mit ungebrochenem Engagement. Durch die unermüdliche Arbeit von ihm und seinen Vereinskollegen ist in 20 Jahren eine beispiellose Fischelner Geschichtssammlung entstanden, und es kommen immer neue Exponate hinzu. „Wir sammeln alles, was aus Fischeln ist“, erklärt der ehrenamtliche Ortshistoriker begeistert: „Fotos, Kaufverträge, Urkunden, Chroniken von Schulen und Vereinen und nicht zuletzt die Ausgaben des alten Fischelner Sonntagsblatts seit 1898, die wir dank Spenden binden konnten.“ Einen großen Teil der Schätze bekamen die vier Archivare aus Haushaltsauflösungen. Inzwischen ist Wolfgang Müller selbst zu einem „wandelnden Archiv“ geworden, der viele Geschichten zu erzählen weiß. So zum Beispiel über die Fischelner Weber, die für die reichen Krefelder Textilfabrikanten arbeiteten: „Die Weberhäuser waren eingeschossig und hatten die Eingangstür in der Mitte. Der Webstuhl stand direkt hinter dem Fenster im Wohnraum. Für einen separaten Arbeitsraum reichte das Geld nicht“, berichtet Müller. „Wenn der Stoff dann gewebt war, ging der Hausweber mit der Rolle zu Fuß in die Stadt. Das war ein ganz schön weiter Weg.“

Wolfgang Müller ist nicht nur Mundart-Experte, sondern verwaltet überdies das Fischelner Archiv
Den Meister Ponzelar mit der Tuchrolle hat Müller auch schon auf der Bühne dargestellt. Legendär sind auch seine Auftritte als „Fräulein Grotemeyer“. Neben dem Archivkeller ist die Mundartbühne zu seiner zweiten Heimat geworden. „Mundart war schon immer mein Steckenpferd“, erinnert er sich. „1998 haben wir es dann gewagt, und Manfred Gietz gefragt, ob wir in seinem Saal einen Mundartabend veranstalten dürfen, und der hat uns unterstützt. Beim ersten Mal war der Saal halb leer, beim zweiten Mal ziemlich voll. Wir haben dann einen weiteren Abend angeboten. Inzwischen machen wir immer drei Abende in Folge – alle sind immer ausgebucht. Und die Leute kommen nicht nur aus Krefeld. Wir hatten auch schon Gäste aus Bad Neuenahr und der Eifel hier. Bei der letzten Veranstaltung, und das war immerhin die 38., war die Krefelder Mundartkapelle „Schäng Blasius Flönz Rakete“ auf der Bühne, die waren wirklich super.“ Basis der Mundartveranstaltungen ist eine Gruppe von zwei Frauen und drei Männern, zu denen Müller gehört. Gemeinsam bereiten sie die Sketche vor, gemeinsam gehen sie auf die Bühne. Wobei sich die Themen nicht immer um die Historie drehen: „Vor ein paar Jahren haben wir mal einen Sketch mit einem Navi gemacht, da haben wir uns aus Sperrholz ein Auto gebaut und uns auf der Bühne dahinter gesetzt. Eine Frau hat die Navi-Stimme gesprochen. Das war ein Riesenerfolg.“ Die Mundartabende gehen im Saal Gietz übrigens auch unter dem neuen Pächter weiter. Die drei Veranstaltung für 2015 haben Ende März stattgefunden. Ausgebucht wie immer.
„Wir sammeln alles, was aus Fischeln ist. Fotos, Kaufverträge, Urkunden, Chroniken von Schulen und Vereinen und nicht zuletzt die Ausgaben des alten Fischelner Sonntagsblatts seit 1898, die wir dank Spenden binden konnten.“
Neben seinen Bühnenauftritten schreibt Wolfgang Müller auch manchmal für die Fischelner Woche, den Nachfolger, der im Keller archivierten Sonntagsnachrichten und führt Interessierte auf launige Weise durch seinen Heimatort. Das vom „Arbeitskreis Heimat“ des Fischelner Bürgervereins betriebene Archiv hat zwar keine regulären Öffnungszeiten, wird aber von Zeit zu Zeit immer wieder zu besonderen Anlässen geöffnet. So zum Beispiel in der Vergangenheit zur 1050-Jahr-Feier Fischelns, im Jahr 2000 aus Anlass des 25-jährigen Vereinsjubiläums und zum 100-jährigen Jubiläum der Fischelner Straßenbahn oder auch immer wieder zu Tagen der Offenen Tür.
Informationen, auch zu den aktuellen kommunalpolitischen Aktivitäten des Fischelner Bürgervereins, findet man im Internet unter www.buergerverein-fischeln.de. Telefonisch ist die Geschäftsstelle unter 02151-53 73 05 erreichbar.