Die Malschule vom Krefelder Kunstverein

 

Konzentriert sitzt der achtjährige Carlos über einer Pappschablone, die einen Artisten zeigt. Die Figur hat er zuvor von einer Musterschablone proportionsgetreu abgezeichnet, dann ausgeschnitten und mit hochwertigen Polychromos-Buntstiften in kräftigen Farben von beiden Seiten bemalt. Später wird daraus eine bewegliche Gliederpuppe entstehen, die in einem Kleiderbügel aus Draht hängt, der ein Trapez darstellt. Eine Momentaufnahme aus der Kindermalschule des Krefelder Kunstvereins – jenseits virtueller Realitäten von „Minecraft“ & Co.

Junge, Stift, Malen, Figur

„Ich finde es cool, dass man die Puppe später bewegen kann“, freut sich Carlos und erzählt, dass er schon drei Kurse in der Malschule mitgemacht hat. Besonders viel Spaß dabei macht ihm, „dass man jedes Mal was anderes lernt.“ Und Florian ergänzt: „Es klappt auch immer alles, weil wir gut vorbereitet werden.“ Zusammen mit Carlos und Florian sitzen fünf weitere Acht- bis Elfjährige in kreativer Konzentration und mit geröteten Wangen rund um den großen Tisch im lichtdurchfluteten ehemaligen Ladenlokal an der Evertsstraße 45. Es ist die dritte Doppelstunde des Malschul-Semesters, das 15 Termine umfasst.

Ein wenig anachronistisch mag diese Szenerie auf Eltern wirken, deren Kinder eine andere Lebenswirklichkeit erfahren: mit Computerspielen wie „Minecraft“ oder Geschenkewünschen wie einem Controller zum besseren Bedienen der Spielekonsole. Kursleiterin Barbara Leifeld empfindet sich hin und wieder als Mittlerin zwischen der realen und der virtuellen Welt. Und macht dabei interessante Erfahrungen wie diese: „Einmal ging es in einem Kurs um Mosaik-Technik. Als die Kinder feststellten, dass Mosaike eckig sind, stellten sie sofort den Bezug her zu den ihnen bekannten Figuren aus dem Computerspiel ,Minecraft‘. Dadurch hatten wir sofort eine ungeahnte gemeinsame Ebene. Mehr noch: Plötzlich wurden die Kinder kreativ und haben eigene Figuren in Mosaikform gezeichnet. Genau das ist unser Ziel: Talente zu fördern und neue Horizonte zu eröffnen.“

Barbara Leifeld

Barbara Leifeld ist eine von neun Dozentinnen

Bei den Kursen hält sich Barbara Leifeld dezent im Hintergrund. Die ausgebildete Grafikdesignerin gibt Tipps, beantwortet Fragen der Kinder und motiviert. Sie gehört zum Team von neun Dozentinnen, das insgesamt 15 verschiedene Kurse für Kinder zwischen 4 und 14 Jahren und Erwachsene betreut. Je nach Entwicklungsstufe der Teilnehmer und ausgehend von den eigenen künstlerischen Schwerpunkten legen die Dozentinnen die Inhalte fest. Sie reichen vom perspektivischen Zeichnen mit Bleistift über Ölmalerei bis zu Drucktechniken und dem plastischen Gestalten.

Passanten bleiben regelmäßig vor dem großen Schaufenster stehen, das bewusst den Blick in die phantastische Welt der Kreativität freigibt. Aktuelle Kursergebnisse zieren die Wände der Malschule, bis die Teilnehmer ihre Werke mit nach Hause nehmen. Zu sehen sind gefaltete Tukane aus Buntpapier, die ersten gezeichneten Entwürfe der Gliederpuppen, die zurzeit entstehen und detailreiche Schwarzweiß-Zeichnungen von einem aufgeschnittenen Kohl und einer Melonenscheibe. Ein paar Meter weiter steht auf einem Bord eine Vase mit frischen Blumen. Dahinter pinnen die fertigen Bilder aus Temperafarben.

Jedes Werk besticht durch die Liebe zum Detail. Hier haben Dozentinnen und Schüler richtig gute Arbeit geleistet. Und das alles freiwillig und ohne Zeitdruck wie manchmal in der Schule. Den Reiz, in der Malschule des Kunstvereins zu unterrichten, beschreibt Barbara Leifeld stellvertretend für ihre Kolleginnen so: „Es ist zum einen die Talentförderung von interessierten Krefeldern und ihren Kindern und die Tatsache, dass ein vielfältiger und hochwertiger Materialfundus vorgehalten wird.“ Der befindet sich im hinteren Teil des 200 Quadratmeter großen „Kunstraumes“. Tatiana von Stülpnagel, ebenfalls Dozentin und gelernte Bühnenbildnerin, präsentiert sichtlich stolz die Regale mit Stiften und Pinseln, Pappen, Transparentpapier, buntem Tonpapier, Gips, Mörtel und Ton. Der kann im Brennofen eine Etage tiefer gleich weiter zu Keramik verarbeitet werden.

Tatiana von Stülpnagel

Tatiana von Stülpnagel gibt Tipps

Nach jedem Kurs freuen sich die Teilnehmer über ihre Ergebnisse. Erfolgserlebnisse haben aber auch die Dozentinnen. Und zwar immer dann, wenn sie spüren, wie sich die Kursteilnehmer immer mehr zutrauen, wenn Kinder nach mehreren Kursen immer noch Lust haben, die Malschule weiter zu besuchen und wenn Eltern berichten, dass ihre Kinder schon mehrere Tage vor der nächsten Stunde ungeduldig fragen, wann sie wieder in die Malschule kommen können.

Barbara Leifeld, Kind„Wir gönnen uns den Luxus kleiner Gruppen“, sagt Margarethe Kevenhörster, die als Vorstandsmitglied des Kunstvereins ihr Herz an die Malschule verloren hat. Der ehemaligen Lehrerin der Städtischen Hauptschule Prinz-Ferdinand-Straße ist der pädagogische Aspekt besonders wichtig. Neben Tagesworkshops, Kindergeburtstagen und Projekten der mobilen Malschule, beispielsweise in einer Familienbildungsstätte in Düsseldorf, engagiert sie sich für die Zusammenarbeit des Kunstvereins mit den Krefelder Schulen. Erste Kooperationen gibt es mit der Stephanusschule und der im Aufbau befindlichen Gesamtschule Oppum, die eine künstlerische Ausrichtung bekommen soll. Hier übernehmen die Dozentinnen der Malschule den Kunstunterricht, weil die Schulen häufig kein geeignetes Fachpersonal haben.

Kind, Bügel, Figur, Papier

Ohne den Träger der Malschule, den Krefelder Kunstverein, wäre ein derart hochwertiges und breit aufgestelltes Angebot nicht realisierbar. Die Malschule besteht übrigens schon seit 1971 und finanziert sich weitestgehend selbst. Mit ihrer qualifizierten Arbeit ist sie die Keimzelle zukünftiger Museumsbesucher und Kunstliebhaber, für die ein reales Bild oder eine gegenständliche Skulptur einen größeren Reiz ausüben als virtuelle Realitäten.

Krefelder Kunstverein e.V., Buschhüterhaus, Westwall 124, 47798 Krefeld Öffnungszeiten: mo, die, do, fr: 14-16.30 Uhr; mi: 10-12.30 Uhr (freier Eintritt) www.krefelder-kunstverein.de Telefon: 02151-777-080

 

 

Erste Adresse für Kunst

Reale Kunst statt virtueller RealitätDas Buschhüterhaus am Westwall ist eine der ersten Adressen für Kunst-Interessierte in Krefeld. Hier sind die Geschäftsstelle und Ausstellungsräume des Kunstvereins untergebracht. Er gehört zu den ältesten und größten in ganz Deutschland. 1883 wurde der heutige Kunstverein als Crefelder Museumsverein gegründet und initiierte den Bau des 1897 fertiggestellten ­Kaiser Wilhelm Museums. Der erweiterte Aufgabenbereich, zu dem die Malschule, die Durchführung von Vorträgen, Ausstellungen und Exkursionen (wie zur documenta in Kassel) gehört, führte 1970 zur Umbenennung. Der Krefelder Kunstverein mit seinen rund 750 Mitgliedern versteht sich als Fürsprecher und Förderer zeitgenössischer Kunst, Fotografie, Architektur und Denkmalpflege. Das ist gerade in Zeiten, in denen immer mehr Galerien schließen, ein Statement, das von viel mehr Menschen wahrgenommen werden sollte.