Der Samt- und Seidenhändler Richard Merländer gehört zu den wichtigsten Figuren der Krefelder Stadtgeschichte. Sein einstiges Wohnhaus an der Friedrich-Ebert-Straße dient gleichermaßen als NS-Gedenkstätte und Andenken an einen Mann, den jeder „irgendwie“ kennt, aber niemand richtig. Anlässlich des Roze Zaterdags – des Rosa Jahres im Zeichen der Akzeptanz von Homosexualität – wird die Geschichte Merländers von einer kleinen Gruppe Krefelder wiederbelebt. Denn neben vielen anderen Geheimnissen hütete Merländer zu Lebzeiten besonders eines höchst konsequent: seine Homosexualität.

Die Villa Merländer, Krefelds NS-Dokumentationsstelle
Merländer ist eher als Begriff bekannt, denn als Mensch. Als Krefelder weiß man um seine Existenz, aber dieses Wissen ist unvollständig und oberflächlich. Das mag zum einen an fehlender Auseinandersetzung liegen, zum anderen aber auch an der lückenhaften Informationssituation. Richard Merländer wurde 1874 in Mühlheim an der Ruhr geboren und lebte ab 1905 in Krefeld, wo er ein Jahr zuvor den Samt- und Seidengroßhandel Merländer, Strauß & Co. gegründet hatte. 1923 begann der Bau der Villa, in der der Unternehmer nur knapp zehn Jahre leben konnte, bevor er massiv von den Nationalsozialisten verfolgt wurde. Seinen Höhepunkt erreichte die allgegenwärtige Aggression der Nazis in der Reichspogromnacht, in der auch Merländers Wohnhaus großteilig zerstört wurde. 1942 wurde Merländer nach vorangegangener Enteignung und Aufenthalt im Krefelder Judenhaus im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Soweit zu den Eckdaten – viel mehr ist nicht bekannt.
- Das Kaminzimmer der Villa Merländer an der Friedrich-Ebert-Straße
- Stolpersteine gibt es bereits, doch Thomas Tillmann hat weitere Ziele; zum Beispiel die Benennung einer Straße oder eines Parks nach Richard Merländer
Thomas Tillmann, Religions- und Lateinlehrer am Gymnasium Fabritianum, und Sandra Lentz, die seit März 2018 die NS-Dokumentationsstelle Villa Merländer leitet, kooperieren seit mehreren Monaten, um mehr Licht in die geheimnisvolle Geschichte des Wahlkrefelders zu bringen. „Merländer hat eine sehr spannende Biografie. Es gibt viele Lücken. Zum Beispiel wissen wir bis heute nicht, wie er ausgesehen hat“, erklärt die 37-Jährige, die vor ihrer Position in der NS-Dokumentationsstelle Krefeld bereits mehrere Jahre in der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf tätig war. Thomas Tillmann kam bei einer Gedenkveranstaltung zur Befreiung aus Auschwitz 2005 mit der Person Merländer in Berührung und beschäftigte sich seitdem begeistert mit dem Thema.
„Merländer hat eine sehr spannende Biografie. Es gibt viele Lücken. Zum Beispiel wissen wir bis heute nicht, wie er ausgesehen hat.“
Zum Anlass des Rosa Jahres geht es nun nicht allein um „den Juden“ Merländer, sondern um den versteckten Homosexuellen, der sein Lebtag lang nicht frei zu seiner Sexualität stehen konnte. „Er vereint zwei große Opfergruppen des NS-Regimes: Juden und Schwule. Das macht ihn noch interessanter für uns“, erläutert Tillmann, der das Thema bereits in einer emotionalen szenischen Lesung mit den Oberstufenschülern seines evangelischen Religionskurses aufgearbeitet hat. „Für seine sexuellen Vorlieben wurde Merländer seinerzeit nicht verfolgt“, erklärt Sandra Franz und fügt hinzu: „Er wusste sein Geheimnis zu wahren. Seinem in Berlin lebenden Partner schrieb er unter dem Namen der Haushälterin, um keinen Verdacht zu erwecken.“ In ihrem Projekt stellen Tillmann und seine Schüler diese unglückliche Liebesgeschichte durch die Metapher eines leeren Bilderrahmens und einer Skatkarte mit dem Herzbuben dar. Ein Bild seines Geliebten aufstellen oder mit sich tragen konnte Merländer nie. Stattdessen war er gezwungen, seine Gefühle in Metaphern zu hüllen. Einen großen Teil seiner Freizeit verbrachte Merländer im Tennisclub – obwohl er selbst nicht spielte. Heute mutmaßen Franz und Tillmann, dass er dort heimlich die jungen Spieler betrachtete. Szenarien wie dieses bleiben allerdings rein spekulativ; stichhaltige Beweise gilt es noch zu finden.

Thomas Tillmann wurde von seinen Schülern gebeten, für die szenische Lesung selbst Richard Merländer zu verkörpern
Die Wandbilder des Künstlers Heinrich Campendonk geben Aufschluss über Merländers weitere Vorlieben. „Er rauchte gerne Zigarren, spielte Skat und Schach, feierte gerne und öffnete jedem seine Tür“, fasst Sandra Franz zusammen. „Er war eine ambivalente Figur: einerseits Kunstmäzen, Handelsmann und Lebemann; andererseits gehörte er nie richtig dazu. Er versuchte ständig, die Leute um sich zu scharen. Traurigerweise erwiderten die seine Gastfreundschaft nicht. Er war einsam“, ergänzt Tillmann.
Damit steht Merländer beispielhaft für die vielen Homosexuellen, die ihre sexuelle Orientierung während der NS-Zeit und noch viele Jahre danach verstecken mussten. Sie alle konnten nie ganz vollständig sein, hinterließen Leerstellen. Ob die laufenden Forschungen einige dieser Leerstellen ausfüllen werden, wird sich zeigen. Dass die jüngsten Erkenntnisse über den Menschen Merländer ein höchst relevantes Thema ansprechen, zeigen die vielen Informations- und Aufklärungsveranstaltungen, die anlässlich des Roze Zaterdags in den kommenden Monaten abgehalten werden. Auch Thomas Tillmann und seine Schüler werden ihre szenische Lesung noch mehrfach zur Aufführung bringen.
Villa Merländer – NS-Dokumentationsstelle der Stadt Krefeld
Friedrich-Ebert-Straße 42, 47799 Krefeld
Öffnungszeiten: Di-So 10-17 Uhr, Telefon: 02151-503553
Mehr zum Rosa Jahr unter www.rozezaterdag2019.eu/de. Eine aktuelle Veranstaltungsübersicht der Villa Merländer finden Sie unter www.facebook.com/pg/VillaMerlaender/events