Die schwul-lesbische Aufklärung in Krefeld
Eine junge, dunkelhaarige Frau ist unterwegs durch die Krefelder Innenstadt. In der Linken hält sie eine Zigarette, in der Rechten ein silbernes Hardcase-Köfferchen. „SCHLAUe Kiste“ steht darauf. Pia Günther befindet sich auf dem Rückweg von einem Workshop der von ihr geleiteten Schwul-Lesbischen-Aufklärung Krefeld. Ihre Route führt die Duisburgerin in ein kleines Café unweit des Rathauses. Kaffeepause, bevor sie zum Sitz der Krefelder Aidshilfe weiterläuft, in deren Auftrag sie Informationsworkshops für Schulklassen und Jugendgruppen organisiert. Gemeinsam mit fünf Ehrenamtlern setzt sie sich für die Akzeptanz aller sexuellen Orientierungen und die umfassende Aufklärung auf diesem Gebiet ein. Sie alle gehören selbst der LGBTIQ-Gemeinschaft an – so nennt sich das weltweite Netzwerk Homo- und Bi-, Inter- und Transsexueller. Mit SCHLAU hat Pia ihr Herzensprojekt gefunden. Der Krefelder Verein ist ein Zweig des Landesverbands SCHLAU NRW, der im Jahr 2000 gegründet wurde. Die 26-Jährige leitet ihn seit 2015.

Pia Günther leitet SCHLAU Krefeld
„Ich habe damals auch gut zwei Jahre gebraucht, bis ich mich getraut habe, mich zu outen. Dass ich lesbisch bin, wusste ich so mit dreizehn, vierzehn. Aber ich habe mich erst mit sechzehn offiziell dazu bekannt.“
Dass im 21. Jahrhundert noch immer viel Aufklärungs- und Anti-Diskriminierungsarbeit geleistet werden muss, zeigen nicht zuletzt Beispiele wie die Geschichte des 24-Jährigen Leon in unserer diesjährigen März-Ausgabe. Aus einer im Jahr 2015 vom Deutschen Jugendinstitut veröffentlichten bundesweiten Studie zur Lebenssituation von LGBTIQ-Jugendlichen geht hervor, dass Ausgrenzung und Vorurteile noch heute den Regelfall darstellen. Rund 80 Prozent der Befragten gaben an, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert zu werden; 55 Prozent davon ordneten diese Erlebnisse vor allem in den schulischen Kontext ein. Knapp zwei Drittel gaben deshalb auch an, ein Coming-Out in der Schule oder dem Berufsleben zu vermeiden oder vermieden zu haben.
Pia ist selbst homosexuell und weiß aus eigener Erfahrung, dass „Anderssein“ nicht immer positiv aufgenommen wird. „Ich habe damals auch gut zwei Jahre gebraucht, bis ich mich getraut habe, mich zu outen. Dass ich
lesbisch bin, wusste ich so mit dreizehn, vierzehn. Aber ich habe mich erst mit sechzehn offiziell dazu bekannt“, erinnert sich Pia. Extreme Formen der Diskriminierung hat die Duisburgerin nie erfahren, auch die Familie
hatte kein Problem mit ihrer Orientierung. „Ich hatte Glück. Starke Diskriminierung habe ich nie erfahren. Höchstens die Blicke, wenn ich mal gemeinsam mit meiner Freundin händchenhaltend durch die Stadt gehe – aber das ist normal geworden. Heute sehe ich das schon gar nicht mehr“, erzählt die SCHLAU-Vorsitzende abgeklärt. Auch ihre Kollegen wurden nie Opfer tätlicher Angriffe – dennoch trägt jede und jeder von ihnen ein imaginäres Päckchen verletzender und undurchdachter Äußerungen mit sich herum.
Laut Pia ist die Aufklärungsarbeit bezüglich sexueller Orientierung und Geschlechteridentität in deutschen Schulen noch immer höchst lückenhaft. Dabei besagt eine Statistik der Bundeszentrale für politische Bildung, dass fünf bis zehn Prozent aller Menschen schwul, lesbisch, bi- oder transsexuell sind. Umgerechnet auf eine Schulklasse bedeutet das mindestens ein bis zwei andersorientierte Schüler. Ihnen stärkt das SCHLAU-Team den Rücken. „Durch unsere Aufklärung unterstützen wir Jugendliche auch auf der Suche nach der eigenen Orientierung oder beim Outing“, erzählt sie, während sie ihre kleine weiße Kaffeetasse mit den Händen umfasst.
„Remember who you are“ steht in geschwungener schwarzer Schrift auf ihrem rechten Unterarm. Wisse, wer du bist – ein Spruch, der sich fast wie ein Mantra liest. Auch Pias restliche Arme sind stark tätowiert, sie trägt einen locker geschnittenen schwarzen Pulli und keine Schminke im freundlichen Gesicht. Ihr Blick ist offen, nimmt den Gesprächspartner sofort ein. Die Stimme dunkel und ruhig. Zusammengefasst könnte man Pia schlicht als „lässig“ oder „cool“ bezeichnen. Eine Person, die sicherlich gut ankommt bei Jugendlichen. Doch Vorurteile überschatten manchmal auch die unbestreitbar sympathische Ausstrahlung der 26-Jährigen und ihrer Kollegen. „Viele – auch ältere – Jugendliche wissen einfach noch nicht sonderlich gut über die verschiedenen Sexualitäten Bescheid und verurteilen sie deshalb. Letztens zum Beispiel hatten wir einen Schüler, der sagte ‚Homosexuelle gehören für mich verbrannt‘. Sowas ist natürlich krass, kommt aber zum Glück nicht so häufig vor“, erzählt Pia. „Und es darf ja auch jeder seine Ansichten haben. Wir sind nicht dazu da, aktiv Meinungen zu ändern.“ Das allerdings ist oft ein positiver und erwünschter Nebeneffekt der Workshops: Die meisten kritischen Stimmen verstummen im Laufe der Sitzungen. Vielen Schülern fehlt offenbar schlichtweg der direkte Kontakt mit Andersorientierten. „Am Ende sagte uns auch der Junge, der anfangs so angriffslustig war, wir seien ja eigentlich ‚ganz normale Menschen‘“, erzählt Pia schmunzelnd. Warum manche Schüler derart voreingenommen in die Workshops hineingehen, kann viele Gründe haben. Soziales Umfeld und Elternhaus spielen unter Umständen eine Rolle. Ab und zu kommt es sogar vor, dass Erziehungsberechtigte ihren Kindern die Teilnahme an SCHLAU-Workshops verbieten. Das müssen Lehrer und Teamer berücksichtigen.
Auch Schüler können Interesse anmelden – und tun dies bereits aktiv. Das Projekt wird seit seinen Anfängen konstant immer häufiger wahrgenommen.
Wie ein Workshop-Tag abläuft, kommt ganz auf Alter, Wissensstand und Interessen der Schülergruppe an. Die SCHLAU-Sitzungen dauern zwischen 90 und 180 Minuten und können von Jugendlichen ab der siebten Klasse
wahrgenommen werden. Lehrer nehmen im Regelfall nicht an den Workshops Teil, um Hemmungen zu vermeiden. Die Workshopleiter spielen verschiedene Spiele mit den Schülern, die bei der Aufklärungsarbeit helfen. Außerdem dürfen die Teilnehmer anonyme Fragen formulieren, die am Ende der Workshops weitestgehend beantwortet werden. Welche Themen mit den Jugendlichen besprochen werden können, ist altersabhängig. „Mit Schülern, die unter vierzehn sind, dürfen wir noch nicht über sexualpraktische Themen sprechen, ihnen zum Beispiel nicht erklären, wie Sex bei Lesben funktioniert. Solche Fragen werden zwar gestellt; wir beantworten sie aber erst älteren Schülern. Auf welche Fragen in welchem Umfang eingegangen wird, entscheidet jeder Teamer für sich“, erklärt Pia. Alle nötigen Utensilien samt umfangreicher Informationsmaterialien für Schüler und Lehrer befinden sich in der „SCHLAUen Kiste“, die sie auch heute bei sich trägt. Die Anmeldung eines Workshops muss nicht zwingend vom Lehrpersonal ausgehen. Auch Schüler können ihrerseits Interesse anmelden – und tun dies bereits aktiv. Das Projekt wird seit seinen Anfängen konstant immer häufiger wahrgenommen. „Das Thema ist angekommen, das merkt man“, findet Pia. Im Gegensatz zum Jahr 2015 habe sich die Zahl der Workshop-Anfragen heute mehr als verdreifacht. Aufgrund der großen Nachfrage soll das SCHLAU-Team möglichst bald wachsen. „Ich freue mich, wenn mehr Leute dazukommen. Der Bedarf ist in jedem Fall da“, sagt die 26-Jährige und leert ihre Kaffeetasse.
Für die kommenden Monate plant Pia in Anlehnung an die Pilotveranstaltung „Queer Storytelling“, die im vergangenen Jahr im Café Lentz stattfand, weitere LGBTIQ-Veranstaltungen, die der Aufklärung und Vernetzung dienen sollen.
SCHLAU Krefeld, Pia Günther c/o Aidshilfe Krefeld e.V.
Rheinstr. 2-4, 47799 Krefeld
Tel.: 02151-65729-16
Mail: krefeld@SCHLAU.nrw